Auf halbem Weg zum Himmel

Dokumentarfilm | Deutschland 2008/09 | 106 Minuten

Regie: Andrea Lammers

Der Dokumentarfilm zeichnet über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren den Kampf einer indigenen Bevölkerungsminderheit im Norden Guatemalas auf, die trotz Sicherheitsgarantien der Regierung am 5.10.1995 ein Massaker an ihren Mitbewohnern erleben musste. Als die übliche Verschleierungspolitik zum Tragen kommen sollte, setzte sie sich mit allen rechtsstaatlichen Mitteln erfolgreich zur Wehr. Der informative, auf selbst gedrehten und Archivbildern sowie zahlreichen Zeugenaussagen basierende Film stellt einen markanten Punkt in der (Rechts-)Geschichte Guatemalas dar, ist dabei recht spröde und wird wohl eher ein Publikum erreichen, das für das Thema ohnehin aufgeschlossen ist. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2008/09
Produktionsfirma
pop tutu film/ZDF
Regie
Andrea Lammers · Ulrich Miller
Kamera
Lars Barthel
Musik
Barre Phillips · Evan Parker · Lawrence Casserley · Doug Martsch · Toni Goth
Schnitt
Dörte Völz
Länge
106 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Die Parallelmontage am Ende des mit 106 Minuten etwas zu lang geratenen, monothematischen Films verstört auf den ersten Blick: Da schleppt ein Mann in den besten Jahren zentnerschwere Teile eines Baumstamms in sein Dorf, in der nächsten Szene sind Kinder zu sehen, die mit ihren Müttern unter Scherzen Luftballons aufblasen und sich sichtlich auf ein bevorstehendes Fest freuen. Scheinbar unvereinbare Szenen, doch wenn man diese Bilder „übereinander“ legt, ergeben sie durchaus einen symbolhaften Sinn. Der Lastenträger ist in seiner Hütte angelangt, Schweiß rinnt über sein von den Strapazen gezeichnetes Gesicht, doch die Augen funkeln hoffnungsfroh – eine schwere Arbeit ist wieder einmal geschafft. Die Freude der Kinder erklärt sich eigentlich von selbst, doch sie knüpft an den traurigen Anlass des Dokumentarfilms an, der durch ein bevorstehendes Dorffest eingeleitet wurde. Am 5. Oktober 1995 bereiteten die Bewohner der indigenen Siedlung Finca Xamán ein Dorffest vor. Gefeiert werden sollte die Rückkehr in die guatemaltekische Heimat im Norden des Landes: Den Indios, die seit den Repressalien Anfang der 1980er-Jahre in Mexiko Zuflucht gefunden hatten, war durch Verträge beider Staaten Sicherheit garantiert worden. Vorausgegangen waren 651 Massaker an der Urbevölkerung – seit den 1950er- Jahren unter den unterschiedlichsten Diktaturen. Nun, am 5.10.1995, sollte die Neubesiedlung gefeiert werden. Doch das geplante Freudenfest friedlicher Siedler wurde durch einen Trupp Soldaten gestört, die auf Patrouille im Grenzgebiet im Dorf auftauchten, für Verunsicherung sorgten, sich plötzlich bedroht fühlten und das Feuer auf die Menschenmenge eröffneten. Elf Tote und 27 Verletzte waren die Folge. Eine weitere, nicht weiter verwunderliche Folge war, dass das Massaker nach Landessitte unter den Teppich gekehrt werden sollte. Für die anhängigen Verfahren waren Militärgerichte zuständig, die einige Erfahrungen mit Rechtbeugung und parteiischen Zeugen hatten. Doch diesmal hatte die Justiz von Guatemala die Rechnung ohne die Siedler von Xamán gemacht, die sämtliche Rechtsquellen ausschöpften und eine Verurteilung erreichten. Die Rede ist dabei nicht von einer Lappalie: Die Täter, die 2004 noch freigesprochen worden waren, wurden in dritter Instanz zu 40 Jahren Haft verurteilt. Vielleicht erklärt dies die Zufriedenheit auf dem Gesicht des Mannes. Andrea Lammers und Ulrich Miller bieten mit ihrem Regiedebüt – einem Projekt, das mit Hilfe des Kleinen Fernsehspiels (ZDF) über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren entstand – einen Überblick über allgegenwärtiges Unrecht, in dem sich die Haltung einer noch längst nicht überstandenen Conquista spiegelt, sowie die über die Reaktion der indigenen Bevölkerung, die gelernt hat, mit rechtsstaatlichen Mitteln für ihre Sache zu streiten. Die Siedlung „Aurora 8 de Octube“ ist noch längst nicht das Paradies auf Erden, und an einer Stelle des Films fallen die durchaus zweideutigen Sätze: „Wohin gehen die Toten? In den Himmel! Und wo ist der Himmel? Im Dorf.“ Trotz dieser fatalistischen Grundhaltung sind die Quihé-Familien nicht bereit, einen Zoll von ihrer Scholle und ihrem Recht zu weichen. Die Filmemacher verbinden zahlreiche selbst gedrehte Aufnahmen mit Fernsehdokumentationen, Archivmaterial und Amateurvideos zu einer asynchronen Einheit, liefern einen tiefen Einblick in die Tragödie, bieten Aussagen von Augen- und Zeitzeugen, lassen Täter und Opfer zu Wort kommen und stellen immer wieder das Verhalten der Regierung Guatemalas an den Pranger, das beispielsweise dazu führte, dass einer der führenden Staatsanwälte, dessen Leben bedroht wurde, sein Mandat niederlegte und mit seiner Familie ins Exil ging. Alles in allem ein sehr informativer Film, nur leidet er am Grunddilemma dieser Dokumentarfilm-Gattung: Er wendet sich eigentlich an Zuschauer, die der Thematik ohnehin aufgeschlossen sind, bietet diesen wenig Neues und dient in erster Linie dazu, bereits gefasste Urteile zu fundieren. So muss man konstatieren, dass „Auf halbem Weg zum Himmel“ wohl eine für Dritte-Welt-Problematiken engagierte Zielgruppe erreicht, kaum aber ein breiteres Publikum finden wird – auch nicht bei aufgeschlossenen Dokumentarfilm-Anhängern.
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