Nicht dran denken

Komödie | Italien 2007 | 104 Minuten

Regie: Gianni Zanasi

Ein Punkrock-Musiker Mitte 30 kehrt nach beruflichen wie privaten Tiefschlägen aus Rom in die norditalienische Provinz zu seiner Familie zurück. Dort erwarten ihn nach der liebevollen Aufnahme weitere Probleme, weil sein Bruder das Familienunternehmen auf den finanziellen Ruin zusteuert. Ebenso tiefgründige wie unterhaltsame Familienkomödie über die Generation der 30- bis 40-Jährigen, die nach neuem Halt suchen und ernüchtert zur Kenntnis nehmen müssen, was aus ihren Lebensplänen und -träumen geworden ist. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
NON PENSARCI
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Pupkin Prod./ITC Movie
Regie
Gianni Zanasi
Buch
Gianni Zanasi · Michele Pellegrini
Kamera
Giulio Pietro Marchi
Musik
Matt Messina
Schnitt
Rita Rognoni
Darsteller
Valerio Mastandrea (Stefano) · Anita Caprioli (Michela, Stefanos Schwester) · Giuseppe Battiston (Alberto, Stefanos Bruder) · Teco Celio (Walter, Stefanos Vater) · Gisella Burinato (Stefanos Mutter)
Länge
104 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Komödie
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Diskussion
Es beginnt mit einer Bauchlandung: Als der Sänger von Stefanos Punkrock-Band zum „Stage Diving“ ansetzt, bleiben die ausgestreckten Arme der Fans aus; der Musiker landet schmerzhaft auf dem Boden. Allzu viel Rückhalt hat die Band beim Publikum augenscheinlich nicht. Als Stefano nach dem missglückten, vorzeitig abgebrochenen Gig nach Hause kommt, wartet die nächste böse Schlappe: Seine Freundin ist nicht alleine, sondern hat einen Mann bei sich, ausgerechnet den Gitarristen einer anderen Band. Stefano scheint in dieser peinlichen Situation noch nicht einmal mehr die Energie oder das Selbstbewusstsein für einen gepflegten Wutanfall zu haben, sondern quält sich durch einige Minuten verstörter Konversation, macht seinem Rivalen ein Kompliment für das letzte Album und ergreift die Flucht. Diese führt ihn fort aus Rom, zurück in die norditalienische Provinz zu Mutter, Vater, Bruder und Schwester. Doch auch da brechen nach den ersten liebevollen Umarmungen unangenehme Überraschungen über ihn herein. Stefanos älterer Bruder Alberto, der zwei Kinder hat und von seiner Frau getrennt lebt, schlittert auf eine Katastrophe zu, die die ganze Familie mitzureißen droht: Die Kirschkonservenfabrik, die er vom Vater übernommen hat, steht kurz vor dem Ruin, und sämtlicher hypothekenbelasteter Besitz einschließlich des Elternhauses droht, in die Hände der Banken zu fallen. Um Bruchlandungen, Enttäuschungen und darum, wie man mit ihnen weiterlebt, geht es in Gianni Zanasis Ensemble-Film „Nicht dran denken“. Im Mittelpunkt steht dabei die Generation der 30- bis 40-Jährigen (Zanasi selbst ist Jahrgang 1965), die als Kinder der 1960er- und 1970er-Jahre mit einer Vielfalt an Freiheiten und (materiellen) Möglichkeiten groß geworden sind und nun, so zumindest die Analyse des Films, recht ernüchtert vor dem stehen, was aus den Plänen und Träumen, die sie wohl als Teens und Twens hatten, geworden ist. Hat Stefano seinem Leben eine falsche Richtung gegeben, als er auf eine bürgerliche Laufbahn verzichtete und sich für das Musiker-Leben entschied? Oder hat Alberto alles falsch gemacht, als er seine sportlichen Ambitionen begrub, um den väterlichen Betrieb zu leiten? War es ein Fehler, dass ihre Schwester die Uni verließ, um in einem Sealife Center mit Delphinen zu arbeiten? Wenn im Soundtrack Polka- und Opernklänge auf Punk- und Indie-Rock, einen italienischen Schlager und Chopins „Nocturne“ treffen, spiegelt das akustisch Stefanos Unentschlossenheit, sein Schwanken zwischen verschiedenen Lebensmodellen wider. Valerio Mastandrea gelingt in seiner Darstellung dieses „verlorenen Sohnes“ ein feiner Balanceakt: Coolness und Lässigkeit einerseits, aber auch Hilflosigkeit und Ratlosigkeit spiegeln sich auf dem schlecht rasierten Gesicht dieses mit 36 Jahren schon sehr „großen“ Jungen, der vor seinen Rückschlägen in den Hafen der Familie fliehen will und dort unversehens in die Rolle des Katalysators gerät, der dafür sorgt, dass Verdrängtes an die Oberfläche kommt und Risse offenbar werden. Das Wanken von Lebensentwürfen-, -ansichten und -träumen, das Stefano und eine Vielzahl anderer, pointiert gezeichneter Figuren im Lauf der Handlung durchmachen müssen, würde dabei allemal den Stoff für ein deprimierendes Drama abgeben. Offensichtlich huldigt Zanasi aber einer ähnlichen Auffassung wie seine Figur Alberto: Man tut sich keinen Gefallen, wenn man eine Misere noch größer macht, als sie ist, indem man sie allzu ernst nimmt. Während bei Alberto diese Haltung dazu führt, dass er sich widerstandslos auf den persönlichen und beruflichen Abgrund zutreiben lässt, schlägt sie sich in der Inszenierung durchaus positiv nieder, nämlich in einer wunderbaren Nonchalance. Zanasi erzählt seinen Film als Komödie, in der sich die Überspanntheiten und Schrullen der Figuren nie zu einem Maß an Skurrilität versteigen, das ihre Lebensnähe oder Glaubwürdigkeit gefährden würde. Und die Klangfarben der schamlos bunten Musikauswahl, mit der er den Film unterlegt, nehmen den Ereignissen oft ihre Düsternis, fahren wie ein Wind unter die geknickten Flügel der Protagonisten und erhalten beim Zuschauer die Hoffnung aufrecht, dass irgendwann die Serie von Misserfolgen durch eine gute Wendung unterbrochen werden könnte. Letztlich rundet sich der Film zu einem zärtlichen, aber auch ambivalenten Loblied auf „la famiglia“: Da wird die bedingungslose Liebe, aber auch das Unverständnis zwischen der Kinder- und der Elterngeneration und zwischen den Geschwistern reflektiert, die große Vertrautheit, die auch nach langer Trennung schnell wieder gefunden wird, und der Schmerz, den man sich gegenseitig bereitet, wenn Fremdheiten aufbrechen. Trotz aller Schattenseiten wird aber umso deutlicher, je näher man Stefanos Durchschnitts-Familie kennenlernt: Selbst wenn es doch zum Absturz für das ein oder andere Mitglied kommen sollte – es wird Hände geben, die sich ausstrecken, um den freien Fall aufzufangen.
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