Klang der Seele

Musikfilm | Deutschland 2007 | 92 Minuten

Regie: Marian Czura

Der Dokumentarfilm begleitet Schüler einer Kompositionsklasse einer Darmstädter Akademie bei ihrer mühevollen Ausbildung vom Alltag im Klassenzimmer bis zur Vorbereitung erster Konzerte ihrer Werke. Dabei gelingt es ihm nur bedingt, sich den eher introvertierten Musiker-Persönlichkeiten und ihrer schwierigen Suche nach einem eigenen künstlerischen Ausdruck zu nähern. Schließlich zeichnet sich eine Diskrepanz zwischen dem künstlerischen Konzept, das die Arbeit in der Klasse bestimmt, und dem des Films ab: Geht es im Unterricht dezidiert um das Ringen um Individualität, rückt der Film eher das weniger Kantige, Populäre in den Mittelpunkt. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Chronos-Film
Regie
Marian Czura
Buch
Marian Czura
Kamera
Gerry Brosius
Schnitt
Gerry Brosius
Länge
92 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Musikfilm | Dokumentarfilm
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Diskussion
Die Kamera gleitet an Stifterfiguren und bunt verglasten Kirchenfenstern vorbei. Wie auf der Suche nach dem Ursprung der Klänge streift sie durch den Sakralraum, bleibt auf einer Orgel stehen, einem majestätischen Palisadenzaun aus metallenen Pfeifen. Dahinter hat sich der 18-jährige Christoph Bornheimer verschanzt und spielt voller Hingabe ein Bach-Präludium. Schon als Elfjähriger bekam Christoph Unterricht beim Kantor, inzwischen hat er sich ein neues Terrain erschlossen: das Komponieren. Neben Christoph sind es Jakobine Eisenach, Michelle Löffler und Roman Czura, Jugendliche zwischen 14 und 19 Jahren, die Marian Czura ein Jahr lang filmisch begleitet hat. Das Quartett absolviert eine Kinder- und Jugend-Kompositionsklasse an der Darmstädter Akademie für Tonkunst. Geleitet wird sie vom niederländischen Komponisten Cord Meijering, der ausgiebig Gelegenheit erhält, sein pädagogisches Konzept zu skizzieren. Es geht dem Mittfünfziger nicht um weltabgewandtes Künstlertum, sondern um eine Schule des Lebens: „Die Jugendlichen sollen nicht unbedingt Komponisten werden“, erklärt Meijering, „sondern in dieser Gesellschaft einen kulturellen Anspruch formulieren; sie sollen etwas anderes im Kopf haben, als jemanden tot zu schlagen, der anders denkt als sie.“ Der kulturelle Anspruch impliziert die Suche nach Klängen und Rhythmen jenseits gängiger Muster, die Jugendlichen werden von ihrem Mentor dazu angehalten, spezifische, ihrem Naturell entsprechende Musik zu komponieren. Gleich in der ersten Klassensitzung, die der Film dokumentiert, zeigt sich der einfühlsame, geduldige Pädagoge von der strengeren Seite. Michelle hat sich offenbar bei einer Kompositionshausaufgabe verzettelt und, so Meijering, „bloß Melodien aneinander gereiht“. So etwas „kannst du doch nicht zum Unterricht mitbringen!“, grantelt der Komponist. Alle haben sie ihre Stärken und Schwächen: Michelle, die Poetin, der die Grundmelodie vor lauter Seitenthemen manchmal abhanden kommt, Christoph, der Hochintelligente, der zu wenig auf seinen Bauch hört, Jakobine, die Energiegeladene, die zuweilen vorprescht, Roman, das kleine Genie, das sich ungern etwas sagen lässt und auf jeder Note beharrt. Anders als bei Andres Veiel, der sich in „Die Spielwütigen“ (fd 36 511) auf vier Schauspielschüler konzentrierte, deren Entwicklung er über Jahre verfolgte, kommen auch ehemalige Eleven Meijerings vor. Vielleicht war die Drehzeit zu kurz, vielleicht ist es Czura aus anderen Gründen nicht gelungen, wirklich nah an die jungen Künstler heranzukommen und ihr mühevolles Ringen um den individuellen Ausdruck spürbar zu machen. Allerdings muss dem Regisseur zugute gehalten werden, dass seine „Akteure“ jünger und als Musiker wahrscheinlich per se verschlossener sind als Veiels Schauspieler, deren Extrovertiertheit zum Beruf gehört. Czura schweift ab. Er begleitet die Schüler anlässlich eines Austauschprogramms nach Trondheim und schaut auf einem Kurztrip bei einer Absolventin der Klasse in Boston vorbei. Auch die Aufführung einer Meijering-Komposition in Eisenach bringt keine Erkenntnisse über den so lustvollen wie schwierigen Lernprozess des Komponierens. Erstaunlich auch, dass seine Qualitäten als Kameramann (u.a. „Daheim sterben die Leut’“, fd 25 343, „Komm, wir träumen“, fd 37 294) wenig Niederschlag finden. Visuell wirkt der Film eher unentschieden zwischen hübsch fotografierten Außenszenerien und den nüchternen Klassensitzungen vor der Notentafel. Auf der Tonspur zeigt Czura vereinzelt Ansätze, Umgebungsklänge nach vorne zu ziehen, aber er geht bei diesem Versuch, auf das vielfältige Spektrum alltäglicher Geräusche Gewicht zu legen, weder subtil noch konsequent vor. Erst am Ende gewinnt der Film wieder an Fahrt, wenn einzelne Kompositionen der Jugendlichen zur Aufführung kommen. Die Spannung beim Proben mit den Musikern, die Überraschungen der Urheber über die Klangnuancen der eigenen, nun endlich aus- und aufgeführten Musik, teilen sich unmittelbar mit. Jetzt begreift man auch, warum Meijering seine Schüler im Unterricht so vehement von der Übernahme gängiger musikalischer Schemata abgehalten hat: Auf dem Weg, eigene Klangwelten zu erschaffen, sind die Vier ein gutes Stück weitergekommen. Skurril und anrührend zugleich wirkt Jakobines Komposition für Koloratursopran und Blumentopf – ein Utensil aus dem Baumarkt. Wie bei Christoph und Michelle wird das Stück nur kurz angespielt, während Romans schwerblütige, wie Tschaikowsky mit Dvorak gekreuzt klingende „Sonata“ für Klavier und Cello noch über dem Epilog und dem Nachspann zu hören ist. „Du kannst nicht in deinem Alter musikalisch in Rente gehen“, hatte Meijering Monate zuvor dem ewig lächelnden Eklektiker gesagt: indem der Regisseur ihm und seinem Werk eine herausragende Rolle gibt, unterläuft er gleichsam die Intentionen des Lehrers, steht doch bei Meijering das Individuelle, nicht das Populäre im Zentrum der kompositorischen Arbeit. Ein Dissenz zwischen filmischer Aussage und künstlerischem Konzept zeichnet sich so zum Schluss ab. Oder sind für Czura die Qualitäten Neuer Musik im Dokumentarfilm einfach nicht vermittelbar?
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