Animation | Belgien/Niederlande 2007 | 94 Minuten

Regie: Nic Balthazar

Ein 17-jähriger Jugendlicher mit autistischen Störungen versucht, seinem Alltag durch Fluchten in eine Cyber-Kampfwelt zu entkommen, und bietet seinen realen Peinigern mit Hilfe einer virtuellen Freundin und dem Vater, der sich spät auf seine Pflichten besinnt, Paroli. Verfilmung eines belgischen Erfolgsromans und Bühnenstücks, die durch die Verknüpfung von Realszenen und Online-Elementen überzeugend Atmosphäre schafft. Zugleich macht er Betroffenen Mut, ihre jeweilige soziale Situation nicht mit Fatalismus hinzunehmen, sondern durch selbstbewusstes Handeln zu überwinden. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
BEN X
Produktionsland
Belgien/Niederlande
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
MMG Film & Tv Prod.
Regie
Nic Balthazar
Buch
Nic Balthazar
Kamera
Lou Berghmans
Musik
Praga Khan
Schnitt
Philippe Ravoet
Darsteller
Greg Timmermans (Ben) · Laura Verlinden (Scarlite) · Marijke Pinoy (Mutter) · Pol Goossen (Vater) · Titus De Voogdt (Bogaert)
Länge
94 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Animation | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Die Extras umfassen u.a. ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen.

Verleih DVD
Kinowelt (16:9, 1.78:1, DD5.1 niederl./dt.)
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Ein archaischer Krieger kämpft in mystischer Landschaft gegen Monster vielerlei Gestalt. Es ist ein unbändiges Ringen, doch der Held lässt sich von keinerlei Widerständen aufhalten. Immer weiter schreitet er voran. Dann bricht das Bild ab. In den Blick des Zuschauers tritt ein in sich gekehrter junger Mann. Dessen Blick, vordem noch triumphierend auf den Monitor seines Computers gerichtet, wird unsicher, mit den Umarmungsversuchen der Mutter kann er nichts anfangen, die Schultern eingezogen, macht er sich auf den Schulweg. Als der belgische Autor Nic Balthazar von einem 17-jährigen Jungen hörte, der sich in Gent von der Gravensteenburg in den Tod gestürzt hatte, versuchte er mit dem Roman „Nichts war alles, was er sagte“, den Motiven einer solchen Verzweiflungstat auf den Grund zu kommen. Die fiktive Annäherung an ein Thema, das im gesellschaftlichen Diskurs gern verdrängt wird, fand in der indirekten Vermittlung große Aufmerksamkeit. Balthazar gab daraufhin seiner Geschichte in dem Theaterstück „Nichts“ eine neue Form, und auch dies traf auf große Resonanz. Schließlich bekam er, der auch Filmkritiker war, die Chance, den Stoff fürs Kino zu adaptieren. In seinem Filmdebüt verknüpft er in innovativer Weise die Ebenen von Realfilm und Online-Game und schafft eine überzeugend-authentische Atmosphäre, indem er dokumentarische Elemente in die Inszenierung einfließen lässt. Die Musik des in der internationalen Dance- und Techno-Szene renommierten Praga Khan fängt kongenial Gefühle auf, kommentiert die Handlung, spitzt die Konflikte zu und setzt emotionale Kontrapunkte. Besonders bemerkenswert ist vor allem aber die spielerische Intensität, zu der Balthazar seine Darsteller, allen voran Greg Timmermans als die zentrale Figur Ben, zu führen versteht. Dieser Ben ist höchst intelligent; gleichzeitig leidet er unter autistischen Störungen. Er hat Mühe, mit dem realen Leben zurechtzukommen, und versucht, dies durch die Entwicklung ganz eigener Rituale zu kompensieren. Öffentliche Geräusche will er durch lautstarke Musik aus dem Walkman von sich fernhalten; eine ständig aufnahmebereite Videokamera soll ihm den Schutz eines distanzierten Beobachters bieten. Darüber hinaus versucht er, sich aus dem Alltag zurückzuziehen, und taucht, so oft sich die Gelegenheit bietet, in die imaginäre Welt von „Archlord“, einem Online-Fantasy-Rollenspiel, ein. Hier wird er zum Ritter Ben X, der Anerkennung erlangt, indem er sich von Level zu Level nach oben kämpft; vor allem aber trifft er im virtuellen Raum mit Scarlite eine Freundin, die ihn bewundert und von der er sich verstanden fühlt. Die durch das Spiel mühsam erlangte Balance wird durchbrochen, als reale Peiniger in den von Ben für autark gehaltenen Raum des Cyberspace eindringen. Ben wird ob seiner Andersartigkeit von seinen Mitschülern schikaniert und verhöhnt; davor können ihn weder Lehrer noch Eltern schützen. Insbesondere Bogaert und Desmedt haben es auf ihn abgesehen. Sie, die vermeintlich Starken, benutzen Ben als Opfer, um sich selbst eine tatsächlich nicht vorhandene Überlegenheit zu bestätigen. Der Höhepunkt der Quälerei ist erreicht, als der hilflose Ben auf eine Schulbank gestellt wird, die Peiniger, von der gesamten Klasse angefeuert, ihm die Hose herunterreißen und die entwürdigende Situation mittels zahlreicher Handykameras filmen. Als die Aufnahmen im Internet auftauchen, bricht Ben zusammen. Damit ist eine Situation erreicht, die so oder ähnlich bei der realen Stoffvorlage in der Katastrophe gemündet haben könnte. An die Seite der Filmfigur Ben tritt nun aber dessen virtuelle Freundin Scarlite, und auch der aus der Familiensituation geflohene Vater kann seine Resignation überwinden. Das Geschehen nimmt eine Wendung, mit der Nic Balthazar das stets wach gehaltene Gefühl des Zuschauers – hier werden unmittelbar seine Probleme zumindest als indirekt Betroffener diskutiert – auf eine höchst suggestive Ebene führt. Der Regisseur fasst sein künstlerisches Anliegen mit den Worten zusammen, er wolle über Qual und Pein derer erzählen, die sich nicht wehren können. Dies komme in der Gesellschaft, gerade auch vermittelt über moderne Kommunikationstechniken, immer häufiger vor. Sein Film, in dem der Autismus als Metapher für andere, weniger eindeutig zu beschreibende, soziale Situationen gesehen werden kann, stellt ein überzeugendes Zeichen dar, dass man sich dem nicht fatalistisch hingeben müsse.
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