Der Weg nach Mekka - Die Reise des Muhammad Asad

Dokumentarfilm | Österreich/Frankreich/Niederlande 2007 | 92 Minuten

Regie: Georg Misch

Leopold Weiß, Orient-Korrespondent und Spross einer angesehenen jüdischen Familie, konvertierte 1926 zum Islam. Als Mohammad Asad avancierte er zum bedeutenden muslimischen Denker, Diplomaten und Koran-Übersetzer. Entlang dieser Biografie macht der Dokumentarfilm mit Asads Sicht eines menschlich-toleranten Islams vertraut, spiegelt in seiner listigen Montage Gegenwart und Vergangenheit ineinander und konfrontiert mit religiöser Kleingeisterei und Fanatismus. Zugleich vermittelt sich so ein Kaleidoskop verblüffend moderner Innenansichten der islamischen Welt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
DER WEG NACH MEKKA - DIE REISE DES MUHAMMAD ASAD
Produktionsland
Österreich/Frankreich/Niederlande
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Mischief Films/ORF/arte/NMO
Regie
Georg Misch
Buch
Georg Misch
Kamera
Joerg Burger
Musik
Jim Howard
Schnitt
Marek Kralovsky
Länge
92 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Dialoge haben derzeit einen schweren Stand; im öffentlichen Diskurs ist die Vokabel nahezu tabu. Selbst unter dem Terminus „Gespräche“ ist der Austausch zwischen rivalisierenden Lagern und Weltanschauungen auf Eis gelegt, sei es in Israel/Palästina, sei es mit Russland oder dem Iran; vom Islam als kollektivem Schreckgespenst ganz zu schweigen. In dieses Vakuum stößt ein Dokumentarfilm über einen islamischen Visionär, der alle landläufigen Ansichten über die Muslime in Frage stellt: Muhammad Asad, oder wie er mit bürgerlichem Namen hieß: Leopold Weiß (1900-1992). Das Revolutionäre an seiner Gestalt ist biografischen Ursprungs: Weiß wurde 1900 als Sprössling einer angesehenen jüdischen Familie in Lemberg (in der heutigen Ukraine) geboren, wuchs in Wien heran und reiste 1922 als Korrespondent der Frankfurter Zeitung erstmals in den Orient und nach Asien. Wie es ihm dort erging und wie er zu einem der bedeutendsten muslimischen Denker des 20. Jahrhunderts wurde, hat er in seiner Autobiografie „Der Weg nach Mekka“ sehr anschaulich niedergeschrieben; ein „Worldseller“, gewidmet „the people who think“, der in der islamischen Welt (wenngleich meist in zensierter Gestalt) bis heute weite Verbreitung findet und 2009 auch in Deutschland wiederaufgelegt werden soll. Eine Ahnung vom abenteuerlichen Leben dieses Mannes vermittelt auch der Film des österreichischen Dokumentaristen Georg Misch, der den Stationen von Asads Lebensweg vom äußersten Rand der k.u.k-Monarchie bis zum letzten Aufenthaltsort in Andalusien folgt. Glücklicherweise begnügt sich Misch („Calling Hedy Lamarr, fd 38 225) nicht mit einer historiografischen Nachzeichnung von Fakten und Ansichten, sondern gestaltet seine Annäherung als lustvoll durchtriebene und visuell betörende Konfrontation von Vergangenheit und Gegenwart. Das beginnt schon bei der Spurensuche im Geburtsort, wo verbiestert darüber gestritten wird, ob Weiss/Asad nun dem Judentum oder dem Islam zuzurechnen sei, und strebt am Grab in Granada einem kuriosen Höhepunkt entgegen, wenn der Iman darauf besteht, dass Asads letzte Ruhestätte von christlichen Einflüssen gesäubert werden müsse. Mit solchen sarkastischen Spitzen, allesamt den Zeitgenossen vor der Kamera abgelauscht, stellt der Film die Kleingeisterei und religiöse Intoleranz aus, die Asads lebenslanges Bemühen um Ausgleich und Verständnis Hohn sprechen; dass der Grenzgänger, Diplomat und Übersetzer, der 17 Jahre lang an einer englischen Koran-Ausgabe feilte, über der intellektuellen Abschottung des Islams und der Intoleranz der Extremisten verzweifelte und vereinsamt starb, passt zu diesen traurigen Szenerien. Begonnen hatte alles mit einer fast magischen Faszination für das Leben der palästinensischen Beduinen, deren Ruhe und Stolz für Weiß in krassem Gegensatz zum hektischen Leben der wilden 1920-Jahre in Wien stand. Die Lebenslehre des Propheten schien ihm eine menschliche Gesellschaft mit einem Minimum an Konflikten und einem Maximum an Brüderlichkeit zu gewährleisten. Außerdem überzeugte ihn die Universalität des Islam, die seinem Verständnis nach viel eher dem allgemeinen Menschenverstand entsprach als der jüdische Gedanke einer erwählten Minderheit. 1926 zog er die „logische Konsequenz“, trat zum Islam über und begab sich auf eine monatelange Pilgerfahrt nach Mekka. Er verbrachte einige Jahre mit Koran-Studien in Saudi Arabien, überstand den Zweiten Weltkrieg in einem britischen Internierungslager in Indien (während seine Angehörigen im Konzentrationslager ermordet wurden), beteiligte sich an der Gründung Pakistans, dem ersten muslimischen Staat, den er als Botschafter bei der UNO vertrat, kehrte der Politik 1952 aber enttäuscht den Rücken und widmete sich fortan als Gelehrter dem Versuch, seine Sicht des Islam populär zu machen: nämlich als friedlicher, auf Ausgleich und Verständigung bedachter Religion. Ein so bewegtes Leben ist weit mehr, als ein Dokumentarfilm bewältigen kann. Misch versucht deshalb erst gar nicht erst, tiefer in die Biografie einzudringen, sondern begnügt sich mit skizzenhaften Konturen. Ein altes Fotoalbum gewährt kurze chronologische Momentaufnahmen, mit denen die prägnant fotografierte Impressionen der filmischen Recherche rund um den Erdball strukturiert werden. Dazwischen sind Inserts aus Asads Schriften gestreut; Filmaufnahmen und Tondokumente mit und von Asad vermitteln authentische Eindrücke, die neugierig machen auf das erzählerische Talent des Intellektuellen, aber auch auf seine grundsympathische, welterfahrene Persönlichkeit. Der Film als Ganzes aber leistet weit mehr: Er überrascht mit einem Kaleidoskop verblüffend moderner Innenansichten der islamischen Welt, unter denen der Gender-Diskurs nur eine Konstante ist. Um es mit Asads Koran-Übersetzung anzudeuten: Das berüchtigte Diktum aus Vers 4:34, dass die Männer über die Frauen „herrschen“, verliert in seiner Exegese als „sich kümmern“ jede patriarchale Schärfe. Diskussionsrunden pakistanischer „Asadianer“, Gespräche arabischer Schriftsteller oder ein Interview mit dem ehemaligen saudischen Ölminister unterstreichen, dass Pluralismus, Toleranz und Mäßigung grundlegende Forderungen des Islam sind und die Demokratie seine inhärente Regierungsform. Sie lassen aber auch erahnen, warum die islamischen Autokratien allen Grund haben, ihre Bevölkerung von solchen Gedanken abzuschotten.
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