Kommissar Bellamy

Drama | Frankreich 2009 | 112 Minuten

Regie: Claude Chabrol

Ein Pariser Kommissar lässt sich in den Ferien in einen mysteriösen Mordfall verwickeln - sehr zum Missfallen seiner Frau. Zusätzlich wird der Familienfrieden durch den alkohol- und spielsüchtigen Halbbruder des Polizisten belastet. Unaufgeregt unterhaltsamer Kriminalfilm als Hommage an Georges Simenons Kommissar-Maigret-Figur, der mehr auf Beunruhigung als auf "Thrill" setzt. Vorzüglich gespielt, findet Claude Chabrol innerhalb der bisweilen ins Unwirkliche spielenden Handlung auch die Zeit für einen Blick in familiäre und bourgeoise Abgründe; dieser fällt freilich etwas zahmer als in früheren Filmen aus. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
BELLAMY
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Alicéléo Cinéma/France 2 Cinéma/DD Prod.
Regie
Claude Chabrol
Buch
Claude Chabrol · Odile Barski
Kamera
Eduardo Serra
Musik
Matthieu Chabrol
Schnitt
Monique Fardoulis
Darsteller
Gérard Depardieu (Paul Bellamy) · Clovis Cornillac (Jacques) · Jacques Gamblin (Noël Gentil / Emil Leullet / Denis Leprince) · Marie Bunel (Françoise Bellamy) · Vahina Giocante (Nadia Sancho)
Länge
112 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Thriller
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Concorde (16:9, 1.85:1, DD5.1 frz./dt., dts dt.)
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Diskussion
Nun hat er mit 79 Jahren fast das Alter seines großen Vorbilds und filmischen Seelenverwandten Alfred Hitchcock erreicht. Beide haben mit eher verstörenden denn nervenaufreibenden „Krimis“ Filmgeschichte geschrieben. An Produktivität hat Claude Chabrol Hitchcock bereits überholt: „Kommissar Bellamy“ ist sein 58. Kinofilm. Wer gedacht hat, er würde sich nur noch in der Rekapitulation seiner Hassliebe zur Bourgeoisie ergehen oder den zynischen Inspektor der fünf Lavardin-Filme aus den 1980er-Jahren wieder auferstehen lassen, den überrascht Chabrol, der seit seinem Debüt „Die Enttäuschten“ („Le Beau Serge“, 1958) mit fast allen Stars des französischen Kinos drehte, mit einem besonderen Coup: Erstmals arbeitete er mit Gérard Depardieu zusammen. Gleichzeitig ist „Kommissar Bellamy“ eine Hommage an die Menschlichkeit der maupassantschen Charaktere in dessen „Bel Ami“ sowie an Georges Simenons Kult-Kommissar Maigret. Depardieu füllt die Rolle des Pariser Kommissars Paul Bellamy im wahren Sinne des Wortes aus, so als habe er schon immer in dieser Figur gesteckt und bereits Dutzende Fälle gelöst. Nach einem kurzen „Schock“-Moment, in dem die Kamera unterhalb der Klippen ein verbranntes Autowrack und eine verkohlte Leiche einfängt, beherrscht Depardieu in seiner tollpatschigen Massigkeit die Leinwand und bringt eine beruhigende Gemütlichkeit ins beunruhigende Spiel. Kreuzwort rätselnd verbringt Bellamy wie immer die Ferien mit seiner Frau Françoise im eigenen Ferienhaus im provençalischen Nîmes. Doch die Idylle wird jäh unterbrochen. Ein gewisser Noël Gentil alias Emile Leullet drängt sich ihm regelrecht auf, benutzt ihn als Beichtvater: Die verkohlte Leiche sei jener Obdachlose, den er eigentlich umbringen wollte, um ihm seine Identität unterzuschieben. Dann wollte er die Versicherungssumme kassieren und mit seiner Geliebten ein neues Leben anfangen. Doch nun habe ihm das Schicksal einen Strich durch die Rechnung gemacht, nicht ohne ihm dennoch einen Toten zu hinterlassen. So wie der offiziell mit dem Fall betraute Kommissar im Dunkeln tappt, lässt auch Chabrol den Zuschauer lange Zeit kein Licht am Ende des Tunnels sehen. Man hat sogar den Eindruck, er interessiere sich zwischendurch gar nicht mehr für den kriminalistischen Plot, richte seinen Blick lieber auf seine geliebten familiären Abgründe. Da gibt es einiges zu entdecken: Bellamys jüngerer Halbbruder Jacques betritt plötzlich die Szene und bringt genauso viel Unruhe in die Geschichte wie der verhinderte Mörder. Nicht nur, dass der alkoholkranke Glücksspieler verzweifelt um Bellamys Anerkennung kämpft, er bestiehlt auch dessen Diner-Gäste, um seine Spielsucht zu befriedigen. Mit Rückblenden auf Gentils Leben wird noch eine dritte Ebene eröffnet, in der Jacques Gamblin merkwürdig holzschnittartig sowohl Leullet als auch den Obdachlosen spielt. Leullets/Gentils bis zum Ende verwirrend bleibende Geschichte kulminiert in einer wunderbar „surrealen“ Szene, in der sein Anwalt als Plädoyer ein Lied von Georges Brassens singt – und damit tatsächlich die Richter von der Unschuld seines Mandanten überzeugt. Ein augenzwinkernder Verweis Chabrols auf die im französischen Kino der letzten Jahre immer mehr um sich greifende Marotte, Musical-Elemente in die Handlung zu integrieren. Ansonsten konzentriert sich Chabrol in den wie gewohnt präzise kadrierten Bildern von Eduardo Serra, die in ihrer Schlichtheit stets auch etwas Unwirkliches haben, ganz auf die Führung seiner Schauspieler, und man muss lange zurückdenken, um sich an einen Depardieu zu erinnern, der sich dermaßen uneitel in den Dienst des Ensembles gestellt hat. Hinter seiner Gutmütigkeit lauert dennoch immer Chabrols sezierender Blick auf die Bourgeoisie. Die unaufdringlichen Liebesszenen, die er mit der wunderbaren Marie Bunel spielt, gehören zu den zärtlichsten, die Chabrol je inszeniert hat. Vielleicht erleben wir mit „Bellamy“ ja den Beginn einer wunderbaren Freundschaft – und einer neuen „Kommissar“-Serie.
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