- | USA 2006 | 91 Minuten

Regie: George Hickenlooper

Biografischer Spielfilm über Edie Sedgwick (1943-1971), Stil-Ikone der 1960er-Jahre und kurzzeitige Muse von Andy Warhol, die zur glamourösesten, aber auch tragischsten Figur im Umfeld von Warhols "Factory" wurde. Der Film gibt einen Einblick in die "Factory" des Pop-Art-Künstlers und erzählt zugleich von einem selbstzerstörerischen Leben an Rande des Abgrunds. Dabei wartet er mit einer Überfülle von Informationen auf, die er kaum zu bewältigen weiß, und ist letztlich nicht mehr als ein konventionelles "Bio Pic", das weder seiner Ikone gerecht wird noch die historischen wie kulturellen und künstlerischen Hintergründe erhellt.
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Filmdaten

Originaltitel
FACTORY GIRL
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
The Weinstein Company/Bob Yari Prod./Holly Wiersma Prod./LIFT Prod.
Regie
George Hickenlooper
Buch
Captain Mauzner
Kamera
Michael Grady
Musik
Edward Shearmur
Schnitt
Dana E. Glauberman · Michael Levine
Darsteller
Sienna Miller (Edie Sedgwick) · Guy Pearce (Andy Warhol) · Hayden Christensen (Musiker) · Jimmy Fallon (Chuck Wein) · Jack Huston (Gerard Malanga)
Länge
91 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
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Heimkino

Verleih DVD
EuroVideo (16:9, 1.78:1, DD2.0 engl., DD5.1 dt.)
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Diskussion
Edie Sedgwick ist die glamouröseste, aber auch tragischste Figur im Umfeld der „Factory“, Andy Warhols legendärem Studio in einem ehemaligen Fabrikgebäude und mythologischer Produktionsstätte von Kunst und Leben. Patti Smith schrieb nach Sedgwicks Tod ein sehr schönes und trauriges Gedicht über das „second blonde child after Brian Jones“, der Velvet-Underground-Song „Femme Fatale“ bezieht sich auf sie, und angeblich soll auch Bob Dylans „Just Like a Woman“ von Edie handeln. Mit der Zeile „She breaks just a little girl“ hatte Dylan jedenfalls eine treffende Beschreibung für Sedgwicks Leben gefunden, das schon mit 28 Jahren zu Ende war und von einer abgründigen Familiengeschichte bestimmt wurde, die sich wie der Plot einer „gothic novel“ liest. Edie, siebtes von acht Kindern eines reichen und patriarchalen Ranchbesitzers, wurde schon früh wegen ihrer Anorexie (eine Reaktion auf den sexuellen Missbrauch in ihrer Familie) in eine psychiatrische Klinik zwangseingewiesen, zwei ihrer Brüder begingen Selbstmord. Neben ihrer androgynen, fragilen Schönheit und ihrer elfenhaften Ausstrahlung muss dieser dunkle Schatten mit ein Grund für ihre magnetische Aura gewesen sein – zumindest Andy Warhol bemerkte bei ihrer ersten Begegnung fasziniert: „I’ve never seen a girl with so many problems.“ Sedgwick, die in New York als Model und It-Girl bekannt war, avancierte bald zu Warhols „Superstar“, sie trat mit ihm gemeinsam bei öffentlichen Anlässen auf, spielte in zahlreichen seiner Filme mit, u.a. in „Poor Little Rich Girl“ (1965), der schon im Titel so etwas wie eine Vorahnung in sich trägt. Nach knapp einem Jahr kam es durch die Bekanntschaft mit Bob Dylan und einem geplanten Filmprojekt zum Bruch mit Warhol – diese Verwerfung, die einem Ausschluss aus der Factory gleichkam, verstärkte ihre Drogensucht, es folgte ein selbstzerstörerischer Absturz. Das ist viel Stoff für einen Film, zu viel jedenfalls für ein klassisches Biopic, und genau darin liegt das Problem. George Hickenloopers Drama müht sich von Anfang an mit der Überfülle an Material ab: Da sind die Familiengeschichte, die Pop Art, die überaus komplexe Figur Warhols, die Mode, die Drogen, und da ist vieles mehr. „Factory Girl“ hetzt uninspiriert von einer Station zur nächsten, erklärt mal in zwei Sätzen die Pop Art und zeigt an anderer Stelle den Katholizismus Warhols und sein Faible für Süßigkeiten – man sieht ihn während der Beichte Pralinen essen. Das Abarbeiten von Kunstgeschichte betrifft auch die arrangierte Ausstattung: Die Brillo-Boxes stehen gleich am Eingang, damit sie auch ja nicht übersehen werden. Wer die bekannten Fotos von Edie Sedgwick kennt, wird sie alle im Film wiederfinden – bei so viel angestrengter Bemühung um Authentizität (zahlreiche Szenen im Super-8-Look simulieren den Look von Archivmaterial) gibt es keinen Raum, in dem sich die Figur entfalten kann. Durch Fakten lässt sich Edie aber nicht ansatzweise erklären, immerhin ist sie die erste Figur, die dafür berühmt wurde, einfach sie selbst zu sein (das, was Paris Hilton mit ungleichem Medienaufwand auf recht banale Weise gelungen ist). Zudem vereinfacht der Film genau da, wo es interessant gewesen wäre, komplexer und subtiler zu erzählen. Das Verhältnis zwischen Warhol und Edie wird als Liebesgeschichte behauptet – sehen tut man davon jedoch nichts, sieht man einmal von Warhols stereotyp glotzendem Blick auf seine Muse ab. Truman Capote hat einmal gesagt, Edie sei für Warhol die Person gewesen, die er selbst gerne gewesen wäre, und auf den Fotos wirken beide tatsächlich wie ein eingeschworenes Zwillingspaar, mit ihren gestreiften Shirts und den silber gefärbten Haaren. Doch von dieser Qualität spürt man in der Filmerzählung nichts. Vielmehr wird eine klassische Eifersuchtsgeschichte erzählt – eine Frau zwischen zwei Männern –, indem ein an Bob Dylan angelehnter Folk-Sänger als Konkurrent eingeführt wird (der darf im Film aber wegen einer gerichtlichen Klage Dylans nicht so heißen). Der Sänger steht für das Authentische, Ehrliche, Warhol für den schönen Schein, hinter dem sich nur Leere verbirgt. Diese Verkürzung auf eine Dreiecksbeziehung lässt erneut den Raum allzu eng werden und bleibt völlig im Privaten verhaftet. Dabei war die Factory nicht zuletzt ein Ort für Kollektivität, eine Alternative zum traditionellen Lebensentwurf, der für Leute aus der Upper Class vorgezeichnet war – ein Ort, in dem jeder ein Star sein konnte (auch wenn dieser Status wieder leicht zu verlieren war) und Sexualität jenseits heterosexueller Normen gelebt werden konnte. Um eine Ahnung von diesem utopisch aufgeladenen Zusammenhang zu vermitteln, reicht es nicht aus, ein cooles Magazin-Ambiente zu verbreiten und im Hintergrund einige schräge Statisten agieren zu lassen. So kommt „Factory Girl“ nie über das Niveau eines Coffee-Table-Book hinaus und bleibt bis zuletzt eine recht gewöhnliche Geschichte über den traurigen Absturz eines schönen Mädchens.
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