Kriegsfilm | USA 2008 | 131 Minuten

Regie: Kathryn Bigelow

Die Männer eines US-Bombenentschärfungskommandos setzen im Irak täglich ihr Leben aufs Spiel. Als ihr Chef bei einem Einsatz von einer Bombe zerfetzt wird, rückt ein Sergeant nach, auf den die Todesgefahr einen morbiden Charme ausübt. Was zunächst als Testosteron gesättigter Kriegsfilm mit hoher sinnlicher Unmittelbarkeit erscheint, entpuppt sich als existenzielles Drama, das sich an der Psyche der Soldaten abarbeitet und deren subjektive Erfahrungen in den Mittelpunkt stellt. Dramaturgisch klassisch angelegt, untergräbt die Inszenierung geschickt die herkömmliche Kino-Logik, indem sie semidokumentarische Beobachtungen mit einer fast kühlen Analyse männlicher Archaik verknüpft. Ein herausfordernder Independent-Film, der sich der Faszination des Ausnahmezustands bedient, um über die Bedingungen westlicher Normalität nachzudenken. (SIGNIS-Preis Venedig 2008) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE HURT LOCKER
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
First Light Prod./Kingsgate Films/Grosvenor Park Media
Regie
Kathryn Bigelow
Buch
Mark Boal
Kamera
Barry Ackroyd
Musik
Marco Beltrami · Buck Sanders
Schnitt
Bob Murawski · Chris Innis
Darsteller
Jeremy Renner (Staff Sergeant William James) · Anthony Mackie (Sergeant JT Sanborn) · Brian Geraghty (Owen Eldridge) · Guy Pearce (Sergeant Matt Thompson) · Christian Camargo (Lieutenant Colonel John Cambridge)
Länge
131 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Kriegsfilm | Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Concorde/Eurovideo (16:9, 1.78:1, DD5.1 engl./dt., dts dt.)
Verleih Blu-ray
Concorde (16:9, 1.78:1, dts-HDMA engl./dt.)
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Diskussion
Subjektiv ist die Perspektive, die bereits die ersten Einstellungen vermitteln. Diese „Point of View“-Ästhetik entspricht nicht allein dem Sujet von „Tödliches Kommando“, sie verweist auch auf das Gesamtwerk der Regisseurin Kathryn Bigelow, das den Zuschauer immer wieder zwingt, an der Objektivität der Bilder zu zweifeln und zugleich das Subjektive der durch sie vermittelten Erfahrung ernst zu nehmen. Was in der Eröffnung zu sehen ist, wird durch minimale Bildstörungen zugleich eindeutig als technisch vermittelt qualifiziert: Es sind Bilder eines mobilen Roboters, die Perspektive, die für Augenblicke eine menschliche schien, ist die einer Maschine. Schnell versteht man: Ein Team von US-Bombenentschärfern im Irak steht im Zentrum, im offiziellen Jargon harmlos als EOD-Einheit („Explosive Ordnance Disposal“) umschrieben. Sie müssen unter Todesgefahr hochexplosive Ladungen unschädlich machen, treten also immer erst in Momenten höchster Gefahr und Unsicherheit auf – der Ausnahmezustand innerhalb des Ausnahmefalls Krieg. Handkamera-Sequenzen vermitteln Gefahr und Hektik einer Situation, die sich zur Panik steigert; der von Guy Pearce verkörperte Anführer der Einheit stirbt bei der folgenden Bombenexplosion. Der Zuschauer lernt, dass er sich auf nichts verlassen kann, auch nicht auf die übliche Hollywood-Logik solcher Filme, der zufolge der schwarze Nebendarsteller stirbt und der Star weiter lebt. Hier ist es umgekehrt. Oder auch nicht – niemand ist sicher. „Tödliches Kommando“ ist ein Testosteron-Film. Man spürt die Anspannung, die Angst. Die Atmosphäre ist angespannt von der ersten Minute an. Man glaubt, die trockenen Zungen der Männer am Gaumen zu spüren; ihren (Angst-)Schweiß zu riechen. Stress, Sinnlichkeit und unmittelbare Erfahrung dominieren. Auch sonst lässt der Film viele der üblichen Kino-Logiken hinter sich. Der Iraker, der ein – bedrohliches? – Mobil-Telefon in der Hand hält, ganz in der Nähe der gerade zu entschärfenden Bombe, wird nicht von „bösen“ Amerikanern unschuldig erschossen. Aber er ist nicht unschuldig, sondern löst die Bombe aus. Auch sind die US-Soldaten, die gezeigt werden, keine Cowboys, die gern zum Frühstück ein paar Eingeborene erlegen. Diese Soldaten schießen, wenn überhaupt, erstaunlich zögerlich in Situationen, in denen man sich als Zuschauer schon lange fragt: Warum schießen die nicht? Auf den Mann, der mit seiner Kamera darauf wartet, eine Explosion aufzunehmen und vermutlich ins Internet zu stellen. Auf die Männer, die von irgendwelchen Balkons aus offenkundig eine Zündung dirigieren. Auf den Mann, der mit mehreren Sprengstoffgürteln auf die Truppen zugeht. Das ist die wohl berechnete Folge der subjektiven Perspektive des Films: Sie macht auch den Zuschauer zum Beteiligten, zwingt ihn zur Parteinahme in die Schützengräben – und daher dazu, schuldig zu werden. So oder so. Die US-Soldaten, die