Auge in Auge - Eine deutsche Filmgeschichte

Dokumentarfilm | Deutschland 2008 | 106 Minuten

Regie: Michael Althen

Dokumentation über das deutsche Kino von der Stummfilmzeit bis in die 1990er-Jahre. Unter Ausschluss neuerer Entwicklungen, aber mit ansteckender Leidenschaft für sein Sujet kommt der ambitionierte Film der Besonderheit der deutschen Kinematografie auf die Spur und ordnet diese klug in den Rahmen der jeweiligen historischen Bedingungen ein. Unter anderem huldigt er dabei durch assoziative Motiv-Montagen und "Lieblingsfilm-Präsentationen" namhafter Filmschaffender den Qualitäten der heimischen Filmkünstler. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Preview Prod./Transit Film/WDR/SWR/Goethe Institut
Regie
Michael Althen · Hans Helmut Prinzler
Buch
Michael Althen · Hans Helmut Prinzler
Kamera
Matthias Benzing
Musik
Robert Papst · Christian Birawsky
Schnitt
Tobias Streck
Länge
106 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Die DVD enthält eine Audiodeskription für Sehbehinderte.

Verleih DVD
absolut (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt. & div.)
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Diskussion
Der Patient „deutscher Film“ hat sich erholt. Es geht ihm besser, und das liegt nicht zuletzt an der Verjüngungskur der letzten Jahre. Ausgerechnet der Nachwuchs muss aber in „Auge in Auge“ draußen bleiben, es sei denn man hält Tom Tykwer, Christian Petzold und Andreas Dresen immer noch für junge Regisseure. Michael Althen und Hans Helmut Prinzler ziehen bei ihrer Zeitreise durch mehr als 100 Jahre deutscher Filmgeschichte prominente Gesprächspartner preisgekrönten Zukunftshoffnungen vor. Der Parcours durch den deutschen Film endet bei dem Filmkritiker der „FAZ“ und dem einstigen Leiter des Filmmuseums Berlin irgendwo zwischen „Lola rennt“ (fd 33 256) und „Good Bye, Lenin!“ (fd 35 817). Die letzten zehn überaus fruchtbaren Jahre kommen kaum vor; von zuletzt bis nach Cannes vorgedrungenen jungen Männern wie Robert Thalheim, Benjamin Heisenberg, Matthias Luthardt, Jan Bonny, Stefan Krohmer oder Hans Weingartner findet sich keine Spur in dieser Hommage ans deutsche Kino, wie auch nicht von den vielen jungen Filmemachern, die von ihrem Post-68er-Blick auf die Gesellschaft der BRD und über ihre Generation erzählen: Valeska Griesebach, Ulrich Köhler, Pia Marais, Alain Gsponer, Birgit Möller, Sylke Enders, Christoph Hochhäusler – um nur einige zu nennen. Und wo bleiben Hans Christian Schmid und Romuald Karmakar? Wo die Gesichter des jungen deutschen Gegenwartsfilms, die längst arrivierten Darsteller Devid Striesow oder Sandra Hüller? Die subjektive, gleich in der Exposition als Schnittmenge postulierte Auswahl des Autorenduos würde weniger befremden, wenn sich die versammelten üblichen Verdächtigen von Wim Wenders über Doris Dörrie bis zu Hanns Zischler nicht ständig über die eigene Abnabelung vom seichten Kino der Eltern auslassen würden und den „Abschied von gestern“ heroisch für sich reklamierten. Streit, Widerspruch, kontroverse Vielfalt und nicht zuletzt Generationenwechsel sind aber nicht Sache der Autoren, auch wenn sie diese Eigenschaften bei Titanen wie Fassbinder loben. Sie möchten bedingungslos die Filmkunst preisen, und vielleicht ist das in einem Land, das den Film zunehmend als möglichst leicht konsumierbares Wirtschaftsgut sieht, auch bitter nötig – vielleicht aber sollten auch die Jungen schlicht ein „Auge in Auge 2.0“ drehen, um sich selbst ins Gespräch in Sachen Traditionspflege zu bringen. Jenseits solcher Generationsfragen vermag die vor Liebe zum Kino strotzende Dokumentation durch ihren opulenten Gebrauch von wirkungsvoll choreografierten Filmausschnitten durchaus zu betören. Die brisanten historischen Eckpunkte Nazi-Propaganda einer Leni Riefenstahl und eines Veit Harlan, DDR-Filmzensur oder Mauerfall und die Wiedervereinigung werden vorbildlich abgearbeitet. Auf der Suche nach dem Deutschen im deutschen Film bekommen die Berliner Kinos wie auch die Stadt selbst als Schauplatz unzähliger Filme in Ost und West einen gebührenden Ehrenplatz. Sonderbare Fragestellungen wie „Die Augen der Männer: Gibt es so etwas wie einen deutschen Blick?“ dienen als Kommando, um eine ganze Kaskade an hintereinander montierten „deutschen“ Männerblicken zu präsentieren, die Wahn, Verzweiflung und Beklemmung in sich tragen mögen, wenn man diese Gefühlslagen denn als besonders deutsch deklarieren will. Die Frauen lassen Prinzler und Althen in reizenden seriellen Motivmontagen „den Blick scharf stellen“, charmant bis exzessiv Zigaretten verschlingen, telefonieren und mit Männern und Frauen innige Küsse austauschen. Wenn die Bilder nicht miteinander flirten, stellen zehn international mehr oder weniger bekannte Filmemacher, vor einer Kinoleinwand sitzend, ihre Lieblingsfilme vor. Tom Tykwer erschauert es immer noch vor seinem Kindheitstrauma „Nosferatu“, Wolfgang Kohlhase ergründet intelligent die unbekümmerte Lebensnähe des Kollektivfilms „Menschen am Sonntag“, Wim Wenders analysiert die „chirurgischen Aspekte“ von Fritz Langs „M“, Christian Petzold erklärt Helmut Käutners „Unter den Brücken“ (1944) zum sympathischen „Desertationsfilm“. Dazwischen fallen endlos Namen von Berühmtheiten, die Althen und Prinzler akribisch aus Gesprächen mit ihren Gästen ausgeschnitten haben – weniger wäre da mehr gewesen. Wie überhaupt der sinnliche und assoziative Rückblick auf die Herkunft des deutschen Films in der zweiten Hälfte sein schwärmerisches Konzept überstrapaziert und unter dem entfesselten Bilderrausch kollabiert. Eine lehrreiche Einführung in die Welt besessener Cineasten ist „Auge in Auge“ allemal.
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