Der rote Punkt

- | Deutschland/Japan 2008 | 82 Minuten

Regie: Marie Miyayama

Eine junge Japanerin, die als Kind ihre Eltern bei einem Unfall verlor, macht sich auf den Weg nach Deutschland, geleitet durch Fotos und eine Landkarte, auf der ein mysteriöser roter Punkt markiert ist. Sie trifft auf einen 18-Jährigen und seine Familie, deren Schicksal mit ihrer Vergangenheit verbunden ist. Anstatt auf Suspense durch die Aufklärung eines Geheimnisses zu setzen, entfaltet sich das Debüt als Reflexion um Trauer und die Sehnsucht nach Vergebung. Dabei nimmt sich der Film die Zeit, in Atmosphären und Landschaften einzutauchen und in klaren, prägnanten Bildern das Innenleben seiner Figuren auszuloten. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE RED SPOT
Produktionsland
Deutschland/Japan
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Münchner Filmwerkstatt/Chase Film/FGV Schmidle/HFF München
Regie
Marie Miyayama
Buch
Marie Miyayama · Christoph Tomkewitsch
Kamera
Oliver Sachs
Musik
Helmut Sinz
Darsteller
Yuki Inomata (Aki Onodera) · Hans Kremer (Johannes Weber) · Orlando Klaus (Elias Weber) · Imke Büchel (Erika Weber) · Zora Thiessen (Martina Weber)
Länge
82 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
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Diskussion
Am Anfang steht eine Botschaft aus dem Reich der Toten. Aki ist bei ihrem Onkel und ihrer Tante aufgewachsen, studiert jetzt Deutsche Literatur und Sprache. Immer wieder träumt sie von ihrer Kindheit; es sind verschwommene, fragmentarische Erinnerungsbilder. Als sie ihre Pflegeeltern wieder einmal besucht, bekommt sie ein Paket überreicht, das offenbar sehr lange auf die Aushändigung gewartet hat. In dem Paket befinden sich ein Fotoapparat mit einem Film und eine deutsche Landkarte, in der eine Stelle mit einem roten Punkt markiert ist. Aki lässt den Film entwickeln und bekommt Bilder einer jungen Familie zu sehen, die mit ihren Erinnerungen zu tun haben. Eine Autofahrt, ein Lied, Lachen, eine vage Stimmung. Doch was bedeutet der rote Punkt auf der Landkarte? Für Aki steht fest, dass sie sofort nach Deutschland reisen muss. Die Pflegeeltern und auch ihr Freund können das nicht verstehen. So wie Rudi im Gedenken an Trudi in „Kirschblüten – Hanami“ (fd 38604) nach Japan reiste, reist jetzt Aki ins Allgäu, besucht die Orte, an denen damals offenbar die Fotos entstanden sind. Ungefähr dort angekommen, wohin der rote Punkt weist (der Maßstab der Karte ist zu groß), begegnet sie dem jungen Elias Weber, der gerade Ärger mit der Polizei hat, weil er immer mit seinem Motorrad durch die Gegend rast. Ganz nebenher erfährt man, dass Elias 18 Jahre alt ist. Just vor 18 Jahren verlor Aki hier in der Gegend bei einem Autounfall ihre Familie. Durch glückliche Umstände wird sie nun von der Familie Weber als Gast aufgenommen. Während Aki sich auf die Suche nach der Stelle macht, die durch den roten Punkt bezeichnet ist, gerät die deutsche Familie vor ihren Augen aus den Fugen. Der Konflikt zwischen Vater und Sohn eskaliert, die Ehe der Eltern ist durch kühle Distanz, ja, Desinteresse gekennzeichnet. Vater Johannes Weber, der vieles mit sich selbst abzumachen gewohnt scheint, zeigt ein auffälliges Interesse an dem japanischen Gast und scheint Aki mitunter regelrecht zu beschatten. Auch Elias und Aki kommen sich – weniger durch Worte als vielmehr durch Gesten – näher. Weil die Filmemacherin Marie Miyayama dem aufmerksamen Zuschauer früh und auch etwas plump klar macht, dass die beiden Geschichten, die sie hier entfaltet, an einem ganz zentralen Punkt zusammenhängen, bekommt sie die Freiheit, nicht auf Pointe hin „spannend“ erzählen zu müssen. Es geht in „Der rote Punkt“ nicht um die Suche nach Aufklärung, sondern um Trauerarbeit, aber auch um Schuld und die Sehnsucht nach Vergebung. Weil das „dunkle Geheimnis“, das der Geschichte von Aki und Johannes innewohnt, sich sehr früh andeutet und dann fast nebenher gelüftet wird – und auch nicht etwa in eine konventionelle Rachegeschichte mündet; weil auch alle anderen Konflikte quasi nebenher abgearbeitet, aber nicht notwendig gelöst werden, bleibt dem Film reichlich Zeit und Raum für Atmosphärisches, für eine ganz und gar unspektakuläre Poesie, die Figuren, Landschaft und unterschiedliche Mentalitäten aufeinander bezieht. Die prägnanten und klaren Bilder, die Kameramann Oliver Sachs gefunden hat, entsprechen der unaufdringlichen und geduldig beobachtenden Introspektion von „Der rote Punkt“. Als Aki schließlich den überwucherten Gedenkstein entdeckt, der an den Unfalltod ihrer Familie erinnert, nimmt sie rituell den Abschied, den sie als Kind nicht nehmen konnte. Dass die Menschen, die vorher auf den Fotos zu sehen waren, jetzt als Phantome mit ihr essen und lachen, ist ein schönes Bild für die stille Ernsthaftigkeit dieses gelungenen Debüts, das sich ums Innenleben seiner Figuren mehr kümmert als um Plot Points und (Fernsehspiel-)Konventionen. Dieser originelle HFF-Abschlussfilm ist gewiss nicht frei von Schwächen, zeugt aber von einer erkennbaren Haltung; dass er auf dem Hofer Festival 2008 mit dem „Förderpreis Deutscher Film“ ausgezeichnet wurde, hilft ihm hoffentlich, in den Kinos etwas Aufmerksamkeit zu finden.
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