Ich gehe jetzt rein

Dokumentarfilm | Deutschland 2008 | 73 Minuten

Regie: Aysun Bademsoy

Dokumentarfilm über fünf Berliner Türkinnen, die Mitte der 1990er-Jahre in zwei früheren Filmen von Aysun Bademsoy porträtiert wurden, als sie bei Agrispor Frauenfußball spielten. Ein Jahrzehnt später sind die damaligen Träume einer großen Ernüchterung gewichen. Ökonomisch, aber auch persönlich haben die Frauen viele Niederlagen und Enttäuschungen einstecken müssen. In ihren erwachsenen Gesichtern spiegeln sich jedoch nicht nur die Spuren des Lebens, sondern auch Lebensmut und Trotz, sich gegen alle Widrigkeiten zu behaupten. Ein buntes, sehr vielschichtiges Zeit-Puzzle, das als Generationsporträt ebenso besticht wie als Kommentar zum Stand der Integration in die deutsche Gesellschaft. - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Harun Farocki Filmprod./ZDF (Das Kleine Fernsehspiel)
Regie
Aysun Bademsoy
Buch
Aysun Bademsoy
Kamera
Nikola Wyrwich · Sophie Maintigneux
Schnitt
Bettina Blickwede
Länge
73 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Die deutsch-türkische Filmemacherin Aysun Bademsoy ist ein Glücksfall für das deutsche Dokumentarfilmschaffen. In ihren meist fürs Fernsehen produzierten Arbeiten wirft sie mit viel Gespür für Zwischentöne und einer reflektierten Dramaturgie erhellende Blicke ins türkische Migrantenmilieu. So knüpft sie in ihrem aktuellen Film nicht nur an ihre frühen Arbeiten „Mädchen am Ball“ (1995) und „Nach dem Spiel“ (1997) an; die darin begonnenen Porträts türkischer Fußballspielerinnen aus Berlin werden jetzt, ein Jahrzehnt später, als eine Art Langzeitstudie fortgeschrieben. Bademsoy hat sich außerdem einen Kopf gemacht, wie die unbeschwerten Bilder der temperamentvollen Teenagerinnen im neuen Film wieder auftauchen und welche Rolle sie darin spielen sollen. Ihre Lösung überrascht, entfaltet aber eine beträchtliche Tiefenschärfe: Zunächst sieht man den einzelnen Protagonistinnen dabei zu, wie sie auf die Bilder von damals reagieren; erst dann bekommt man die Jugendaufnahmen selbst zu Gesicht. Dieser inszenatorische Kniff erlaubt es der Regisseurin, mit ihren Gesprächspartnerinnen auf Anhieb die enorme Spannung zwischen damals und heute im Blick zu haben; er erleichtert aber auch dem Publikum den unmittelbaren Zugang zum Thema (und ist außerdem eine sehr lautere Methode, den scheinbar zeitenthobenen Objektivitätsanstrich filmischer Repräsentation zu relativieren). Bademsoy geht es dabei nicht um die einzelnen Biografien der fünf Frauen, sondern um ein Generationsporträt: um die Frage, was aus dem verheißungsvollen Aufbruch der jungen Agrispor-Kickerinnen geworden ist. Die Bilanz ist ernüchternd: Keine der jetzt Ende 20-Jährigen hat einen Schulabschluss geschafft, von einer Ausbildung ganz zu schweigen; jede musste überredet werden, wieder vor die Kamera zu treten, weil ihnen allzu bewusst ist, dass von ihren Träumen kaum etwas in Erfüllung gegangen ist. Die Zwillinge Nalan und Nazan haben dabei scheinbar das leichteste Los gezogen: verheiratet zu sein und Kinder zu haben, auch wenn im Interview dann fast nur ihre Männer parlieren. Arzu fiel anscheinend komplett durch das Netz, hat sich inzwischen aber wieder gefangen, fand in der Religion Halt und trainiert mit viel Ausdauer für den Marathon; die alleinerziehende Türkan rutschte von einer AB-Maßnahme in die andere und ist es endgültig leid, ständig zwischen allen Stühlen zu sitzen; nur Safiye spielt immer noch Fußball, eine zähe Fighterin, die alle Positionen einnehmen kann und sich sogar zur Trainerin hochgekämpft hat. Es ist ein buntes, sehr vielschichtiges und aufschlussreiches Zeit-Puzzle, das sich aus den zahllosen Momentaufnahmen ergibt, die eine große Vertrautheit mit der Filmemacherin signalisieren, aber auch von den Verletzungen und biografischen Brüchen erzählen, die keine von ihnen ungeschoren ließen. Doch wenn sie sich am Ende des Films nach langer Zeit wieder auf dem Fußballplatz treffen und zu einem enigmatischen Schlussbild vereinen, spiegeln sich in ihren erwachsenen Gesichtern nicht nur die Spuren der letzten Jahre, sondern auch ein Anflug von Trotz und Lebensmut. Diese Frauen haben noch nicht aufgegeben.
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