gezeigt werden, sind keine „White Trash“-Sadisten, die foltern und vergewaltigen wie in Brian De Palmas „Redacted“ (fd 39 143); sie sind auch keine überforderten, von den Offizieren im Stich gelassenen Opfer, die ab und an über die Stränge schlagen und ihre Vorschriften missachten wie in „Battle for Hadhita“ (2007) des britischen Dokumentarfilmers Nick Broomfield – beides Filme, die belegte Geschehnisse fürs Spielfilmkino dramatisieren. Sie sind keine feigen Jammerlappen, aber auch keine Opfer, keine durch diffuse höhere Mächte auf falsche Pfade geführten „All American Boys“ wie in Paul Haggis‘ „Im Tal von Elah“ (fd 38 594). All das sind US-Soldaten im gegenwärtigen Irak vermutlich auch. Aber Bigelow zeigt keine „bösen“ Amerikaner; sie zeigt auch keine „guten“. Gut und böse interessiert die Regisseurin nicht. Sie erzählt eine andere Wahrheit. Ihr Film konzentriert sich auf drei US-Soldaten, die weder Helden sind noch Monster, sondern normale Menschen, die ihre Arbeit einigermaßen fachgerecht erledigen. Diese Arbeit aber bringt es mit sich, dass sie mehr als wahnsinnig wirken, eben süchtig nach Todesgefahr: „For war is a drug“, heißt es in einem Insert gleich zu Beginn. Die Intensität, die den Film zu einem erschütternden Erlebnis macht, ist seinem Charakter als ein Independent-Film und dem „Guerilla-Stil“ von Regie und Produktion geschuldet; gedreht mit vergleichsweise niedrigem Budget und eher unbekannten Darstellern (abgesehen von Ralph Fiennes und Guy Pearce). Allen Eigentümlichkeiten der Handkamera- und Digital-Ästhetik zum Trotz ist dies ein dramaturgisch eher klassisch inszenierter Film: Die Kamera nimmt zwar oft die Perspektive der Soldaten ein, aber der eher ruhige Schnitt ist vor allem daran interessiert, Orientierung zu geben und jederzeit den Sinn für Räumlichkeit bestehen zu lassen. Nichts, was zu sehen ist, soll unklar bleiben oder in seinem Wahrheitsgehalt eingeschränkt werden. Der Film zeigt den Krieg ungeschönt, mit einem gewissen Hang zu kleinen Zynismen am Rande. Kathryn Bigelow verbindet Gegensätzliches zu herausragendem Kino: Einerseits ist ihr Film die dokumentarisch präzise Beobachtung eines Nerven zerreißenden, harten Alltags unter Lebensgefahr, zugleich aber arbeitet gerade diese Akkuratesse den Wahnsinn eines Lebens heraus, das, auch wenn man das gern verdrängt, Teil unserer Wirklichkeit ist. Ohne sie einfach zu reproduzieren, macht sie die Faszination dieses Ausnahmezustands spürbar, lässt verstehen, warum es junge Männer freiwillig in den Krieg zieht. In Szene gesetzt ist das mit vielen Anklängen an ihre früheren Filme, an „Near Dark“ (fd 26 867) und „Strange Days“ (fd 31 767), mit Anklängen auch ans Zombie-Kino, an Paranoia-Filme und nicht zuletzt an den Western. Die Faszination dieser Regisseurin für Männerwelten ist in jeder Sekunde spürbar – wie überhaupt der Vorrang, den sie dem Flirrenden und Unklaren vor dem Eindeutigen oder Wertenden gibt. Ihre Verdammung des Irak-Kriegs, ihre Forderung nach Truppenrückzug beschränkt die Regisseurin auf Interviews und Pressekonferenzen, der Film dagegen verzichtet auf Thesen, sondern ergreift für einzelne Menschen Partei. In ihm geht es gewissermaßen gar nicht um Politik, weil es für die Soldaten im Irak auch nicht um Politik geht, sondern ums Überleben. Im Kern ist „Tödliches Kommando“ deshalb ein existenzielles, menschliches Drama. Der Irak dient als „Frontier“ wie im Western, als Fantasiereich wie im Abenteuerfilm, vor allem aber als Ort des Schreckens, wie man es aus dem Horrorkino kennt. Kathryn Bigelow interessiert sich für nichts mehr als für die sinnliche Erfahrung ihrer Figuren und für die Wiedergabe dieser Erfahrung. Weil es sich hierbei aber um eine Kampferfahrung handelt, mag das mancher moralisch unkorrekt finden oder für eine eher „rechte“ Position halten. „War is hell“, das sagt sich leicht; im Kino aber geht es nicht um Thesen, sondern ums Zeigen, und hier liegt die unvergleichliche Qualität dieses Films. Wo ein halbes Dutzend Irak-Kriegsfilme, die in den letzten Jahren zumindest auf den Leinwänden der Festivals auftauchten, wütend anklagten, seziert Kathryn Bigelow kühl die Sache selbst. Gegen Ende sieht man einen der Soldaten, der in die USA zurückgekehrt ist. Im Supermarkt steht eine ganze Wand voller unterschiedlicher Cornflakes-Sorten – ein absurder Kontrast zur irakischen Wirklichkeit und ein extrem starkes Bild für den Charakter jener Freiheit, die mit dem Irak-Krieg erkämpft werden soll. Der Soldat vor der Cornflakes-Wand wird in den Irak zurückkehren und weiter Bomben entschärfen. Bis er stirbt.
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