Horror | Frankreich/Belgien/Großbritannien/Australien 2008 | 92 Minuten

Regie: Fabrice Du Welz

Eine Französin, die beim Tsunami 2005 in Thailand ihr Kind verlor, glaubt dieses in einem Video über obdachlose Kinder wiederzuerkennen und macht sich mit ihrem Mann auf die Suche. Die Reise führt nach Burma, in Regionen jenseits der Zivilisation, mitten ins Herz der Finsternis. Ein Ehedrama, das sich zum Horrorfilm verdichtet, wobei das Grauen langsam, aber sicher Einzug hält und die Angst vor dem Fremden mit der Angst vor der Frau verschmilzt. Aus den inneren wie äußeren Grenzgängen der Figuren erwächst ein suggestives Albtraumkino. - Ab 18.
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Filmdaten

Originaltitel
VINYAN
Produktionsland
Frankreich/Belgien/Großbritannien/Australien
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
The Film/K2 SA/Motion Investment Group/One Eyed/Pilchard Prod.
Regie
Fabrice Du Welz
Buch
Oliver Blackburn · Fabrice Du Welz · David Greig
Kamera
Benoît Debie
Musik
François Eudes
Schnitt
Colin Monie
Darsteller
Emmanuelle Béart (Jeanne Belhmer) · Rufus Sewell (Paul Belhmer) · Julie Dreyfus (Kim) · Petch Osathanugrah (Thaksin Gao) · Amporn Pankratok (Sokghai)
Länge
92 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16
Pädagogische Empfehlung
- Ab 18.
Genre
Horror | Drama
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Die Extras umfassen u.a. ein ausführliches, sehr interessantes "Making of" (50 Min.).

Verleih DVD
Koch (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt., dts dt.)
Verleih Blu-ray
Koch (16:9, 2.35:1, dts-HD engl./dt.)
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Diskussion
Es beginnt mitten im Chaos: Dröhnen, Schreie, wild wirbelnde Bläschen, betäubendes Rot. Dann idyllische Ruhe. Das Meer. Die Frau. Paradies und Hölle. Schönheit und Grauen: All das liegt nah beieinander in Fabrice du Welz’ Horrorfilm. Sechs Monate, nachdem ihr einziges Kind während der Tsunami-Katastrophe in Thailand verschwand, glaubt die Französin Jeanne, den vermeintlich toten Sohn in einem Video über obdachlose Kinder in Burma wiederzuerkennen. Gemeinsam mit ihrem Mann Paul begibt sie sich auf eine ungewisse Reise in ein Land jenseits aller Zivilisation und landet in einem heimtückischen Dschungel, der von verwilderten Wesen bewohnt wird, die keine Eindringlinge dulden. Wenn ein Mensch einen grausamen Tod stirbt, so erfährt man, findet seine Seele keine Ruhe und wird böse. Das nennt man „Vinyan“. In den letzten Jahren nehmen die Reisen ins Herz der Finsternis wieder zu. Nicht nur der Dschungel bleibt als ein letztes Bild jenes Reichs, das sich dem Verstand widersetzt. Für Cathérine Breillat etwa ist es in „L’anatomie de l’enfer“ (2004) der weibliche Körper, vielleicht auch die weibliche Psyche. Für den Mann bedeutet das absolute Angst angesichts des nicht Begreifbaren, der ewige Krieg der Geschlechter. Lars von Trier baute daraus sein Schauermärchen „Antichrist“ (fd 39 476), und Fabrice du Welz, dessen homoerotische Groteske „Calvaire“ (2004) die Abwesenheit der Frau in der Feminisierung des Protagonisten beschwor, inszeniert diese ewige Tragödie einmal mehr in „Vinyan“. Dabei sind „Antichrist“ und „Vinyan“ Geisterfilme, und in beiden hat der Mann mit dem geheimen Band zwischen Frau und Kind zu kämpfen, das gewaltsam zerstört wurde. Doch während der Mann in „Antichrist“ selbst das Grauen herauf beschwört (durch die Psychoanalyse), zieht es in „Vinyan“ die Frau immer tiefer in den burmesischen Dschungel, wo sie zu sich selbst findet. Und den Mann verliert. Emmanuelle Béart gilt als französisches Sexsymbol. In „Vinyan“ mutet es merkwürdig an, ihr maskenhaftes Gesicht, ihre reduzierte Mimik zu betrachten, während Rufus Sewell expressive Emotionen zeigt. Diese weibliche Maske aber ist zugleich eine Metapher der Undurchdringlichkeit des Weiblichen, mit der Paul zu kämpfen hat. Während sich seine Frau in die obsessive Suche nach dem verlorenen Kind hineinsteigert, beginnt er, sich mit Alkohol bis zum Delirium zu betäuben und erschreckende Visionen zu imaginieren. Der düstere Schatten des abwesenden Kindes erstickt das Paar immer mehr. Obwohl Paul klar ist, dass ihre Reise ins Herz des burmesischen Dschungels die letzte sein könnte, folgt er Jeanne. Aus der kapitalistischen Unterwelt Thailands geraten sie geradewegs in die grüne Hölle von Burma, eine Welt, die nach undurchschaubaren Gesetzen funktioniert und in der das Leben keinen Wert hat. „Vinyan“ ist deshalb ein echter Horrorfilm, doch das Grauen kommt schleichend und mit steigender Gewissheit. Kalt und unausweichlich, angesiedelt zwischen existenziellem Ehedrama und psychedelischem Kannibalenfilm, zwischen Angst vor der Frau und Angst vor dem Fremden. Für den belgischen Filmemacher du Welz (Jahrgang 1972) ist sein zweiter Spielfilm ein mutiger Schritt nach vorn. Bereits sein Debüt reihte sich in die Welle transgressiver Horrorfilme aus Westeuropa ein; mit „Vinyan“ geht er weiter. Am Ende bleiben nur noch die diffusen Laute des Dschungels unter dem Abspann: Chaos regiert. Die Natur überdauert. Auch ohne den menschlichen Geist. Das ist Albtraumkino auf höchstem Niveau.
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