Der letzte Applaus (2008)

Musikfilm | Deutschland/Argentinien/Japan 2008 | 90 Minuten

Regie: German Kral

Liebevoll gestaltete Hommage auf den argentinischen Tango und seine gealterten, aber immer noch agilen Interpreten. Der Dokumentarfilm beobachtet die Künstler über sieben Jahre hinweg bei ihren Auftritten, in ihrer Lieblingsbar oder zu Hause und bringt sie mit einer Truppe junger Tango-Musiker zusammen, mit denen sie neue musikalische Herausforderungen erleben. So unprätentiös, wie sich die Protagonisten geben, erzählt auch der Film seine Geschichten, die von der lebenserhaltenden Kraft der Tango-Musik und ihrer Faszination zeugen. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
EL ÚLTIMO APLAUSO
Produktionsland
Deutschland/Argentinien/Japan
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Estudio Massa/German Kral Filmprod./Happinet Corp./Indiecito/Monogatari/Sogecine
Regie
German Kral
Buch
German Kral
Kamera
Ricardo de Angelis · Sorin Dragoi
Schnitt
Ulrike Tortora
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Musikfilm | Dokumentarfilm

Heimkino

Die Extras umfassen u.a. ein Feature mit drei im Film nicht verwendeten Szenen (6 Min.) sowie ein ausführliches Interview mit dem Regisseur (26 Min.).

Verleih DVD
Arsenal (16:9, 1.78:1, DD5.1 span.)
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Diskussion
Zumindest was den Applaus betrifft, wurde German Krals Dokumentation bei den letztjährigen Hofer Filmtagen von keinem anderen Beitrag übertroffen. Und kein Film fand so schnell einen Verleih: Nach dem überwältigenden Publikumszuspruch wurde er quasi aus der Vorführkabine heraus übernommen. Begonnen hatte alles 1999 in München, als der Filmhochschüler Kral kurz vor seiner Rückkehr in die argentinische Heimat von Doris Dörrie den Rat bekam, die legendäre Tango-Bar „El Chino“ am Stadtrand von Buenos Aires aufzusuchen – und unbedingt seine Kamera mitzunehmen. Deshalb beginnt „Der letzte Applaus“ auch mit jenen an Touristenvideos erinnernden, grobkörnigen Aufnahmen, deren technische Unzulänglichkeit man aber schnell vergisst, weil sie eine Atmosphäre und Protagonisten einfangen, die in ihren Bann ziehen. Die Kamera mischt sich unter die Besucher des „El Chino“, zwischen denen die betagten Tango-Recken ohne Mikrofon und nur von der Gitarre begleitet, ihre Lieder über die Freuden und Schmerzen der Liebe und die Sehnsucht nach der Heimat der Vorfahren singen. Denn die meisten Sänger, aber auch der 70-jährige Besitzer der Bar haben europäische Vorfahren, und auch in der Musik ist die Entwurzelung immer noch zu spüren. Auch Kommentare zur politischen Gegenwart klingen in den nicht immer melodiösen, mehr an Sprechgesang erinnernden Liedern an: „Dass das 20. Jahrhundert ein Aufmarsch unverschämter Schlechtigkeit war, das leugnet keiner mehr.“ Doch selbst in sperrigen Texten spiegelt sich durch den Charme der Interpretation eine gewisse Poesie. Kral war so begeistert von dieser Musik, der Wahrhaftigkeit ihrer Texte, der Tristesse wie der Lebensfreude, die er im „El Chino“ erfuhr, dass er beschloss, mit einem technisch besseren Equipment zurückzukehren. Beim ersten Mal war der Bar-Besitzer schwer erkrankt, und auch die Wirtschaftskrise, die schließlich zum Staatsbankrott in Argentinien führte, spiegelte sich im fehlenden Besucherandrang wider. Beim zweiten Mal war „El Chino“ unter mysteriösen Umständen verstorben. Seine Witwe hatte die nach ihm benannte Bar mit ihrem neuen Lebensgefährten völlig heruntergewirtschaftet und sich auch mit den meisten Sängern überworfen. Beim letzten Dreh 2006 waren auch dann einige Stammmusiker des Lokals verstorben. Die „Übriggebliebenen“ – de los Ángeles, die immer noch von einem feurigen Liebhaber träumt und deshalb ihr Alter „schamhaft“ verschweigt, Julio César Fernán (58), der gerade bei seiner Mutter ausgezogen ist, die ihr Alter mit Würde tragende Inés Arce (81) und der Gitarrist Abel Frias – trauerten dem „El Chino“ nach. Inés hatte aufgehört zu singen, Julio sang in den Fußgängerzonen von Buenos Aires für die Touristen, Christina tingelte von einer Bar zu anderen, sang auf privaten Festen oder versuchte, ihre Demo-Bänder bei den Rundfunkstationen unterzubringen. Schließlich war sie in den 1950er- und 1960er-Jahren ein gefeierter Star. Doch wenn man sie (und ihre Kollegen) in ihre bescheidene Wohnung begleitet, was Kral ohne jeden voyeuristischen Blick dokumentiert, dann ist vom einstigen Glanz nichts mehr zu spüren. Eher eine wehmütige Rückschau auf ein Leben, in dem vor allem die immer noch präsente Mutter – sei es auf Fotos oder in der Urne – immer eine große Rolle gespielt hat: „Mein ganzes Leben ist das Gestern, das mich in der Vergangenheit festhält. Die Jugend, ewig und vergangen, ließ mich verzagt zurück.“ Doch dann gelingt es Kral, die ihm ans Herz gewachsenen Musiker aus ihrer „Einsamkeit“ – „Ich bin einsamer als der Briefkasten an der Ecke“, sagt Christina einmal nicht ohne Koketterie – herauszuholen und ihnen neuen Lebensmut zu vermitteln. Er bringt sie mit den jungen Tango-Musikern des „Orquesta Típica Imperial“ zusammen. Gemeinsam stellen sie ein Konzert auf die Beine, das sie ein letztes Mal in ihr geliebtes „El Chino“ zurückführt. Und so wird der „letzte Applaus“ an alter Wirkungsstätte für sie zu einem bewegenden Höhepunkt in ihrem ereignis-, aber auch entbehrungsreichen Leben. Dass sich diese berührende Stimmung und die Kraft des Tangos auch auf die Zuschauer überträgt, ist letztlich die große Qualität von Krals Film.
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