Dokumentarfilm | Deutschland 2007 | 90 Minuten

Regie: Regina Schilling

Porträt des bayerischen Theater- und Filmschauspielers Josef Bierbichler, das sich geschickt sowohl dem sanftmütigen Naturburschen als auch dem urwüchsigen Darsteller annähert. In einem unkonventionellen Mix aus Befragung, Archivaufnahmen und Videotagebüchern wird dabei auch die tragische Zerrissenheit des Porträtierten sichtbar, in der das Geheimnis seiner Schauspielkunst begründet liegen mag. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
zero one film Prod./BR/SWB
Regie
Regina Schilling
Buch
Regina Schilling
Kamera
Johann Feindt
Schnitt
Barbara Gies
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Josef Bierbichler, der sanfte Naturbursche, das urwüchsige Schauspieltalent – zunächst entspricht das Bild, das dieses zum 60. Geburtstag erscheinende Filmporträt zeichnet, genau jener Art so oft bemühter Gegensatzpaare. Mal rezitiert Bierbichler Texte von Eisler, mal spielt er brachiale Rollen für Achternbusch und Herzog, mal steht er im Wald und hackt Holz. Tatsächlich stellt sich Bierbichlers Leben zwischen dessen beiden Welten, dem Geburtsort Ambach am Starnberger See einerseits, wo er nach wie vor wohnt, und den größten deutschsprachigen Theaterbühnen andererseits als das zentrale Dilemma im Leben des Mannes heraus, der als einer der Begabtesten seines Faches gilt. Geschickt arbeitet sich der Film von einem (dank Johann Feindts hautnaher Kamera) nicht ganz konventionellen Mix aus Befragung und Archivaufnahmen über selbst gedrehte, sehr offene Videotagebücher Bierbichlers zu dessen tragischer Zerrissenheit vor, in der wahrscheinlich genau das Geheimnis seiner Schauspielkunst liegt: Er betrachtet sie als Nebensache. Unrasiert und eher grantig beantwortet er zunächst die Fragen der Filmemacherin, die 1999 mit einem Porträt über den Jungautor Benjamin Lebert debütiert hat. Nicht über alles will er reden – vergangen ist vergangen. Achternbusch ist so ein Fall, obwohl der so wichtig war für ihn. Von 1975 bis 1998 hat er in rund zwei Dutzend Filmen des Kinoanarchisten mitgemacht, der zudem jahrelang in Bierbichlers Haus gewohnt hat, einem geerbten großen Wirtshaus mit Pension. Achternbusch wiederum erinnert sich aus der Ferne mit Wehmut und nennt das Ende ihrer Freundschaft „schade“, während Bierbichler es mit einem „aus, weg“ vom Tisch fegt. Was genau zwischen beiden passiert ist, wird nicht klar, ist auch nicht von Belang. Vielleicht war es einfach eine zu lange Zeit. Vielleicht hatte sich Bierbichler aber auch wieder einmal entfernt von seinem geliebten, ungeliebten Job. Schon in den 1970er-Jahren, kaum entdeckt, kam ihm die ganze Schauspielerei sinnlos vor, wie zuletzt wieder im Jahre 2005, als seine Schwester gestorben war und er bei den Münchner Kammerspielen kündigte, weil er es einfach nicht mehr aushielt. Auch Werner Herzog, der andere Protagonist des bayrischen Aufbruchs der 1970er- Jahre, kommt zu Wort, da Bierbichler in zweien seiner frühen Filme mit dabei war. Hellsichtig beschreibt er Szenen aus der gemeinsamen Zeit, die immer wieder auf das Dilemma des Josef Bierbichler verweisen. Und: Eindringlich habe Herzog ihn vor dem Theater gewarnt, jener toten Kunstform, in der die Darsteller so schrecklich gespreizt und geschwollen daherredeten; der aber habe nicht hören wollen. Dabei hat Bierbichler gerade dank seiner zwanglosen Haltung zum Theater in genau diese Welt des unbedingten Kunstwillens und der Scheinskandale eine Spielweise hineingebracht, die auf magische Weise lebensecht und ungekünstelt wirkt. Der dritte große Bayer jener Zeit, Fassbinder, kommt nur in einer Anekdote zu Wort, aber es scheint in der Tat unvorstellbar, dass Bierbichler sich in dessen urbane, neurotische Klein- und Großbürgerrollen hätte einfinden können. Vielmehr hat es Bierbichler als einer der wenigen geschafft, seine bayrische Sprachfärbung mit auf die Berliner Schaubühne oder das Wiener Burgtheater zu tragen, ohne dass jemand Anstoß genommen hätte. Natürlich hätte man in diesem Porträt auch noch mit jüngeren Regisseuren reden können, mit Tom Tykwer, Hans Steinbichler oder Helmut Christian Görlitz, die Bierbichler mehrfach für ihre Filme engagiert haben. Aber dessen innerem Konflikt hätte man dadurch kaum näher kommen können, wie sich besonders beim Höhepunkt des Films zeigt. Da inszeniert Bierbichler für die Schaubühne „Holzschlachten. Ein Stück Arbeit“, ein Stück, das sich geradezu zwangsläufig aus dem Leben wie aus dem Film entwickelt. Bierbichler steht allein auf der Bühne, hackt unaufhörlich Holz, das er im eigenen Wald eigenhändig geschlagen hat, und rezitiert Texte zweier Deutscher, eines KZ-Arztes ohne Reue und eines von Schuldgefühlen beladenen Dichters. Für Bierbichler, der bis heute weiter als Bauer und Wirt arbeitet und sich zugleich immer wieder politisch engagiert, scheint das Stück nicht weniger zu sein als die Essenz seiner Arbeit und seines Denkens. Entsprechend bewegt zeigt er sich hinterher über manche wenig zimperliche Kritikermeinung. Eigentlich sei die Schauspielerei keine richtige Arbeit, hat Bierbichler oft gesagt; das „Texte-Aufsagen“ erledige er eher „nebenbei“. Aber nebenbei ist es eben doch ganz wesentlich sein Leben.
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