Harlan - Im Schatten von Jud Süß

Dokumentarfilm | Deutschland/Finnland 2008 | 99 Minuten

Regie: Felix Moeller

Die Nachfahren des Regisseurs Veit Harlan (1899-1964) äußern sich zu ihrem Umgang mit der Tatsache, "Erben" jenes Mannes zu sein, der den berüchtigtsten antisemitischen Nazi-Propagandafilm "Jud Süß" inszenierte. Wie unter einem Brennglas offenbart sich ein breites Spektrum an Haltungen zu Veit Harlan und seinem Werk, das durch Film- und Wochenschau-Ausschnitte sowie eine Rekonstruktion seiner Biografie ergänzt wird. Im Vergleich zur einschlägigen Literatur verfügt der Film zwar über keine neuen Erkenntnisse, vermittelt gleichwohl eine differenzierte Einschätzung Veit Harlans und regt zur weiteren Auseinandersetzung an. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Finnland
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Blueprint Film/WDR/RBB/NDR/YLE
Regie
Felix Moeller
Buch
Felix Moeller
Kamera
Ludolph Weyer
Musik
Marco Hertenstein
Schnitt
Anette Fleming
Länge
99 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Salzgeber (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt. & ital.)
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Diskussion
Was mag das für ein Gefühl sein, wenn man das Geschichtsbuch aufschlägt, dort ein Bild aus „Jud Süß“ sieht und in diesem Zusammenhang mit dem eigenen Großvater konfrontiert wird? Alice Harlan, eine Enkelin von Veit Harlan, wurde in der Schule mit ihrem familiären „Erbe“ konfrontiert und brach vor Scham in Tränen aus. Felix Moeller („Der Filmminister – Goebbels und der Film im Dritten Reich“) hat den Fall Veit Harlan durchaus originell an die Familie, seine Kinder und Enkel zurückgegeben. Das ist insofern ein praktikables Verfahren, weil hier tatsächlich wie unter einem Brennglas sämtliche Haltungen zu Wirken und Werk Harlans im Dritten Reich versammelt sind. Zunächst einmal ist es erstaunlich, wie viele Familienmitglieder Moeller vor die Kamera bekommen hat: von den Töchtern Maria und Susanne Körber über die Söhne Caspar, Kristian, Thomas bis hin zu den Enkeln Alice, Chester, Nele, Lotte, Lena und Jessica. Dazu kommen noch Jan Harlan und Christiane Kubrick – Sohn und Tochter von Harlans Bruder Fritz Moritz. Grundlegende Frage zunächst: Will oder muss man darüber Rechenschaft ablegen? Muss man es öffentlich tun? Während Kristian dieses Thema gerne als Privatsache betrachten würde, geht Thomas („Wandersplitter“, fd 38 308) bekanntlich davon aus, dass noch mehrere Generationen von Nachfahren sich dazu verhalten müssen, dass Veit Harlan mit „Jud Süß“ ein „Mordinstrument“ geschaffen hat. Kann man die Filme ohne ihren politischen Kontext sehen? War Veit Harlan eigentlich ein durch und durch unpolitischer Mensch, der sogar jüdische Freunde hatte? Oder ein besessener Künstler, der bereit war, jeden Teufelspakt für seine Kunst einzugehen? Oder wurde er von Goebbels missbraucht? Oder war er ein erzkonservativer Deutschnationaler, der nach einer persönlichen narzisstischen Verletzung sehr bewusst sein perfektes Spiel mit Emotionen und Antisemitismus auflud? Wenn er aber gar kein Antisemit war und zu „Jud Süß“ gezwungen wurde, warum hat er den Film dann so perfekt gestaltet? Solche Fragen werden hier ein weiteres Mal andiskutiert. Moeller nutzt dazu vielfältiges Material. „Harlan – Im Schatten von Jud Süß“ unterfüttert die Interviews mit Filmausschnitten und Wochenschau-Material, zeigt einige der Familienmitglieder beim gemeinsamen Besuch der Stuttgarter „Jud Süß“-Ausstellung und rekonstruiert zudem die Biografie Veit Harlans. Nicht alle Familienmitglieder haben das sensible Gespür eines Thomas Harlan dafür, in welchen kleinen Gesten die Kumpanei mit dem Verbrechen bereits beginnt. Thomas Harlan ist es auch, der die Frage nach dem psychosozialen Untergrund von Harlans spezifischer Melodramatik stellt. Schließlich ist Harlan ja nicht nur der Regisseur von „Jud Süß“, sondern auch von Filmen wie „Die goldene Stadt“, „Opfergang“ oder „Hanna Amon“, die im Rahmen der Forschung zum Melodram in den 1990er-Jahren wieder entdeckt und teilweise erheblich aufgewertet worden sind. Wer die Bücher von Dorothea Hollstein („Jud Süß und die Deutschen“) oder Frank Noack („Veit Harlan. Des Teufels Regisseur?“) kennt, wer zudem die Autobiografie Harlans („Im Schatten meiner Filme“) gelesen hat, wird hier kaum Neues erfahren. Interessant ist jedoch, dass die Enkel Harlans sich nach dem Sehen von „Jud Süß“ durchaus erstaunt zeigen, weil sie den Film „viel schlimmer“ erwartet hatten. Tatsächlich scheint „Jud Süß“ ohne seinen Kontext nicht zu funktionieren, denn wenn man die Filmausschnitte, die Moeller einsetzt, anschaut, dann scheint es sich dabei fast um einen zutiefst bösen Blick auf bornierte, blutgierige und in jeder Hinsicht bigotte deutsche Antisemiten zu handeln. Wer durch Moellers Film angeregt wird, sich intensiver mit Harlan und seinen Filmen auseinanderzusetzen, dem sei Norbert Grob perspektivreicher Aufsatz zu Harlan im Cine-Graph ans Herz gelegt.
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