- | Japan 2006 | 127 Minuten

Regie: Hirokazu Kore-eda

Einen eher schlecht als recht kämpfenden Samurai, der den Tod seines Vaters rächen will, verschlägt es auf der Suche nach dem Täter in ein Armeleute-Viertel der Hauptstadt, wo er den Kindern Rechnen, Lesen und Scheiben beibringt, sich mit dem Sohn einer Witwe anfreundet und sich in diese verliebt. Unterhaltsame Sozialsatire, die allen Verlockungen des Genres widersteht und augenzwinkernd ein tradiertes Wertesystem hinterfragt. Die kluge Inszenierung, der hervorragende Hauptdarsteller und die prächtige Fotografie lassen über einige Längen, Klischees und Unstimmigkeiten hinweg sehen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
HANA YORI MO NAHO
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Hana Film/Shochiku Kinema
Regie
Hirokazu Kore-eda
Buch
Hirokazu Kore-eda
Kamera
Yutaka Yamazaki
Schnitt
Hirokazu Kore-eda
Darsteller
Junichi Okada (Aoki Souzaemon aka Soza) · Rie Miyazawa (Osae) · Arata Furuta (Sadashiro) · Jun Kunimura (Isekan) · Katsuo Nakamura (Shigehachi)
Länge
127 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
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Heimkino

Verleih DVD
Trigon (16:9, 1.85:1, DD2.0 jap.)
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Diskussion
Kinogänger sind assoziative Wesen. Sie müssen nur „Samurai“ hören und schon sehen sie kreisende Schwerter vor ihrem inneren Auge, wehende Gewänder und kunstvoll inszenierte Kampfchoreografien. Der japanische Regisseur Hirokazu Koreeda weiß um diese gängigen Klischees. Wer jedoch „Nobody Knows“ (fd 36 980), den letzten Spielfilm des langjährigen Dokumentarfilmers, kennt, ahnt, dass er solche konventionellen Erwartungen kaum erfüllen wird. In „Nobody Knows“ beobachtete Koreeda vier Kinder, die, von ihrer Mutter verlassen, in einem Tokioter Apartment auf sich alleine gestellt sind. Mit quälender Genauigkeit zeigt er, wie die Zustände in der Wohnung sich beständig verschlechtern, so sehr die Kinder sich auch um die Aufrechterhaltung des Status quo bemühen. Von der Außenwelt werden sie kaum wahrgenommen. Ihre Isolation und Einsamkeit werden zum Sinnbild für die soziale Kälte der Moderne. In „Hana“ wendet sich Koreeda jetzt der zu Beginn des 18. Jahrhunderts angesiedelten, derb-burlesken, nichtsdestotrotz charmanten Dekonstruktion des heroischen Samurai-Mythos zu. Der in der japanischen Gesellschaft tief verwurzelte Ehrbegriff wird dabei auf humorvolle Weise umdefiniert, sodass der traditionelle Rachegedanke darin am Ende nichts mehr zu suchen hat. Zunächst aber dreht sich alles um ihn: Der junge Samurai Aoki Soza zieht vom Land in die Hauptstadt Edo, dem heutigen Tokyo, um dort den Mann ausfindig zu machen, der seinen Vater tötete. Am Sterbebett versprach Soza dem Vater, seinen Tod zu rächen. Soza, von Junichi Okada so nonchalant und ein wenig schrullig gespielt, als wäre er die japanische Antwort auf Johnny Depp, ist allerdings alles andere als ein Held. Seine Fertigkeiten im Schwertkampf sind kläglich, und außerdem verabscheut er Gewalt. Während die Samurai-Kaste darunter leidet, dass die japanische Geschichte gerade eine relativ friedliche Phase durchlebt, freundet sich Soza schnell mit den einfachen Leuten des ärmlichen Viertels an, in das ihn seine Suche verschlägt. Er bringt den Kindern nicht etwa den Umgang mit dem Schwert bei, sondern Rechnen, Lesen und Schreiben. Besonders gut versteht er sich mit dem Sohn der schönen Witwe Osae, zu dem er eine väterliche Freundschaft entwickelt, während sich zwischen den Erwachsenen eine zaghafte Romanze entspinnt. Doch obwohl sich der Samurai in seiner neuen Nachbarschaft zu Hause fühlt, verfolgt ihn doch das Versprechen, das er seinem Vater am Sterbebett gab. Er findet schließlich auch seinen „Feind“ und sieht sich vor die Entscheidung gestellt, den Weg des „Helden“ einzuschlagen oder den eines „Feiglings“. Bis zu diesem Zeitpunkt hat sich Soza immer wieder als Schwächling entpuppt. Ein großmäuliger Samurai, der ihn zum Zweikampf drängte, verprügelte ihn wie einen kleinen Schuljungen. Längst ist er zum Gespött und Schandfleck der anderen Samurai geworden. Aber Soza hält den Kopf stolz nach oben; der Moment, an dem er zeigen kann, was in ihm steckt, scheint endlich gekommen. Doch Hirokazu Koreeda widersteht den Verlockungen des Genres. Statt einer „Coming of Age“-Geschichte, in der ein Loser sich zum Helden entwickelt, entlarvt er das Wertesystem, das eine solche Verwandlung einfordert, als lächerlich und grotesk. „Dieser Film“, lässt sich der Regisseur zitieren, „ist nicht eine Geschichte vom Übergang ins Erwachsenenalter, in der das Schwache im Kontakt mit der Wirklichkeit stark würde. Es ist eine Bestätigung des Schwachen, das schwach bleibt. Der Sinn von Schwäche ist immer abhängig vom Kontext und Umfeld.“ Das historische Umfeld verwandelt sich deshalb in eine Farce. Den ganzen Film über proben die Bewohner des ärmlichen Quartiers nämlich ein Rache-Theaterstück. Dies ist ein alberner Bauernschwank, der die traditionellen Samurai-Tugenden in hysterischer Überzeichnung ad absurdum führt. Je länger der Film dauert, desto mehr gleicht sich die Realität diesem Stück an, bis sie sich selbst in eine Aufführung verwandelt. Umgeben von lauter liebevoll karikierten Klischeefiguren, bildet die Wahl-Kleinfamilie um Soza, Osae und ihren Sohn eine romantische Insel, die für nachdenkliche Zwischentöne in einer ansonsten eher grobschlächtigen, teilweise aber herrlich komischen Sozialsatire sorgt. Wie auf einer Bühne entfaltet Koreeda das Quartiersleben, das trotz der vielen wunderbar poetischen Aufnahmen kulissenartig erscheint. Dabei verzettelt er sich jedoch in allzu vielen Nebensträngen. Ein Wohnungsspekulant will das Viertel abreißen und neu aufbauen, ein Mann begegnet seiner großen Liebe wieder, die aber mittlerweile verheiratet ist (und zwar mit dem Wohnungsspekulanten). Überall geschieht etwas, und doch geht nichts richtig voran. Auch hier beweist Hirokazu Koreeda Mut zum Genrebruch und entwickelt seinen Film zu einer heiteren Liebeserklärung an das kleine, unscheinbare wahre Leben. „Hana“ demonstriert eindrucksvoll, was es für einen unterhaltsamen Samurai-Film alles nicht braucht, und liefert dank hervorragender Hauptdarsteller und der prächtigen Fotografie reichlich von dem, was es braucht. Langeweile, das führt er ebenfalls vor Augen, ist wie Schwäche „immer abhängig vom Kontext und Umfeld“. Trotzdem ist „Hana“ insgesamt und besonders an seinen Peripherien eine halbe Stunde zu lang.
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