Elektrokohle (Von Wegen)

- | Deutschland 2009 | 95 Minuten

Regie: Uli M. Schueppel

Dokumentarfilm über einen Auftritt der Band "Einstürzende Neubauten" im Dezember 1989 im Kultursaal der VEB Elektrokohle in Ostberlin. Er enthält sowohl historisches Material vom Konzert als auch neue Sequenzen, in denen damalige Zuschauer aus heutiger Sicht ihre Erinnerungen an das Ereignis umreißen. Zudem wird der Veranstaltungsort erneut aufgesucht. Der Film skizziert die Bedeutung, die die Band und ihre Musik für die Fans in der DDR hatten, ohne die dortigen Lebenshintergründe näher zu beleuchten. So lässt das Porträt Irritationen zu, wobei die Nostalgie vorherrscht. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
schueppel-films/RBB
Regie
Uli M. Schueppel
Buch
Uli M. Schueppel
Kamera
Cornelius Plache · Uli M. Schueppel
Musik
Einstürzende Neubauten
Schnitt
Ernst Carias
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
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Heimkino

Verleih DVD
Neue Visionen (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Es begab sich zu jener Zeit, als die Mauer fiel und der Schießbefehl für die Grenztruppen der DDR offiziell aufge‧hoben wurde, dass die Westberliner Band Einstürzende Neubauten zu einem Konzert in den Osten der Stadt aufbrach. Man schrieb den 21. Dezember 1989, und noch galt es, dabei Staatsgrenzen zu überschreiten. Beschwerlich war die Reise; erst mit erheblicher Verspätung gelangte die Band zum geplanten Auftrittsort: dem Kultursaal „Wilhelm Pieck“ des VEB Elektrokohle. Für die Subkultur der DDR war dieses Konzert, so wird erzählt, ein Ereignis ersten Ranges – ein Glücksfall für eine Band, die im Westen (wo gerade die „Hamburger Schule“ erste Blüten trieb) längst schon zum alten Eisen zählte und gerade von den bürgerlichen Feuilletons entdeckt wurde. Andererseits – just 1989 veröffentlichte die Band mit „Haus der Lüge“ das letzte Album ihrer heroischen Phase – sehen Band und Sänger Blixa Bargeld in diesem Film längst noch nicht so feist und dandyhaft wie heute aus, sondern eher wie Kellerkinder des Westberliner Undergrounds. Dass man die Band von West nach Ost begleiten kann, liegt daran, dass Filmemacher Uli M. Schueppel, der bereits 1987 mit seinem Film „Nihil oder alle Zeit der Welt“ am Mythos der „Neubauten“ gestrickt hatte, seinerzeit mit in den Tourbus steigen durfte und die Band bei der Anreise, Backstage und schließlich auch beim Konzert filmte. Dabei ist schönes Material produziert worden. Es zeigt eine Band, die sich vor laufender Kamera hübsch aufplustert, viele ziemlich dumme und einige kluge Sprüche produ‧ziert und noch so ganz und gar nicht souverän agiert. Selbst Blixa Bargeld wirkt leicht unsicher, solange er nicht auf der Bühne steht. Allerdings bieten die historischen Touraufzeichnungen kaum genug Material für einen abendfüllenden Film, weshalb Schueppel auf die Idee kam, Augenzeugen des einstigen Konzerter‧eignisses zu befragen – und zwar durchaus aus heutiger Perspektive. Die Resultate dieser Befragung sind vielgestaltig: die Bedeutung der Neubauten für ihre damaligen Fans ist noch immer sehr präsent. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Krise der Pop-Musik wird noch einmal das Hohelied von der existenziellen, politisch subversiven und im Wortsinne lebensbauenden Qualität dieser Musik gesungen. Aber es gibt auch leichte Irritationen, die der Film vielleicht etwas prägnanter hätte thematisieren können, wäre er nicht etwas zu sehr gefangen in seiner Neubauten-Nostalgie. So erzählt einer der Interview-Partner von einer seltsamen Erfahrung von Ungleichzeitigkeit bei der Begegnung mit der Band: „Man hat diese Fremdheit gespürt, die ja auch definitiv eine Da-Seiende war. Eine Fremdheit innerhalb einer Subkultur, einer Ästhetik, die man meinte, zu teilen, die einem aber entweder schon enteilt war oder die man nie so geteilt hat, weil man in anderen Wahrnehmungen unterwegs war. Dass die da schon ein ganz anderes Reservoir zur Verfügung hatten und man im Grunde genommen auf eigenartige Weise old fashioned war. Das hat man vielleicht gespürt.“ Vom Alltag in der DDR erfährt man dagegen bestenfalls noch ein paar Sarkasmen wie „Hier riecht es noch nach Kulturbüro!“ oder „Wer war denn eigentlich Wilhelm Pieck?“ Interessanter ist die Wiederbegegnung mit dem damaligen Veranstaltungsort: Wo einst das „letzte Biest am Himmel“ beschworen wurde, machen sich heute Trödel und Nagelstudios breit. Für den Clou des Konzerts und auch des Films sorgt der Zufall in Gestalt Heiner Müllers, der seinerzeit bereits mit Bargeld befreundet war, aber gleichzeitig Verpflichtungen im Rahmen eines Staatsbesuchs von François Mitterrand wahrnehmen musste. Müller wollte das Konzert besuchen, einige französische Politiker schlossen sich spontan an; mit „Alienauftritt“ ist die entstandene Situation zutreffend beschrieben. Hinter der Bühne hatte man sich wenig zu sagen, aber man staunt, wie wohl erzogen sich die Musiker im Angesicht der Macht zu betragen wissen. Noch mehr staunt man, mit welcher Souveränität und Chuzpe Heiner Müller den Auftritt der Neubauten nutzt, um sich selbst ins Rampenlicht zu setzen. Nach einem billigen Stalin-Witz überlässt er das Publikum dem erwartbaren Klanggewitter und der epigonal-expressionistischen Lyrik von Bargeld & Co. „Keine Feier ohne Müller“, könnte man denken, wenn man diese Bilder sieht und sich zu fragen beginnt, wer hier wohl gerade wen warum für welche Zwecke instrumentalisiert – und wie bedeutsam die Musik der Neubauten in diesem Spiel wohl ist.
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