Waltz With Bashir

Dokumentarfilm | Israel/Frankreich/Deutschland 2008 | 90 Minuten

Regie: Ari Folman

Mit den formalen Mitteln des Animationsfilms wird an die Massaker in den Palästinenserlagern Sabra und Shatila erinnert, wobei sich der Film die Freiheit nimmt, Bilder von Ereignissen und Situationen zu finden, für die es eigentlich keine Bilder gibt. Mitreißend und zugleich hochreflexiv leistet er nicht nur intensiv Erinnerungsarbeit, sondern setzt eine ganze Reihe von Mediendiskursen in Gang. Ein ebenso kluges wie experimentierfreudiges Meisterwerk. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
WALTZ WITH BASHIR | VALS IM BASHIR | VALSE AVEC BACHIR
Produktionsland
Israel/Frankreich/Deutschland
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Bridget Folman Film Gang/Les Films d'Ici/Razor Film/Arte France/ITVS International
Regie
Ari Folman
Buch
Ari Folman
Musik
Max Richter
Schnitt
Nili Feller
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Auf dem Filmfestival in Cannes und kurz darauf beim Filmfest München galt Ari Folmans „Waltz with Bashir“ als eine Sensation, als der Film, über den man spricht. Schon das eigenwillige Filmplakat machte neugierig: Bewaffnete, halbnackte junge Männer, wahrscheinlich Soldaten, steigen aus dem Meer und nähern sich im Morgengrauen einer Stadt, die von Granaten gelblich-golden erleuchtet ist. Das Plakat verspricht einen Animationsfilm, vielleicht einen Kriegsfilm, vielleicht einen Agentenfilm. Allerdings gedreht von einem Filmemacher, der bislang als Dokumentarist auf sich aufmerksam gemacht hatte. Ein animierter Dokumentarfilm also? Das ist ungewöhnlich, schließt sich eigentlich aus. „Waltz with Bashir“ erzählt von Traumatisierung, Recherche und Aufklärung, wobei der Film sich die Freiheit nimmt, Bilder zu finden, wofür keine Bilder existieren, wofür aber Bilder gefunden werden können. Auf einer Meta-Ebene könnte man sie dann „wie“ dokumentarisches Material behandeln. Ein Freund des Filmemacher Ari wird immer wieder von Albträumen heimgesucht, in denen er von 26 wilden Hunden gejagt wird. Es handelt sich wahrscheinlich um eine Erinnerung an den israelisch-libanesischen Krieg vom Sommer 1982, doch Ari selbst kann sich an nichts aus dieser Zeit erinnern. Es begibt sich auf eine Reise, befragt alte Freunde, Zeitzeugen und Psychologen, setzt Erinnerungsfragmente zusammen und kommt schließlich dem skandalösen Grund für die (vielleicht gesellschaftlich verallgemeinerbare) Amnesie auf die Spur: die Massaker von Sabra und Shatila, als christliche Falangisten unter den Augen der sich passiv verhaltenden israelischen Armee über die Bewohner der Palästinenserlager herfielen. Diese stringente Formulierung vermittelt indes nichts von der Wucht und auch der geheimnisvollen Atmosphäre des Films. Es handelt sich dabei nämlich um alles andere als einen Thesenfilm, er ist vielmehr ein polyphoner Trip. Der Film entwirft aus streng subjektiver Perspektive ein impressionistisches Erinnerungskaleidoskop, spielt dabei mit Narrationen, die man aus ganz anderen, unverbindlicheren Zusammenhängen kennt: aus Spielfilmen, aus Dokumentationen, aus dem Kino und dem Fernsehen. Wobei sich Folman gerne etwas narrativen Überschuss aus dem Genrekino gönnt, wo es Fernsehdokumentationen nur um die Information geht. Der Film selbst ist also Erinnerungs-Arbeit, er legt Bilder frei, indem er Bilder produziert, die es aus gutem Grund nicht gibt, nicht geben kann. Nicht jedes Bild ist dabei auf derselben Ebene angelegt: Konventionelles und Banales wird „toleriert“. So werden Bilder in den filmischen Diskurs einspeist, die aus anderen Zusammenhängen stammen – zum Beispiel aus Kriegsfilmen wie „Apocalypse Now“ (fd 22 192), „Full Metal Jacket“ (fd 26 400) oder „Black Hawk Down“ (fd 35 629) –, oder Bilder und Sounds der damaligen Gegenwartskultur (Mode, Popmusik) verwendet, die aber hier ganz gut zu passen scheinen, weil sie die Handlung „objektiv“ unterfüttern, wenn etwa P.I.L. ihren Hit „This is not a love song“ singen dürfen oder tatsächlich „stimmige“ Bilder für „Enola Gay“ von Orchestral Manoeuvres in the Dark gefunden werden. Ari Folmans Film ist ein solches „Manöver im Dunkeln“, erzählt er doch auch davon, wie eine Generation von jungen Soldaten plötzlich in blutige Scharmützel verwickelt wird und mischt dabei Erinnerungen mit filmischen Fiktionen, die das gleiche Thema bearbeitet haben. Wie funktioniert kollektive Erinnerung in einer Mediengesellschaft? Wann treten Filmbilder an die Stelle authentischer Erinnerungen? Werden sie dadurch authentifiziert? Gleichzeitig aber ist der Film auch geerdet durch die Momente der Recherche, die den Film strukturieren. Die Gespräche mit den Zeitzeugen wurden zunächst auf Video gedreht und anschließend animiert. Man muss sich nur einmal eine konventionelle zeitgeschichtliche Dokumentation auf Phoenix oder n-tv anschauen, um zu erkennen, welche Funken Folman aus der Freiheit der Animation zu schlagen versteht. „Waltz With Bashir“ ist so nicht nur auf allen Ebenen absolut auf der Höhe der philosophisch-ästhetischen Reflexionen über Medien- und Erinnerungsdiskurse, sondern dazu flott und mit Mut auch zu surrealen Effekten und Blindstellen erzählt. So bezieht sich der Titel auf eine Anekdote aus den Straßenkämpfen in Beirut. Im Film ist dieser legendäre Walzer sogar zu sehen, aber was heißt das schon? Allerdings sollte man über der großartigen und mitreißenden Machart des Films nicht vergessen, dass am Grund dieses Films ein prinzipielles ethisches Problem lauert, nämlich die Analogie der Massaker von Sabra und Shatila zum Holocaust: Passivität und Indifferenz führen zu moralischer Schuld, die insbesondere die Legitimität des Staates Israels beschädigt hat. Was das Nazi-Regime für die Deutschen und Vietnam für die Amerikaner, könnten die Ereignisse von 1982 für Israel sein. Der Film selbst ist gewissermaßen eine Bild gewordene, allgemeingesellschaftliche Psychotherapie. Auch wenn Ari Folman in Interviews gerne sophistisch bestreitet, dass „Waltz with Bashir“ ein politischer Film sei, weil ihm die Ausgewogenheit fehle (was für ein Argument!), so geht er doch über das rein Persönliche weit hinaus. Deshalb ist es auch nur ästhetisch und politisch konsequent, wenn der Film zum Ende seine künstlichen Welten wieder öffnet und die animierten Figuren mit Realfilm-Ausschnitten von 1982 konfrontiert: This is not a only movie! Aber trotzdem der klügste, reflektierteste und experimentierfreudigste Film des Jahres!
Kommentar verfassen

Kommentieren