Übergeschnappt

Kinderfilm | Niederlande/Belgien 2005 | 81 Minuten

Regie: Martin Koolhoven

Als seine Mutter nach dem Tod der Großmutter in manisch-depressive Zustände verfällt, hofft ein neunjähriges Mädchen, dadurch einen Ausweg aus der krise zu finden, dass es für die Mutter einen Mann findet. Ein trotz des ernsten Themas optimistischer Kinderfilm, der Komik und Tragik wunderbar austariert und die heilsamen Kräfte der Fantasie beschwört. Dabei beschwört er eine märchenhaft schöne Stimmung und bezaubert durch seine kleine Hauptdarstellerin. - Sehenswert ab 8.
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Filmdaten

Originaltitel
KNETTER
Produktionsland
Niederlande/Belgien
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
A Private View/Lemming Film/VAF/VPRO Television
Regie
Martin Koolhoven
Buch
Mieke de Jong
Kamera
Menno Westendorp
Musik
Dirk Brossé
Schnitt
Job ter Burg
Darsteller
Jesse Rinsma (Bonnie) · Tom van Kessel (Koos) · Carice van Houten (Lis) · Frieda Pittoors (Puch) · Daan Schuurmans (Cees)
Länge
81 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 8.
Genre
Kinderfilm
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Heimkino

Verleih DVD
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Diskussion
Ein Film über ein neunjähriges Mädchen, dessen Mutter manisch-depressiv ist, tagelang missmutig im Bett liegt oder peinliche Auftritte abliefert, und das durch den plötzlichen Tod der geliebten Großmutter seinen einzigen Halt im Leben verliert – das klingt nicht gerade nach Gute-Laune-Kino. Dennoch gelingt dem holländischen Regisseur Martin Koolhoven mit seinem warmherzigen Kinderfilm „Übergeschnappt“ genau dieses. Formal lässt sich sein Film nie von seinem tristen Thema anstecken. Stattdessen versucht er ganz im Gegenteil, Tod und Krankheit mit sonnendurchfluteten Bildern, kräftigen Farben, fröhlicher Musik und viel Humor den Schrecken zu nehmen. Je trauriger das Geschehen, desto komödiantischer, unrealistischer die Inszenierung, so scheint Koolhovens Formel zu lauten. Und sie geht auf. Anders als bei seiner enervierend lauten und auf schräg getrimmten romantischen Multi-Kulti-Komödie „Schnitzelparadies“ (fd 38 066) finden Komik und Tragik hier wunderbar ins Gleichgewicht. Spaß und Ernst tarieren sich jedoch nie zu einer stimmigen Studie aus, sondern bleiben stets auf der sicheren Seite einer optimistischen und heilsam-naiven Kinderfantasie. Die Welt, in der die kleine Bonnie lebt, ist alles andere als frei von Problemen, trotzdem erscheint sie kaum wirklicher als das Reich Pippi Langstrumpfs. Stabil und unerschütterlich geht die charakterstarke Bonnie ihren Weg, nie gerät sie ernsthaft in Gefahr, nie verzweifelt sie bis ins Innerste, nie muss man sich wirklich um sie sorgen. Über diesem kindgerechten Sicherheitsnetz aber balanciert das Drehbuch von Mieke de Jong anspruchsvolle Themen aus, die das Publikum mit den Schattenseiten des Lebens konfrontieren. Als Bonnies Großmutter stirbt, setzt Koolhoven dies fast slapstickartig in Szene: Beim Backen bemerkt die Oma, dass Bonnie, die auf Rollerblades zur Schule fuhr, ihre Stiefel vergessen hat. Schnell will sie ihr die Schuhe bringen, eilt über die Straße und wird von einem Auto erfasst. Der Zuschauer sieht nur, wie die Stiefel durch die Luft fliegen. Die inszenatorische Leichtigkeit löscht die emotionale Schwere dieses tragischen Moments jedoch nicht aus. Koolhoven und de Jong spüren das und stellen sich der Trauer, indem sie Bonnie einen rührenden Abschied ermöglichen. Das Mädchen schleicht sich nachts zu der im Wohnzimmer aufgebahrten Großmutter, legt sich neben sie und kuschelt sich an sie. Als Bonnies Mutter Lis das sieht, reagiert sie darauf nicht etwa entsetzt, sondern greift nach einem Laken und deckt die beiden zu. Tage später sitzen Mutter und Tochter gemeinsam auf der Terrasse und verdrücken den Kuchen, den ihnen die Oma wie ein Abschiedsgeschenk zurückgelassen hat. Geradezu idyllisch wirkt dieser Tod. Die Schwierigkeiten beginnen hinterher, mit dem Weiterleben. Lis verkriecht sich über Wochen ins Bett – apathisch, unansprechbar. Bonnie vertreibt sich die Zeit, so gut es geht, mit ihrem Schulfreund Koos. Sie klettern in ihr Baumhaus, beobachten die schrullige Nachbarin durchs Fernglas und denken sich blutrünstige Geschichten dazu aus. Als Koos einen kleinen Bruder bekommt und zum Babysitten verdonnert wird, glaubt Bonnie, endlich die Lösung ihrer Probleme gefunden zu haben. Ein Baby würde ihre Mutter bestimmt aus der Lethargie reißen. Nur, wo findet sich der passende Vater dazu? Komisch, liebenswert und ohne erhobenen Zeigefinger begibt sich „Übergeschnappt“ mit Bonnie auf die Suche nach einem Mann für ihre Mutter. Samtige Bilder, wohlige Töne und verspielte Kamerafahrten erzeugen dabei eine märchenhaft schöne Stimmung, in der die Liebe mit den Hindernissen wächst, und das Glück gerade dadurch besonders kostbar wird, dass es sich erst am Ende eines steinigen Weges einstellt. Das ist alles so malerisch, so ergreifend und von Jesse Rinsma in der Hauptrolle so zauberhaft gespielt, dass kaum auffällt, wie wenig sich zwischen den Szenen eigentlich verändert und wie viel sich wiederholt. Eine Frau vom Jugendamt kommt und geht, der ersehnte Liebhaber für Lis taucht auf und wird von Bonnie wieder vertrieben. Viel mehr Plot gibt es nicht und bräuchte es auch nicht für einen Film, der sich Zeit nimmt und der die Augenblicke einfängt, wäre da nicht dieses abrupte Ende, das so hingeschludert wirkt, wie ein nach dem „Stifte weglegen!“ schnell noch hingeschmierter Schlusssatz eines Schulaufsatzes.
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