- | Norwegen/Deutschland/Frankreich 2007 | 89 Minuten

Regie: Bent Hamer

Einem norwegischen Lokführer steht der Ruhestand bevor. Als er für einen unbekannten Jungen das "Sandmännchen" spielen muss, verschläft er nicht nur seine Abschiedsparty, sondern auch seinen Anschlusszug. Wie ein urbaner Odysseus irrt der stoische Rentner daraufhin durch Oslo, begegnet skurrilen Gestalten und benutzt Fortbewegungsmittel, die auf allem, nur nicht auf Gleisen fahren. Das lakonische Porträt feiert das Post-Arbeitsleben als befreiten, aufregenden Daseinszustand. Ein gelassenes Stillleben und eine melancholische Fabel über die Großartigkeit von Kleinigkeiten, in der mit Situationskomik und Kuriositäten nicht gegeizt wird. - Ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
O'HORTEN | LA NOUVELLE VIE DU MONSIEUR HORTEN
Produktionsland
Norwegen/Deutschland/Frankreich
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Bulbul Films/Pandora Filmprod./Memento Films/Scanbox
Regie
Bent Hamer
Buch
Bent Hamer
Kamera
John Christian Rosenlund
Musik
John Erik Kaada
Schnitt
Pål Gengenbach
Darsteller
Bård Owe (Odd Horten) · Espen Skjønberg (Trygve Sissener) · Ghita Nørby (Fau Thøgersen) · Henny Moan (Svea) · Bjørn Floberg (Flo)
Länge
89 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Es ist seine letzte Fahrt: Lokführer Odd Horten sitzt im Führerhäuschen, die Kamera zeigt, was er sieht: Das gleißende Licht der vorbei rauschenden schneeweißen Landschaft Norwegens, kurzzeitig vom Dunkel der Tunnel unterbrochen, während sich Hortens Zug wie eine schwarze Raupe durch die winterlichen Täler windet. Der 67-Jährige soll aufs Abstellgleis geschoben werden, euphemistisch „Ruhestand“ genannt. Jahrzehntelang kutschierte er Fahrgäste durch Norwegen; unterdessen blieb die Zeit in seiner nahe an den Gleisen gelegenen Junggesellenwohnung inmitten des 1950er-Jahre-Mobiliars stehen. Selbst seine Zuneigung zu einer Pensionsbesitzerin aus Bergen, bei der er zwischen seinen Pendelfahrten Unterschlupf fand, rotiert in einer Warteschleife. Doch das scheint Odd Horten und seinem stoischen Gesichtsausdruck mit dem verhaltenen Schmunzeln wenig auszumachen, oder zumindest lässt er sich nichts anmerken. Die bizarre Verabschiedung durch die Kollegen, inklusive Lokführer-Hymne und Streckengeräusche-Raten, lässt Horten etwas wehmütig über sich ergehen. Doch dann geschieht etwas Ungewöhnliches. Den Mann, für den Wachheit das oberste Gebot war, überfällt ein hartnäckiges Schlummerbedürfnis, und das in den ungünstigsten Situationen. Horten verschläft als „Sandmännchen“ am Bett eines kleinen Jungen seinen Anschlusszug. Er nickt schwitzend in der Sauna ein, befindet sich plötzlich allein in einem leergefegten Schwimmbad und schon bald in einem blind durch Oslo gesteuerten Citroen. Irgendwann lebt Horten stellvertretend den Mädchentraum seiner nunmehr im Altersheim und in Erinnerungen verlorenen, dementen Mutter aus, indem er sich suizidal von der Osloer Holmenkollen-Schanze stürzt. Anders als bei seinen Alters- und Leidensgenossen, fängt das Leben dieses frischgeborenen Rentners wirklich mit 67 Jahren an. Horten wird bei seinem späten Sprung ins Leben aktiver und bedient sich dabei aller möglichen Fahrgeräte – vom Flughafen-Rollfeld-Mobil bis zum Ski. Nur den starren, geradlinigen Gleisen eines Zuges vertraut er nicht mehr, auch wenn ihn diese am Ende doch noch zur verzögerten Liebe seines Lebens führen. Man merkt bald, dass in dieser lakonisch gestimmten Betrachtung des Post-Arbeitslebens gerade die Ausfallerscheinungen in eine Verkettung skurriler Begegnungen führen. Kein unnötiger Dialog, kein überflüssiges Bild stört das von statischen Einstellungen geprägte, puristische Stillleben über die Wunderlichkeit einer Welt, in die hinein man aussteigen muss, wenn man in der Endstation angekommen ist. Ähnlich wie „About Schmidt“ (fd 35 843) entlarvt Bent Hamers Rentnerporträt den neuen Altersabschnitt als reichhaltiges, tragikomisches Füllhorn, in dessen Bodensatz jedoch immer noch die verpassten Gelegenheiten der Jugend durchzuschimmern scheinen. Insofern ist „O’Horten“ bei aller optimistisch kuriosen Situationskomik auch ein latent trauriger Film, der die Versäumnisse des Lebens ebenso verhalten aufwühlt, wie er seiner Figur den Spiegel der eigenen Sterblichkeit vorhält: Ein alter Freund stirbt, wie auch ein neu hinzugewonnener. Dagegen gleicht der gereifte Mann Horten, der sich auf den Wegen des Zufalls treiben lässt, einem kleinen Kind, das mit staunendem Blick die Großartigkeit der Kleinigkeiten entdeckt. Jenseits der Senilität durchlebt er eine Education sentimentale, ein verspätetes (wortwörtliches) „Coming of Age“. Hamers filmische Fabel gibt sich wie sein Protagonist: Hinter der geruhsamen und gewissenhaften Fassade scheint es von Tatendrang und Lebenslust nur so zu brodeln, während die Erzählung von einem sanften Hauch Melancholie und Komik durchzogen wird. Dafür, dass er die kurvenreiche Einbahnstraße des Alters so leichtfüßig und auch stellvertretend (voran-)schreitet, möchte man dem urbanen Odysseus Horten einen Kuss auf die faltige Wange drücken.
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