Citizen Havel

Dokumentarfilm | Tschechien 2008 | 122 Minuten

Regie: Miroslav Janek

Ein filmisches Porträt des Dichters und Dissidenten Vaclav Havel, der zwei Legislaturperioden lang das Amt des tschechischen Präsidenten ausübte. In einer Haltung gegenseitigen Vertrauens und mit vielen intimen Szenen gedreht, erweist sich der Dokumentarfilm nicht nur als kurzweiliges Kaleidoskop von Staatsgeschäften und -besuchen, sondern zugleich auch als Lehrstück über die Schwierigkeit, Demokratie zu praktizieren, Toleranz zu leben, sich nicht von der Macht verführen zu lassen und seinen Idealen treu zu bleiben. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
OBCAN HAVEL
Produktionsland
Tschechien
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Nadace Film a sociologie/Negativ/Krátký Film/FTV
Regie
Miroslav Janek · Pavel Koutecký
Buch
Hana Jemelíková
Kamera
Stano Slusný
Schnitt
Tonicka Janková
Länge
122 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Zwei Bedingungen musste Regisseur Pavel Koutecky erfüllen, als er 1992 die Erlaubnis erhielt, Vaclav Havel, den einstigen von den Kommunisten verfolgten Dissidenten und nunmehrigen ersten Präsidenten der Tschechischen Republik, mit der Kamera zu begleiten: Das Team durfte nicht drehen, wenn es um Sicherheits- und Personalfragen ging. Und die Aufnahmen sollten erst dann veröffentlicht werden, wenn Havel nicht mehr amtierte. 13 Jahre später standen insgesamt 120 Stunden Material zur Verfügung, aus denen Miroslav Janek nach dem plötzlichen Tod von Koutecky – er starb im Frühjahr 2006 bei einem Unfallsturz von einem Prager Hochhaus – das vorliegende knapp zweistündige Filmessay formte. Es ist die Liebeserklärung an einen Mann, der vom Dichter zum Politiker mutierte, sich mit Verantwortungsbewusstsein, Wissbegierde und dem Vorsatz, unter allen Umständen nahe an den Menschen zu bleiben, in das neue Amt einarbeitete und es zwei Legislaturperioden lang ausfüllte. „Die Wahrheit und die Liebe müssen die Lüge und den Hass besiegen“, fasste Havel sein Credo zusammen, als er in Rumänien mit dem Titel eines Ehrendoktors ausgezeichnet wurde. Der Film skizziert, ob und wie es dem Präsidenten gelang, diesen moralischen Impetus in seinem Amt zu bewahren, vor allem in jenen harten Verhandlungen mit Parteien, die ihm nicht wohlgesonnen waren und mit denen er dennoch konferieren musste. „Citizen Havel“ macht Spaß als kurzweiliges Kaleidoskop, erweist sich aber auch als veritables Lehrstück über die Schwierigkeit, Demokratie zu praktizieren, Toleranz zu leben, sich nicht von der Macht verführen zu lassen und seinen Idealen treu zu bleiben. Havel, Staatsoberhaupt und Lernender zugleich, zeigte sich auch im höchsten Amt als philanthropischer Idealist und freundlicher, bisweilen verschmitzter Zeitgenosse. Er konnte, nach eigenen Worten, zwar keineswegs mehr der „fröhliche Typ im Pullover“, der „ewige kleine Junge“ sein, den viele in ihm sahen – und blieb es irgendwie doch. Die bewegte Kamera, die das Kunststück vollbringt, ihm ständig auf den Fersen, aber dennoch nie aufdringlich zu sein, fängt seine Nervosität ein, wenn Staatsbesuche zu absolvieren oder unangenehme Verhandlungen zu führen sind. Da tastet Havel nach Zigaretten, klaubt Tabakreste von der Tischdecke, versucht, seine Unruhe durch sprudelnde Wortkaskaden zu bannen. Dann wieder wird der Film ganz leise. Die Kamera beobachtet den Präsidenten, wie er vom Fenster seines Amtssitzes aus, in eine Gardine versenkt, auf die Schlange von Menschen blickt, die nach dem Tod seiner Frau Olga an deren Sarg vorüberziehen. Sie folgt ihm ins Krankenhaus, wo er eine Lungenoperation zu überstehen hat. Auch ist sie dabei, wenn er zum zweiten Mal heiratet. Diese privaten Momente besitzen nichts Voyeuristisches, fügen sich bruchlos in die anderen, „politischen“ Szenen ein, die allesamt aus einer vertrauensvollen, intimen Perspektive fotografiert sind. Abgesehen von einigen Ausschnitten aus Nachrichtensendungen, die immer dann eingeblendet werden, wenn es um zeitgenössische Daten und Fakten geht, besitzt „Citizen Havel“ nie den Anflug eines offiziösen Dokuments, und den eines Klatschreports schon gar nicht. Im Lauf der Jahre begegnete Havel den US-amerikanischen Präsidenten Clinton und Bush jr., den Rolling Stones und Prager Kleingärtnern, die um ihr kleines Stück Erde bangen, Freunden aus der Kulturszene, Kabarettisten, die ein Spottlied auf die Regierung von Vaclav Klaus singen (Havel singt mit), einer verehrten Opernsängerin und vielen anderen. Immer wieder erinnert der Film daran, wie sehr Havel darum bemüht war, nicht nur staatsmännische Reden zu halten, sondern sie auch mit Emotionen, mit poetischen Bildern und Gleichnissen zu durchweben. Der Dichter als Politiker und der Politiker als Dichter, der Witz und Ironie aufblitzen lässt und stets ein wenig so wirkt, als nutze er sein Amt dazu, um später, im nächsten Leben, daraus den Stoff für neue groteske und absurde Theaterstücke zu beziehen. Einmal erlebt man ihn auch ziemlich zornig: wenn er sich über die neoliberale Politik der Regierung Klaus auslässt. Die Theorie, „einfach nur den Markt zu öffnen, dann läuft alles von selbst, und wir werden schon sehen“, ist ihm augenscheinlich suspekt. Die Liebe hat gesiegt, die Mühen haben ein Ende, heißt es in einer Szene aus der Oper „Die verkaufte Braut“, die der Film kurz am Schluss als heiteres Gleichnis einblendet. Im letzten Bild liest Havel dann aus einem seiner Dramen, über den Abgang eines Politikers, der hofft, dass ihn das Volk eines Tages erneut zurückhole. Dann bricht der Ex-Präsident, der nie aufhörte, Dissident zu sein, in ein herzhaftes Lachen aus.
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