Komödie | Deutschland 2009 | 124 Minuten

Regie: Maren Ade

Während eines Sardinien-Urlaubs bekommt die Liebe eines jungen deutschen Paars Risse, als es durch die Konfrontation mit einem anderen Paar die eigenen Lebensentwürfe und Rollenmuster in Frage gestellt sieht. Mit akribischer Genauigkeit und intimer Nähe zu den hervorragend gespielten Figuren verfolgt der Film den Zersetzungsprozess einer Beziehung im Spannungsfeld zwischen Sehnsüchten und Erwartungen, inneren Unsicherheiten und gesellschaftlichen Mustern. Der tragikomische, mit minutiöser Präzision inszenierte Geschlechterkampf spiegelt eindrucksvoll das Dilemma einer Generation, der mehr Freiheit zur Selbstverwirklichung offen steht als je zuvor, die sich aber schwer tut, Verbindlichkeiten einzugehen und auch Enttäuschungen auszuhalten. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Komplizen Film/SWR/WDR/arte
Regie
Maren Ade
Buch
Maren Ade
Kamera
Bernhard Keller
Schnitt
Heike Parplies
Darsteller
Birgit Minichmayr (Gitti) · Lars Eidinger (Chris) · Hans-Jochen Wagner (Hans) · Nicole Marischka (Sana) · Mira Partecke (Urlauberin)
Länge
124 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Komödie
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Heimkino

Verleih DVD
EuroVideo
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Diskussion
Beziehungskomödien gehörten bisher nicht zum Repertoire der Berliner Schule. Dass Maren Ade die Abweichung zum Glanzstück umzuwandeln weiß, verrät viel über das große Talent einer noch jungen Autorenfilmerin, die nach ihrem ähnlich tragikomischen Debüt „Der Wald vor lauter Bäumen“ (fd 36 880) die anderen Kombattanten mit Mut zur reifen Handschrift hinter sich lässt. Was ihr zweiter, im Wettbewerb der diesjährigen „Berlinale“ zu Recht gleich zweifach prämierter Langfilm auf Anhieb zu schaffen weiß, ist eine atemberaubende Nähe zu den Figuren, die aller demonstrativen Lässigkeit zum Trotz bei dem Versuch, Bodenhaftung zu bekommen, kläglich scheitern und sich lieber im kindlichen Möglichkeitswahn einrichten: Bietet doch das Erwachsenwerden nur die unausweichliche Bewältigung von Verlusten. Inmitten eines immer noch komfortablen materiellen Überflusses eine unerquickliche Aussicht. Dass sich die 1976 geborene Regisseurin mit diesem heute vor allem die Thirtysomethings plagenden Phänomen auskennt, macht „Alle Anderen“ zu einem ungemein lebendigen Sittenbild einer Generation, die das von ihren Eltern lancierte Projekt der Selbstverwirklichung zum Dauerzustand erklärt hat. Zurück zum Beziehungskrieg, der bei Ade nach gründlichem Studium von einschlägigen Krisenfilmen wie Bergmans „Szenen einer Ehe“ (fd 19 216), Godards „Die Verachtung“ (fd 13 279) oder Antonionis „Die Nacht“ (fd 10 291) erfreulich zeitgemäß und zugleich gespickt mit ewig gültigen Beobachtungen der amourösen Kampflinien daherkommt. Eine auf schrille Auftritte abonnierte PR-Beraterin bei Universal Music und ein den Zwängen des Marktes trotzender Jung-Architekt begegnen im Urlaub der Verfallszeit ihrer Beziehung. Eigentlich könnten sich Chris und Gitti mit ihren unsicheren Jobs das Domizil auf Sardinien gar nicht leisten. Wie gut, dass die Eltern vorgesorgt haben, auch wenn die Einrichtung den designbewussten Blick beleidigt. Beim süßen Herumalbern auf der Insel ziehen auf einmal emotionale Gewitter auf. Existenzielle Fragen, die im Alltag ein Schattendasein führten, kommen ausgerechnet in der Mittelmeersonne zum Vorschein. Als den Architekten die Nachricht erreicht, dass er einen Bauprojekt-Wettbewerb nicht gewonnen hat, zweifelt er plötzlich an seiner männlichen Ausstrahlung und lässt sich wehleidig von der Freundin, die selbst keinerlei berufliche Ambitionen hegt, moralisch aufpäppeln. Das hindert sie nicht daran, sexuell fordernd aufzutreten und mit subtilen Sticheleien Öl ins Feuer zu werfen. Das ist die Vorlage für einen mitunter komischen, aber immer auch grandios genau skizzierten Geschlechterkampf um Rollenzuweisungen, Lebensentwürfe und das unbändige Verlangen nach nie endender Jugend. Als ein befreundetes grundsolides Paar, das scheinbar allen Anforderungen von Karriere bis zur Kinderplanung gewachsen ist, auf der Insel auftaucht, regrediert das kriselnde Duo im Supermarkt zu Kleinkindern. Der Fluchtversuch zwischen den Regalen ist vergeblich, denn „die anderen“ lassen es sich nicht nehmen, die Reviere abzugleichen. Beim Abendessen am Swimmingpool, das verblüffend an die in französischen Filmen obligatorisch und ausführlich inszenierten Gesprächsrunden im Familienkreis erinnert, wechseln die Fronten. Der in seinem Selbstbild verunsicherte Chris desertiert in die Arme des selbstgerecht auftretenden Geschlechtsgenossen und entdeckt unerwartet die Vorzüge der Konformität, samt der Verheißungen einer geregelten bürgerlichen Existenz. Gitti ist tief verletzt über diesen Nachweis charakterlicher Schwäche und sprengt den Rahmen mit aggressiv vorgetragener Kritik, worauf sie Chris als peinlich abtut. Es ist der Schlüsselmoment des mit minimalistischer Bescheidenheit gedrehten und dank ins Schwarze treffender Dialoge überaus klugen Filmwunders, in dem der Wunsch nach Zugehörigkeit das romantische Modell einer absoluten, über alle gesellschaftlichen Zwänge erhabenen Liebe verrät. In der zweiten Hälfte nimmt das Karussell sich widersprechender Gefühle unausweichlich an Tempo zu, auf Verletzungen folgen Umarmungen, auf Opferbereitschaft die Einsicht in die trennenden Unterschiede, und auch die Lichtverhältnisse wechseln von warmen Ockerfarben zu indifferenten Tönen. Wie die wunderbare Birgit Minichmayr und der in seiner phlegmatischen Unentschlossenheit nicht weniger präsente Lars Eidinger diesen Auflösungsprozess mit vollem Körpereinsatz meistern, ist schlicht bewundernswert. Wenn sie zum Schluss gegen ihr Naturell buchstäblich die Verstellung wählt und sich tot stellt, um ihrem Gegenüber eine verbindliche Reaktion abzutrotzen, ist das kein Machtkampf mehr, sondern pure Verzweiflung, in der sich das Unbehagen über die enttäuschten Erwartungen an den anderen spiegelt. Man mag diesen berührenden Schlussakkord als Chance zum Neuanfang interpretieren oder als das letzte Aufbäumen unverbesserlicher Narzisse.
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