Dokumentarfilm | Deutschland 2006/07 | 88 Minuten

Regie: Shaheen Dill-Riaz

Dokumentarfilm über die Arbeit sowie die unmenschlichen Arbeitsbedingungen auf den Schiffsfriedhöfen an den Stränden von Chittagong im Süden von Bangladesh. Dabei werden die Ausbeutungsmechanismen bloßgelegt, die Vorarbeiter und Management der Abwrackfirma entwickelt haben, um die Tagelöhner aus dem Norden in eine Schuldenfalle zu treiben und in Abhängigkeit zu halten. In eindrucksvoll komponierten Bildern und atemberaubenden Totalen vermittelt sich intensiv die Not der Arbeiter, die ihre Haut zu Markte tragen müssen. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2006/07
Produktionsfirma
Lemme Film/BR/RBB
Regie
Shaheen Dill-Riaz
Buch
Shaheen Dill-Riaz
Kamera
Shaheen Dill-Riaz · Lawrence Apu Rozario · Motaleb Wasim
Musik
Eckart Gadow
Schnitt
Andreas Zitzmann
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. ein informatives Booklet zum Film.

Verleih DVD
edition Filmmuseum (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Die glitzernde Meeresoberfläche, ein Sonnenuntergang wie auf der Postkarte und ein poetischer Off-Kommentar: Shaheen Dill-Riaz beginnt seinen Dokumentarfilm „Eisenfresser“ wie ein Märchen aus Arkadien. Es war einmal – das Meer, die Ruhe. Jetzt finden sich an den Stränden von Chittagong im Süden Bangladeshs ausgemusterte Schiffe, rostige Kolosse ein, die zur Eisenverwertung in Einzelteile zerlegt, „geschlachtet“ werden. So plötzlich, wie diese drastische Metapher den beschaulichen Ton des Kommentars durchbricht, wird auch der fließende Rhythmus der Bilder gestoppt. Funkenregen, Schweißbrenner kreischen, gigantisch erhebt sich ein schwarzer Bug vor dem blauen Abendhimmel. Der Regisseur und gleichzeitig Kameramann setzt sehr bewusst Kontraste. Das Paradies hat hier für immer seine Unschuld verloren. Nun herrscht an den Stränden von Chittagong die Ausbeutung. Fast der ganze Eisenbedarf Bangladeshs wird mit der Dekonstruktion der Ozeanriesen gedeckt, die Abwrackungsindustrie ist ein lukratives Geschäft. Allerdings gibt es eine strenge Hierarchie auf den Werften. Bei den letzten Gliedern in der Verteilungskette, den Arbeitern aus dem Norden des Landes, bleibt kaum etwas vom Profit hängen – im Gegenteil sogar. „Lohakhor“ werden die Arbeiter in der Landessprache genannt: „Eisenfresser“. Trockenheit und Hungersnöte nach den Überflutungen in der Heimat treiben die Saisonarbeiter in den Süden. Manche haben Familie, wollen Geld nach Hause schicken und zur Reisernte wieder da sein, andere haben all ihr Land durch Erosion verloren. Die besseren Jobs – Vorarbeiter, Schweißer – werden an Einheimische aus dem Süden vergeben. Deutlich artikuliert sich zu Beginn von „Eisenfresser“ die Zweiklassengesellschaft: Man macht sich lustig über die „Idioten“ aus der „tiefsten Provinz“. Shaheen Dill-Riaz reist mit einer Gruppe Seilträger aus dem Norden nach Chittagong. Sie schleppen die schweren Drahtseile, mit denen die Schiffe dann über eine Winde näher an den Strand gezogen werden. Barfuß waten sie mindestens acht Stunden am Tag durch den zähen Brei aus Sand, Öl und Splittern – schwere Verletzungen, Unfälle sind an der Tagesordnung. Ganz klar bezieht Shaheen Dill-Riaz Position: Er steht auf der Seite der Saisonarbeiter, der Entrechteten. Er folgt ihnen mit der Handkamera in ihre Baracken, zu den Vorarbeitern und den Vorgesetzten der Vorarbeiter, wenn sie verzagt die Ausbezahlung der Löhne fordern. Meist beobachtet er, fragt nach, kommentiert immer seltener aus dem Off. Die Betreiber der Werft lässt er auch zu Wort kommen. So systematisch wie exemplarisch legt der Regisseur dabei die teuflische Spirale aus Not und Profit bloß. Fast schlimmer als die niedrigen Löhne und die Arbeitsbedingungen, die an grausame Straflager erinnern, ist die Perfidie, mit der die Arbeiter in eine Schuldenfalle getrieben werden. Bei ortsansässigen Händlern müssen sie zu überteuerten Preisen auf Kredit ihre Lebensmittel kaufen; die Händler sind oft verwandt mit Vorarbeitern, diese wiederum blockieren die Auszahlung der Löhne – wer dann nicht mit leeren Händen in den Norden zurückkehren will, muss weiterarbeiten. Er kann der Familie zu Hause nicht bei der Ernte helfen, die muss sich also bei Nachbarn verschulden. Der bengalische, in Deutschland ausgebildete Regisseur ist in der Nähe der Werft aufgewachsen, kannte aber nur die Geschichten „von den großen Schiffen und den schlimmen Arbeitsunfällen“. Entdeckt hat er sein Thema über die Bilder des brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado aus dem Band „Arbeiter“ – dieser hatte die Werften in Chittagong 1989 fotografiert. Shaheen Dill-Riaz’ atemberaubende Totalen von gestrandeten Kolossen, aufgerissenen Rümpfen und in die Tiefe stürzenden Kapitänsbrücken, vor denen sich die Arbeiter wie Ameisen ausnehmen, sind große Kinobilder, die das fotografische Vorbild zu zitieren scheinen. Gerade durch den Kontrast dieser Bilder zur Nähe, die der Regisseur zu den Arbeitern herstellt, gewinnt „Eisenfresser“. Die Unverhältnismäßigkeit auf der Werft spiegelt sich in der Wechselspannung von Nähe und der Distanz des großen Überblicks. PHP heißt die Abwrackfirma, auf deren Gelände Shaheen Dill-Riaz fast vier Monate lang gedreht hat, kurz für „Peace, Happiness and Prosperity“: Frieden, Glück und Wohlstand. Informative Seite über Bangladesch und den Film: www.bangladesch.org/eisenfresser
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