- | USA 2001 | 94 Minuten

Regie: Henry Bean

Eine rechtsradikaler Rassist und Judenhasser hat das Problem, selbst Jude zu sein, was er vor seiner Umwelt verbergen will. Der intelligente und redegewandte Mann gibt sich als glühender antisemitischer Ideologe; wenn es darum geht, diese Ideologie in Terror-Akte umzusetzen, zeigen sich indes seine inneren Brüche. Basierend auf dem authentischen Fall des jüdischen Ku-Klux-Klan-Führers Daniel Burros entwirft der Film ein ebenso fesselndes wie erschreckenden Psychogramm jüdischen Selbsthasses, das stark mit den Motiven von Gott und Gläubigem, Vater und Sohn arbeitet, um den Konflikt des hervorragend gespielten Protagonisten mit seiner Herkunft aufzuarbeiten. Überdies rekapituliert er die großen Verlaufslinien des historischen Antisemitismus und leuchtet in die gesellschaftliche Subkultur der US-Neonazis und ihr hermetisches Gedankengebäude.
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Filmdaten

Originaltitel
THE BELIEVER
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Fuller/Seven Arts
Regie
Henry Bean
Buch
Henry Bean
Kamera
Jim Denault
Musik
Joel Diamond
Schnitt
Mayin Lo · Lee Percy
Darsteller
Ryan Gosling (Danny Balint) · Summer Phoenix (Carla Moebius) · Glenn Fitzgerald (Drake) · Garret Dillahunt (Billings) · Kris Eivers (Carleton)
Länge
94 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 18
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Heimkino

Die 2-Disc Limited Collector's Edition (2019) im Mediabook umfasst den Film auf Blu-ray & DVD, den Original-Kinotrailer und ein 24-seitiges Booklet mit Erläuterungen zum Film von Nando Rohner.

Verleih DVD
Capelight (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion

Einblicke in die schizophrene Gedankenwelt eines jungen US-amerikanischen Juden, der sich zum glühenden Neonazi und Skinhead entwickelt.

Als Regisseur Henry Bean im Jahr 2000 für ein politisch gewagtes Filmprojekt nach einem männlichen Hauptdarsteller suchte, ließ er etliche Schauspieler über einen längeren Zeitraum vorsprechen. Seine Wahl fiel schließlich auf den knapp 20-jährigen Ryan Gosling, der außer ein paar Auftritten in Fernsehshows kaum Erfahrungen mit anspruchsvollen Spielfilmen hatte. Beans mutige Entscheidung zahlte sich künstlerisch aus, denn Gosling ist das vitale Zentrum des Films. Alles läuft durch ihn und über ihn. Dass dieses leichte Defizit des Drehbuchs nicht stärker ins Gewicht fällt, verdankt sich ganz wesentlich Goslings Performance, was für einen Newcomer umso erstaunlicher ist.

Tendenz zu Rigorismus und Rechthaberei

Das Drehbuch skizziert in Anlehnung an die biografischen Stationen des jüdischen US-Neonazis und intellektuellen Skinheads Daniel Burros (1937-1965) die Geschichte von Danny Balint (Ryan Gosling). Wie man aus mehreren Rückblenden erfährt, ist Balint ein sensibler, überdurchschnittlich begabter Junge, der in der Thoraschule mit Leidenschaft über die grundlegenden Texte des Judentums diskutiert und eine Tendenz zu Rigorismus und Rechthaberei an den Tag legt. Insbesondere das Abraham von Gott auferlegte Opfer seines Sohnes Isaak stößt auf Balints heftigen Widerspruch. Unverstanden und abgestoßen von der Borniertheit der anderen, beschreitet er von da an einen abstrusen, schizophren anmutenden Sonderweg: den eines US-amerikanisch- jüdischen Neonazis mit Neigung zu Waffen und Gewalt.

Seinem Elternhaus entfremdet, findet Balint Aufnahme und eine geistige Verwandtschaft bei dem faschistischen Pärchen Curtis Zampf (Billy Zane) und Lina Moebius (Theresa Russell). Mit deren dezent masochistisch veranlagter Tochter Carla (Summer Phoenix) verbindet ihn bald eine komplizierte Beziehung. Seine neue Umgebung empfindet seinen offenen Antisemitismus zwar als altertümlich und unnötig, finanziert ihm aber eine „Ausbildung“, unter anderem in einem Camp radikaler Nazis, wo er den Umgang mit Waffen und Sprengstoff lernt.

