No Country for Old Men

Drama | USA 2007 | 122 Minuten

Regie: Ethan Coen

Nach dem Fund eines Geldkoffers gerät ein arbeitsloser Vietnam-Veteran ins Visier eines kaltblütigen Killers, der den Koffer im Auftrag eines kriminellen Geschäftsmanns wieder beschaffen soll und in der texanischen Provinz seine Blutspur hinterlässt. Adaption des gleichnamigen Romans von Cormac McCarthy, die durch formale Brillanz und extravagante Regieeinfälle überzeugt, wobei sie Fragen nach (Lebens-)Sinn und Moral aufwirft. Der bislang reifste Film der Coen-Brüder, die hier ihren bisherigen Zynismus abgemildert haben. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
NO COUNTRY FOR OLD MEN
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Paramount Vantage/Miramax Films/Scott Rudin Prod./Mike Zoss Prod.
Regie
Ethan Coen · Joel Coen
Buch
Joel Coen · Ethan Coen
Kamera
Roger Deakins
Musik
Carter Burwell
Schnitt
Joel Coen (als Roderick Jaynes) · Ethan Coen (als Roderick Jaynes)
Darsteller
Tommy Lee Jones (Ed Tom Bell) · Javier Bardem (Anton Chigurh) · Josh Brolin (Llewelyn Moss) · Woody Harrelson (Carson Wells) · Kelly MacDonald (Carla Jean Moss)
Länge
122 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Thriller | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Paramount (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Paramount (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt., PCM engl.)
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Diskussion
Dass Joel und Ethan Coen es an Mitgefühl mit ihren Figuren mangeln lassen, wird den Brüdern, die für ihre Filme jeweils gemeinsam die Drehbücher schreiben und für Regie und Produktion getrennt verantwortlich zeichnen, seit Jahren vorgeworfen. Die ironische Distanz wirkt besonders irritierend, wenn sie bei „noir“ angehauchten Stoffen prädestinierten Mordopfern gilt. So scheint ein sadistischer Zug durch, wenn die Filmemacher in „Fargo“ (fd 32 223) jene Frau, deren Leiche schließlich im Schredder landen wird, zweimal mit verdeckten Augen wie ein kopfloses Huhn umherirren lassen. „Miller’s Crossing“ (fd 28 746) lädt wiederum unverhohlen zur Schadenfreude ein, wenn der Protagonist der schmierigsten Figur abschließend eine Kugel in den Kopf jagt. Dieser Zynismus lässt das Vergnügen an der formalen Meisterschaft der Filme schal werden, und eben solch ein Effekt schien auch im Falle der ersten Literaturverfilmung der Coens, einer Adaption eines Cormac McCarthy Romans, zu befürchten. Während in „No Country for Old Men“ ein kaltblütiger Killer im Auftrag eines kriminellen Geschäftsmannes der Spur eines Geldkoffers folgt, ist sein Weg durch die texanische Provinz nämlich von Leichen gesäumt. Gleich in der zweiten Szene macht die Kameraperspektive die Zuschauer denn auch zu stummen Komplizen, als ein unvorsichtiger Dorfpolizist dem soeben festgenommenen Anton Chigurh den Rücken zukehrt und vorschnell telefonisch meldet, alles im Griff zu haben. Danach baut jede weitere Szene, in der Anton jemandem begegnet, auf dem Kontrast zwischen der Ahnungslosigkeit der Betroffenen und dem Wissen der Zuschauer um die lauernde Gefahr auf. Schwer zu sagen, was dabei makabrer ist: Wenn in einer betont langen, statischen Dialogszene ein freundlicher Tankwart sich genötigt sieht, mit einem Münzwurf, ohne es zu wissen, um sein Leben zu spielen; oder wenn in einer betont kurzen Einstellung einer Autowäsche klar wird, dass zwischenzeitlich der Besitzer des Wagens ins Jenseits befördert wurde. Während die Coens in „Fargo“ die Dämlichkeit der provinziellen