Alter und Schönheit

- | Deutschland 2008 | 97 Minuten

Regie: Michael Klier

Ein an Krebs erkrankter Schauspieler, der im Hospiz dahin siecht, bekommt Besuch von seinen drei besten Freunden, alle wie er jenseits der 50. Gemeinsam gilt es ihnen, sich mit dem nahenden Tod auseinander zu setzen. Filmisch kongenial umgesetzt, ist der Film übers Älterwerden trotz des ernsten Themas von einer gewissen Leichtigkeit durchströmt und gehört zum Eindrucksvollsten und Zärtlichsten, was das aktuelle Kino zu diesem Thema zu bieten hat. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
X Filme Creative Pool/WDR/ARTE
Regie
Michael Klier
Buch
Michael Klier
Kamera
Sophie Maintigneux
Musik
Laurent Petitgand
Schnitt
Katja Dringenberg
Darsteller
Henry Hübchen (Harry) · Burghart Klaußner (Justus) · Armin Rohde (Bernhard) · Sibylle Canonica (Rosi) · Peter Lohmeyer (Manni)
Länge
97 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
X Verleih/Warner (16:9, 1.85:1, DD5.0 dt.)
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Diskussion
Vor einem halben Leben war Manni noch fit und fuhr im Sportcoupé den Kurfürstendamm auf und ab, um junge Frauen zu beeindrucken. Ein Dokumentarfilmregisseur hat das damals festgehalten. „Ich bin das Auto“, gab Manni zu Protokoll. Am Ende seines Lebens kauert er irgendwo in einer Heidelandschaft, lehnt kraftlos an seinem Ferrari, außen an der leeren Hülle aus lackiertem Blech und Glas. Von innen her blickt die Kamera auf den Sterbenskranken, das spiegelnde Fenster verschleiert sein Gesicht. Seine alten Freunde sind ganz nah bei ihm. Doch Manni ist schon ganz weit weg. Ein Film übers Älterwerden, um verlorene und noch nicht ganz verpasste Chancen und über Abschied für immer: „Ferrari 49“ sollte Michael Kliers fünfter Spielfilm ursprünglich heißen, wegen des Statussymbols und wegen Mannis Kumpels Harry, Justus und Bernie, die 1949, im Gründungsjahr der Bundesrepublik Deutschland, geboren wurden. Ausgerechnet das Nesthäkchen der Clique wartet nun auf den Tod. Der einstige Fernsehkommissar, Frauenheld und Überflieger hat Krebs im Endstadium. An der Hecke vor dem Hospiz für Privatpatienten steht sein Ferrari. Manni hat keine Familie, nur Autos, einen Bungalow mit Pool und ein dickes Bankkonto. Aber keiner denkt hier an Erbschleicherei, sondern daran, wie man mit einem Todkranken reden und umgehen soll. Setzen wir eine Trauermiene auf? Reißen wir die alten Witze? Können Harry, Justus und Bernie am Krankenbett des Freundes eigentlich überhaupt etwas richtig machen? Ohne falsche Sentimentalität, aber auch bar jeden aufgesetzten Galgenhumors erzählt Klier die Geschichte von Wiederannäherungen und Rückblicken unter traurigen Vorzeichen. Filmisch ist das ein Gedicht. Unglaublich ausgefeilt und subtil die Kadrierung, wunderschön das durchweg weiche Licht, meisterhaft entwickelt die Farbdramaturgie, wenn in der Ausstattung blassrote und azurblaue Farbtöne von Figur zu Figur wandern. Hervorragend gelungen auch die Choreografie, mit der der Regisseur die innere Bewegtheit und die kleinen Ausweichreflexe im Freundestrio in darstellerische Bewegung ummünzt. Wenn die Drei sich kindisch darum kabbeln, wer ans Steuer von Mannis Ferrari darf, stand das wohl kaum im Drehbuch. Das sind Augenblicke, in denen der Geist reiner Improvisation Funken aus der Leinwand versprüht. Perfekt eingepasst sind die Darsteller, die sich jede egozentrische Extratour sparen: Henry Hübchen gibt den coolen Harry, der nie um einen Spruch verlegen ist. Justus, zwischen seinem Knochenjob als Fernsehregisseur und dem Mitleid mit Manni hin- und hergerissen, wird von Burghart Klaußner gespielt. Armin Rohde gibt Bernie, den Weichherzigen, den Studienrat, der am Ende seinen Schuldienst schmeißt, weil er aus Mannis Fehlern lernen will. Peter Lohmeyer ist als klapprig-graubärtiger Patient mit Kreidestimme kaum wiederzuerkennen. Ähnlich überzeugt Sibylle Canonica mit starken Auftritten (und Abgängen). Sie spielt Rosi, eine von Mannis vielen Verflossenen, die der Sterbende unbedingt noch einmal sehen will. Auch an Rosi ist die Zeit nicht spurlos vorübergegangen. Lange zögert sie, dem Mann, der sie schwer enttäuscht hat, die Hand zu reichen. „Wenn ich mich jemals gezeigt habe, dann mit dir zusammen“, bekennt Manni schließlich. „Du weißt mehr von mir als jeder andere Mensch.“ Erst retrospektiv klärt sich das Vergangene. Was war wichtig, was letztlich doch banal? Vielleicht begreift man das tatsächlich erst kurz vor Torschluss. Zu den schönsten Szenen gehört das Beisammensein von Harry, Justus, Bernie und Rosi auf Mannis verlassenem Anwesen. In kontemplativer Ausdehnung kostet Klier Momente aus, in denen die Geschichte gänzlich zum Stillstand gekommen ist und die Freunde auf ihre eigenen Bedürfnisse und unerfüllten Träume zurückkommen. Vanitas und Wohlgefühl. Die Szenerie trägt fellineske Züge: Ein übergelaufener Swimmingpool, der aufgeweichte Rasen, ein altes, im Garten vergrabenes Auto, von dem nur das Dach zum Vorschein kommt. Justus betrachtet die Schwarz-Weiß-Dokumentation, die er einst mit Manni drehte (der Kurzfilm „Ferrari“ von 1964 stammt in Wahrheit von Klier selbst). Harry lässt sich im Affenkostüm durchs Wasser treiben, Bernie macht Rosi ein Liebesgeständnis, Rosi fingert eine ominöse Bonbondose aus einem alten Geheimversteck. Details wie diese bleiben unerklärt, rätselhaft – aber gerade diese Andeutungskunst macht den Zauber des Films aus, dem Eindrucksvollsten und Zärtlichsten, was das Kino zum Trendthema Älterwerden momentan beizutragen hat.
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