Das Gefühl drohender Enttarnung

In dieser Zeit versucht Balint, seine Anschauung über die entwurzelnde und verfremdende Wirkung des Judentums auf die moderne Gesellschaft hauptsächlich durch Reden und Pamphlete zu verbreiten. So wird auch der junge Journalist Guy Danielsen (A. D. Miles) auf ihn aufmerksam, der sich durch ein Interview mit dem redegewandten Skinhead einen Coup verspricht. Im Verlauf des Gesprächs lässt Danielsen jedoch durchblicken, dass er über Balints jüdische Herkunft informiert ist. Es ist wohl diese Stresssituation, das Gefühl einer drohenden Enttarnung oder der Zwang, sich der eigenen Identität verlässlich versichern zu müssen, die in Balint den Entschluss zum baldigen Handeln reifen lassen. 

Zusammen mit Gleichgesinnten plant er einen Anschlag auf eine Synagoge in seiner Heimatgemeinde. Parallel dazu verstärken sich seine schizophrenen Züge. Als seine robusteren Gefährten bei einem Überfall ein jüdisches Gotteshaus verwüsten, schafft Balint klammheimlich die Thorarolle beiseite und bewahrt sie vor der Vernichtung.

Ein zweiter Abraham

Carla entdeckt sie und entlockt Danny mehr und mehr Informationen über die fremde, faszinierende Welt des Judentums, über das er offensichtlich so viel weiß. Sie bittet ihn, ihr Hebräisch beizubringen, was er widerstrebend akzeptiert. Unausgesprochen wird sie zur Mitwisserin seines Geheimnisses. Dennoch setzt Danny seine Planungen fort. Im Finale seines Vorhabens, das er als neuen Holocaust konzipiert, kommt es jedoch anders, und Danny Balint geht nicht als US-amerikanischer Hitler, sondern eher als ein zweiter Abraham in die Geschichte ein.

„The Believer“ überzeugt auf der Handlungsebene schlüssig und spannend; seine wahre Stärke liegt jedoch, wie der ursprüngliche Titel „Inside A Skinhead“ andeutet, darin, in eine obskure gesellschaftliche Subkultur und ihr hermetisches Gedankengebäude hineinzuleuchten. Dabei wird einem als Zuschauern viel zugemutet – und im Unterschied zu vergleichbaren deutschen Produktionen auch viel zugetraut, dass man es nämlich kritisch-intellektuell mit Balints Propaganda aufnehmen kann; sein Standpunkt wird nicht von vornherein als unhaltbar diskreditiert.

Die Inszenierung führt dezidiert in die sehr heterogene Szenen der US-amerikanischen Neonazis ein, über deren Zusammensetzung und Einfluss nur wenig bekannt ist, außer dass es eine Hierarchie von zynischen (An-)Führern und dumm-gläubigen Gefolgsleuten gibt sowie die Verheißung eines eschatologischen „Morgen“, das nach einem reinigenden Feuer ideale Verhältnisse verheißt.

Psychogramm jüdischen Selbsthasses

„The Beliver“ entfaltet ein extremes Psychogramm des jüdischen Selbsthasses. Der Film rekapituliert überdies die großen Verlaufslinien des historischen Antisemitismus, ohne dass diese Passagen nach Geschichtsbuch klingen würden. Henry Beans Gespür als Drehbuchautor trägt in den zentralen Monolog- und Dialogszenen viel dazu bei. Hier sind insbesondere Balints weit ausgreifende Interviewpassagen zu nennen, in denen er auf einen Streich Marx, Freud und Einstein als die „Erzsünder“ jüdisch-theoretischer Abstraktion vom Sockel stoßen will, sowie das intensive argumentative Ringen mit einer Reihe von Holocaust-Überlebenden, die er im Rahmen einer Bewährungsauflage besuchen muss.

Narrativ arbeitet der Film stark mit den Motiven von Gott und Gläubigem, Vater und Sohn. In einem Traum wechselt Balint, der darin deutlich an Kubricks Figur des Alex aus „Uhrwerk Orange“ erinnert, in einem schizoiden Schub zwischen den Rollen eines sadistischen Wehrmachtssoldaten und eines jüdischen Vaters, der alles für seinen Sohn riskiert. Die Schlusssequenz, in der ein junger Danny erneut im labyrinthischen Treppenhaus einer Schule vergeblich von seinem Lehrer weg und nach oben strebt, gemahnt fatal an kafkaeske Albträume, die kaum einer Figur gemäßer sein könnten als dem jüdischen Nazi Balint.

Alle Darsteller überzeugen; die Ausstattung des Films ist, gemessen am Sujet und der Finanzierung, mehr als adäquat. Dennoch liegt es vornehmlich an Ryan Gosling und seiner furiosen schauspielerischen Leistung, dass „The Believer“ nachhaltig in Erinnerung bleibt. Der Film erscheint in einer luxuriösen Neuauflage als Mediabook mit zwei DVDs/Blu-rays, inklusive einem sehr informativen Begleitheft mit vielen Erläuterungen.

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