Hausfrau unterstrichen, die ihren Entführern zunächst tatenlos beim Einbruch zusah, verzichten sie hier jedoch darauf, sich über die Arglosigkeit von Hinterwäldlern lustig zu machen. Und diese Arglosigkeit ist auch keineswegs unvernünftig, denn, wie ein einleitender Off-Kommentar andeutet, verkörpert Anton eine diabolische Bosheit, die rational gar nicht zu fassen ist. Das macht natürlich die Faszination dieser Figur aus, der Javier Bardem mit kurioser Schlagersänger-Frisur und einem (im englischen Original) unbestimmbaren Akzent eine täuschende Plumpheit verleiht, die Anton umso unerschütterlicher wirken lässt. Diese sinistre Faszination kostet der Film aus, aber ohne die Zuschauer auf Distanz zum eigentlichen Protagonisten zu halten. Llewelyn Moss entspricht vordergründig dem typischen Bild eines Film-noir-Losers, wenn er zu Beginn des Films über den besagten Geldkoffer stolpert, der in der Wüste liegen blieb, als ein Drogendeal offenbar völlig aus dem Ruder lief und alle Beteiligten das Leben kostete. Wenn man in der Folge über diesen wortkargen, arbeitslosen Vietnam-Veteranen lacht, tut man das allerdings nicht, weil sich Drehbuch oder Regie über ihn lustig machen würden, sondern weil er staubtrockene Selbstironie beweist. Verspielte Frotzeleien zwischen ihm und seiner Ehefrau lassen zudem eine unausgesprochene Liebe durchscheinen, deren leise rührender Effekt im Kino der Coens eine Überraschung darstellt. Und während viele andere Figuren der Filmemacher sich irgendwann dumm anstellen, bleibt Llewelyns einziger Fehler, im falschen Augenblick ein Mindestmaß an Moral bewiesen zu haben. Kurzum, man hat Grund, mit diesem Mann so sehr mitzufiebern, wie wahrscheinlich mit niemandem zuvor in einem Coen-Film. Während Joel Coens Regie die Sympathie für diesen Flüchtling nicht konterkariert, trägt sein Erzählrhythmus freilich über weite Strecken nichts dazu bei, das Mitfiebern zu forcieren. Vielmehr wirkt die typische Unbeirrbarkeit des Erzählflusses besonders stoisch, weil sich die Regie aller extravaganten Einfälle enthält und auf der Tonspur fast nie Musik zu hören ist. So entsteht der Eindruck, als beobachteten die Filmemacher distanziert, aber immerhin nicht gleichgültig das Walten eines blinden Zufalls, der die Hauptfiguren gelegentlich identische Blickwinkel einnehmen oder gleichlautende Bemerkungen machen lässt. Letzteres gilt auch für die dritte Hauptfigur, Sheriff Ed Tom Bell, der Llewelyn vor Anton zu bewahren versucht. Ihn bekommt man erst spät zu sehen, doch aus dem Off ist er schon in der Anfangsszene mit nostalgischen Reminiszenzen und der Einschätzung zu hören, dass Gewaltverbrechen in seiner Zeit eine neue, irrationale Qualität angenommen hätten. Weil die Handlung um 1980 spielt, lässt das Zeitkolorit, das die Ausstattung und die blassen Farben von Kameramann Roger Deakins dezent suggerieren, dieses kulturpessimistische Lamento freilich von vornherein überholt erscheinen. Und bevor eine spätere Dialogszene Eds Sicht der Zeitläufte in Frage stellt, tut das implizit bereits die anfängliche Montage von Panorama-Einstellungen, die typische Westernlandschaften zeitlos anmuten lässt. Selbst wenn Eds philosophische Reflektionen nicht ganz überzeugend sein mögen, werfen sie aber immerhin Fragen nach Sinn und Moral auf. Auch deshalb ist „No Country for Old Men“ der reifste Film der Coen-Brüder und vielleicht ihr erster, der nach dem Vergnügen an der formalen Brillanz keinen Eindruck von Leere hinterlässt.
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