Sportfilm | Frankreich 2006 | 72 Minuten

Regie: Fred Poulet

Dokumentarfilm über den französischen Fußball-Nationalspieler Vikash Dhorasoo während der Weltmeisterschaft 2006, während der Dhorasoo nur wenige Minuten als Ersatzspieler zum Einsatz kam. Aus dem vom Regisseur gedrehten Filmmaterial, weiteren Super-8-Aufnahmen von Dhorasoo selbst sowie einem eigens aufgenommenen Ton montiert der Film ein eindringliches Porträt, das nicht zuletzt auch die Enttäuschung des Fußball-Stars, nur am Rande "dabei" zu sein, freilegt. Insgesamt resultiert daraus ein aufschlussreiches Bild über den Spitzenfußball jenseits von gängigen "Fan-Movie"-Klischees. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
SUBSTITUTE
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Local Films/Label Blue
Regie
Fred Poulet · Vikash Dhorasoo
Buch
Fred Poulet · Vikash Dhorasoo
Kamera
Fred Poulet · Vikash Dhorasoo
Schnitt
Fred Poulet · Sophie Bolze
Länge
72 Minuten
Kinostart
03.06.2010
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Sportfilm | Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Es liegen Welten zwischen diesem Film und Sönke Wortmanns Rückschau auf die Fußball-WM 2006 („Deutschland. Ein Sommermärchen“, fd 37834). Zwar stieß auch Wortmanns Digitalkamera auf der großen Leinwand bisweilen an ihre Grenzen, insgesamt aber erfüllte sie doch durchaus gehobene Ansprüche. Verglichen damit ist „Substitute“ mit seinen verwackelten, unterbelichteten, unscharfen und grobkörnigen Super-8-Bildern minderwertig, geradezu schäbig amateurhaft – und doch der um Längen bessere Film. Dies lässt sich damit erklären, dass zu viele Möglichkeiten und zu viel Exklusivität den poetischen Blick auf das Randständige und Abseitige versperren, auf das Nebensächliche, in dem, wie schon Fontane wusste, oft das Wesentliche verborgen liegt. Oder damit, dass zu viel Nähe korrumpiert. Wortmanns Film bewegte sich im Bereich des Halböffentlichen und damit im Grunde im Rahmen einer Homestory. Die Spieler waren sich der Anwesenheit einer Kamera stets bewusst. Das gilt zwar auch für den französischen Nationalspieler Vikash Dhorasoo, aber in einem ganz anderen Sinne. Indem Fred Poulet ihm gleich zu Beginn eine Super-8-Kamera, eine Handvoll Filme und ein Tonbandgerät in die Hand drückt, macht er ihn zum Co-Regisseur und Komplizen. Anfangs „schmuggelt“ Dhorasoo die Ausrüstung mit ins Mannschaftshotel, filmt nur heimlich, in seinem Zimmer, auf den Hotelfluren. Später wagt er sich weiter hinaus, reicht beim Training auch mal einem anderen die Kamera, filmt im Bus, am Flughafen. Trotzdem muss er bei der Auswahl seiner Motive wählerisch bleiben, aus rechtlichen Gründen und weil eine Super-8-Kamera sperrig ist, laut, nicht so einfach und flexibel zu handhaben wie eine Digicam. Alle paar Minuten muss man umständlich den Film wechseln, und den Ton muss man sowieso gesondert aufzeichnen. Da filmt man nicht „einfach so drauflos“, da überlegt man sich vorher, was man aufnehmen will, braucht man Zeit und Muße. Dhorasoo, der während der gesamten WM 2006, in der die „Equipe Tricolore“ im Finale gegen Italien unterlag, nur 16 Minuten zum Einsatz kam, wird also auch durch diese technischen Beschränkungen in „Substitute“ in eine visuelle Isolation gedrängt, die seiner tatsächlichen Rolle, die er als nach außen stets gut gelaunter und voll in die Mannschaft integrierter Ersatzspieler erfüllte, nicht ganz gerecht wird. Trotzdem vermitteln die langen Einstellungen, in denen Dhorasoo allein in seinem Hotelzimmer sitzt, in den Spiegel starrt, im Bett liegt und liest oder durch kahle Gänge und, nach dem verlorenen Endspiel, Stadionkatakomben läuft, eine ungleich intimere Nähe als Wortmanns gesamtes Spektakel. Zum großen Teil liegt das auch an den Tonaufnahmen, mit denen Poulet, der seine eigenen WM-Impressionen ebenfalls auf Super-8 einfängt, die melancholischen Bilder unterlegt. Den Rückflug nach Paris begleitet ein deutscher Schlager aus den 1970er-Jahren: „Später, da kann es zu spät für mich sein“, singt Monica Morell, wenn Dhorasoo in seiner Pariser Altbauwohnung die Koffer auspackt. Am meisten verrät das, was er in Telefongesprächen Poulet und auf den nachdenklichen Tonbandaufnahmen aus der Stille seines Hotelzimmers sich selbst gesteht, darüber, wie es in ihm während der WM aussieht. Immer wieder spricht er davon, dass er sich glücklich schätzt, überhaupt dabei zu sein, aber man ahnt, dass er sich das einredet. In den emotionalsten, kostbarsten Momenten macht er aus seiner Enttäuschung keinen Hehl. Vor allem, dass der französische Nationalcoach Raymond Domenech, für Dhorasoo eine Vaterfigur, ihn nicht aufstellt, obwohl er vor der WM regelmäßig spielte, empfindet Dhorasoo, der kurz vor dem Turnier Paris Saint Germain mit dem entscheidenden Tor am letzten Spieltag zur französischen Meisterschaft schoss, als persönlichen Verrat: „Ich bin sein Sohn, aber er lässt den Sohn des Nachbarn spielen.“ Bei seinem ersten Kurzeinsatz während der WM hätte Dhorasoo beinahe wieder einen entscheidenden Treffer erzielt, aber eben nur beinahe. Vielleicht fehlten 20 Zentimeter, die alles hätten ändern können. Es sind diese 20 Zentimeter, die „Substitute“ intensiv auslotet, auf engem Raum, da hilft nur die Flucht in die Tiefe. Beide Fußball-Filme haben ihre Berechtigung: „Deutschland. Ein Sommermärchen“ als wunderbares Schmankerl für Fußball-Fans, als hochwertiges DFB-Merchandising-Produkt und als äußerst unterhaltsame Backstage-Reportage – „Substitute“ als Film.
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