Maria am Wasser

- | Deutschland 2006 | 98 Minuten

Regie: Thomas Wendrich

Ein Orgelbauer kehrt nach vielen Jahren in seinen Heimatort an der Elbe zurück, wo er Anfang der 1980er-Jahre einen tragischen Unfall nutzte, um von dort und vor allem vor seiner kühlen Mutter zu fliehen. Nun will er die Orgel des kleinen Ortes restaurieren und sich seiner Vergangenheit stellen. Doch Schweigen und verdrängte Schuld erschweren den Neuanfang. Eine schwarz-romantische, märchenhaft anmutende, atmosphärisch dichte Reflexion über biografische Brüche und den Verlust von Utopien im Zuge des Niedergangs der DDR, die eigenwillig poetische Bilder findet. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Egoli Tossell Film/Medienfonds German Film Prod./It Works! Medien
Regie
Thomas Wendrich
Buch
Thomas Wendrich
Kamera
István Imreh
Musik
Kai-Uwe Kohlschmidt
Schnitt
Philipp Stahl
Darsteller
Alexander Beyer (Marcus) · Annika Blendl (Alena) · Marie Gruber (Maria) · Falk Rockstroh (Konrad) · Hermann Beyer (Hannes)
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
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Diskussion

„Maria am Wasser“, heißt eine kleine Kirche in einem gottverlassenen Nest an der Elbe. Hierher kehrt der junge Orgelbauer Marcus zurück. Vor 22 Jahren, Anfang der 1980er-Jahre, als der sächsische Ort Neusorge noch zur DDR gehörte, verließ er seine Heimat auf recht ungewöhnliche Weise: Nach einem tragischen Unfall im Fluss, bei dem bei der Havarie eines Amphibien-Panzers mehrere Kinder ertranken, konnte sich der Junge gegen den Strom schwimmend retten und machte sich in die Tschechoslowakei davon; zu Hause hielten ihn alle, auch seine Mutter, für tot. Diese heißt wie die nach der Gottesmutter benannte Kirche Maria – und um Mütter geht es in diesem kleinen Debütfilm von Thomas Wendrich (der die Drehbücher zu „Freischwimmer“, fd 38727, und „Nimm Dir Dein Leben“, fd 37998, geschrieben hat) an zentraler Stelle. Die Orgel der Kirche soll restauriert, das Verhältnis zu der einst zurückgelassenen Mutter erneuert werden.

Doch zunächst findet der verlorene Sohn bei Maria, die ihn anfangs nicht erkennt (oder das zumindest vorgibt) einen kühlen Empfang; die Mutter gibt sich ebenso beherrscht wie streng und unnahbar. Schwer vorstellbar, dass sie einst gleich drei Verehrer um sich scharte. Und auch nicht gerade die besten Charaktereigenschaften für eine Frau, die ein Kinderheim leitet. Die Anstalt, in der sie ihren eigenen Sohn zusammen mit den Waisenkindern erzog, und der sie auch jetzt noch vorsteht, heißt ironischerweise „Frohe Zukunft“, wirkt aber eher düster und deprimierend. Nach und nach wird auch deutlich, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Ein Mantel abweisenden Schweigens aus verdrängter Trauer und Schuld scheint über dem ganzen Ort zu liegen und sich nicht zuletzt in dieser „Rabenmutter“ zu manifestieren, vor der Marcus einst davonlief. Ganz anders die junge Alena, eine blonde Tschechin, die sich in Neusorge herumtreibt, ohne dass jemand den Grund dafür kennt. Später, als Marcus und sie sich näher kommen, während er alte Orgelpfeifen auftreibt und in neuem Glanz erstrahlen lässt, erzählt sie ihm, dass sie ihren kleinen Sohn sucht, der ihr weggenommen wurde und den sie in Marias Waisenhaus vermutet.

Ginge man nur von diesem Plot aus, könnte man hinter „Maria am Wasser“ eine plakative Abrechnung mit der DDR vermuten: Auf der einen Seite die böse Sozialisten-Mutter, die einst freie Liebe praktizierte, auf den Weltfrieden anstieß und nun zusammen mit ihren alt gewordenen Liebhabern in einem von Gefühlskälte geprägten Dornröschenschlaf verharrt; andererseits die Nachwende-Generation, die sich auf jene (unpolitischen) Werte besinnt, wie sie sich in Alenas dezidierter Mutterliebe und in dem wiederhergestellten, mit neuer Musik gefüllten Gotteshaus manifestieren. Allerdings unterläuft die Inszenierung dieses märchenhaft anmutenden Exkurses in die Grenzregionen des wiedervereinten Deutschlands eine solche simple Lesart. Zu elegisch sind die Bilder, zu eindrücklich und den Klischees abhold die Figuren, zu versponnen-schwarzromantisch ist die gesamte Atmosphäre, die ein bisschen an Sabine Michels Inszenierung von Wendrichs Drehbuch in „Nimm Dir Dein Leben“ erinnert. Alles beginnt mit einer Rückblende zu einem Abend, als Marcus noch als Kleinkind auf einem Ausflugsschiff herumkrabbelt und Maria – noch eine strahlende, vor Lebenslust strotzende Frau – mit ihren drei Männern ihren 30. Geburtstag feiert. Doch die Zukunft, in die diese DDR-Bürger blicken, findet nie statt. Symbolträchtig säuft der Sowjet-Panzer ab, Marcus nutzt die Chance zur Flucht in ein neues, freies Leben, und Maria und ihre Männer bleiben auf einer unaufgearbeiteten Vergangenheit sitzen. Dieser kleine, aber entscheidende Vorspann und die großartige Maria Gruber, deren subtiles, zurückgenommenes Spiel ihrer kantigen Frauenfigur Geheimnis und Würde bewahrt, halten einen davon ab, die Hauptfigur vorschnell zu verurteilen. Es sind vielmehr Einladungen, darüber nachzudenken, welche biografischen Brüche, welche Enttäuschungen und welcher Verlust an Utopien hier stattgefunden hat, welche Leere zurückgeblieben ist, die nicht mit etwas Neuem gefüllt werden konnte. Weder beschönigende „Ostalgie“ noch bitterböse Abrechnung, kommt mit „Maria am Wasser“ 20 Jahre nach dem Mauerfall eine leise Reflexion zur Wende in die Kinos, deren eigenwillig poetische Bilder sich einprägen.

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