Beim Leben meiner Schwester

Drama | USA 2009 | 109 Minuten

Regie: Nick Cassavetes

Eine junge Frau, die einst gezeugt wurde, um als Spenderin von Blut und Knochenmark ihrer an Leukämie erkrankten Schwester das Leben zu schenken, klagt gegen diesen Eingriff in ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit. Ein in eine klassische Hollywood-Dramaturgie verpacktes, prominent besetztes Drama um einen zersetzenden familiären Konflikt, in dem die Standpunkte beider Parteien ähnlich nachvollziehbar gezeichnet werden. Die als Videobilder integrierte Erinnerungen an die gemeinsame Kindheit weichen zunehmend schonungslosen Bildern der Krankenhaus-Leidensgeschichte, während zugleich den Schattenseiten moderner medizinischer Errungenschaften nachgespürt wird. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MY SISTER'S KEEPER
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Gran Via Prod./Curmudgeon Films/Mark Johnson Prod.
Regie
Nick Cassavetes
Buch
Jeremy Leven · Nick Cassavetes
Kamera
Caleb Deschanel
Musik
Aaron Zigman
Schnitt
Jim Flynn · Alan Heim
Darsteller
Cameron Diaz (Sara Fitzgerald) · Abigail Breslin (Anna Fitzgerald) · Alec Baldwin (Campbell Alexander) · Jason Patric (Brian Fitzgerald) · Sofia Vassilieva (Kate Fitzgerald)
Länge
109 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Warner Home
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Diskussion
Dies ist der Stoff, aus dem Familienalbträume bestehen – und Artikel gegen Präimplantationsdiagnostik: Ein kleines Mädchen mit einem bestimmten Chromosomen-Satz, lediglich in die Welt gesetzt, um der älteren Schwester Leben zu schenken – ein wandelndes Ersatzteil-Lager. Die meisten Menschen werden aus Liebe oder aus Versehen gezeugt, manche hingegen aus purer Berechnung, so resümiert Anna Fitzgerald zu Filmbeginn ihren Start ins Dasein. Seit ihrer Geburt spendete die Elfjährige Blut und Knochenmark für ihre an Leukämie erkrankte, ältere Schwester Kate. Nun engagiert das Mädchen mit den großen Augen und seinem forschen Auftreten den „What can I do for You“-Anwalt von den Linienbus-Plakaten, um gegen ihre eigene Mutter das Recht auf körperliche Unversehrtheit zu erstreiten. Angst und Auflehnung gegen die Operationen, die einhergehenden Schmerzen und wochenlangen Komplikationen begleiteten Annas bisheriges Leben. Kindliche Befindlichkeiten, nicht aufzuwiegen gegen deren lebensrettende Aufgabe, so verteidigt sich die ehemalige Anwältin und Mutter Sara. „Beim Leben meiner Schwester“ fasst das langsame Sterben eines Kindes in schonungslose Bilder: Reaktionen der Chemotherapie und eines schwindenden Körpers, Erbrechen, blutunterlaufene Augen, ein blauädrig weißer, haarloser Kopf. Nun braucht die 14-jährige Kate dringend eine Niere von Anna – doch mit deren Weigerung beginnen die auf Video gebannten, sonnendurchfluteten Momentaufnahmen einer gemeinsamen Jugend dem sterilen Blau des einsamen Krankenhauszimmers zu weichen. Ein von Collagen, Fotos und Zeichnungen überzogenes Erinnerungsalbum sorgt für Einblicke in Kates jugendlichen Umgang mit der Vergänglichkeit – und für die traurigsten Momente des Films. Diese sind den Handlungsbausteinen und den melodramatisch überzeichneten Charakteren immanent, dennoch bemüht sich Regisseur Nick Cassavetes, nicht allzu stark auf die Tränendrüse zu drücken. Betroffenheit wurde auch in seinem Alzheimer-Liebesdrama „Wie ein einziger Tag“ (fd 36 656) groß geschrieben. Das Hauptaugenmerk liegt diesmal jedoch auf einer aufgeriebenen Familie, die an Annas entschiedenem „Nein“ zur Spende endgültig zu zerbrechen droht. Die vehemente Weigerung der angsterfüllten Mutter Sara, dem Tod der Tochter ins Auge zu sehen, überrollt alle: Sohn Jesse zog sich schon lange zurück, Vater Brian, von Beruf Feuerwehrmann, verfiel in Lethargie, die beiden Schwestern schweben in einer „mütterlich“ überwachten, mental-körperlichen Symbiose, die Anna zunehmend als parasitär empfindet. Anna fragt, was mit ihr sei, mit den eingeschränkten Sportmöglichkeiten, mit der eigenen Gesundheit, wenn sie Kate mit ihrer Niere das Überleben schenkt. Cassavetes stellt dieses Worst-Case-Szenario eines funktionellen Ersatzkindes, zu dem Elternliebe führte und das diese letztendlich auch für sich selbst beansprucht, in den Mittelpunkt seines melodramatischen Familienreigens. Die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Jodi Picoult packen er und sein Drehbuchautor Jeremy Leven in klassische Hollywood-Dramaturgie. Die dazugehörigen, fast schon traumartigen Erinnerungsbilder eines glücklicheren Lebens und ihre Montage verschreiben sich eher dem Arthouse-Kino. Dieses machte auch „Little Miss Sunshine“ (fd 37 908) Abigail Breslin, nun als zerrissene Schwester Anna, vor drei Jahren international bekannt. Breslin teilt hier das Schicksal von Sally Hawkins, die nach Mike Leighs „Happy-Go-Lucky“ (38 794) in der Verfilmung des Erfolgsromans „Wüstenblume“ spielt und somit den nicht immer heilsamen Schritt ins Mainstream-Kino vollzieht. Die dort längst heimische Cameron Diaz wird indessen als unprätentiös verzweifelnde Löwenmutter gerade gegen ihren sonstigen komödiantischen Strich gebürstet. Mithilfe des geschickt in verschiedene Richtungen ziehenden Mutter-Tochter-Gespanns schildert Cassavetes das Melodram einer Welt, in der modernste Medizin mit alten Krankheiten auf den Schultern der Betroffenen ringt – Saras Kampfgeist wirkt dabei ebenso verständlich wie Annas Recht auf körperliche Unversehrtheit. Das Problem klebt und nagt hier weniger an zwei verschiedenen Interessengruppen als vielmehr an der Situation, in die sich die Fitzgeralds vor elf Jahren mit Annas Zeugung hineinmanövriert haben. Die Entscheidung zwischen Spende und Nicht-Spende wird erst durch die Errungenschaften der Wissenschaft unmenschlich – in einem Gefüge, das als das menschlichste gilt: der Familie.
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