Die koreanische Hochzeitstruhe

Dokumentarfilm | Deutschland 2008 | 82 Minuten

Regie: Ulrike Ottinger

Dokumentarfilm über koreanische Hochzeitsriten. Auf der Spur der aufwändigen Bräuche, von denen in Korea ein florierender Geschäftszweig lebt, führt er in eine Welt, in der Tradition und Moderne nahtlos ineinander übergehen und wo Kult und Industrie, östliche Überlieferung und westliche Einflüsse kaum voneinander zu trennen sind. Die Perspektive ist dabei ethnografisch, aber nicht exotisierend und eröffnet fundierte Einblicke in die Überlagerung von Altem und Neuem in der modernen (süd-)koreanischen Gesellschaft. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Ulrike Ottinger Filmprod./IWFFIS
Regie
Ulrike Ottinger
Buch
Ulrike Ottinger
Kamera
Ulrike Ottinger · Lee Sunyoung
Musik
Kim Soyoung
Schnitt
Bettina Blickwede
Länge
82 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Neben dem Umschlag für den Heiratsantrag, festlichen Stoffen, silbernen Löffeln und anderen Geschenken wandert auch ein Gürtel mit fünf verschiedenfarbigen Säckchen in die schwere Holztruhe. Rote Bohnen zur Vertreibung böser Geister, gelbe Bohnen für den sanften Charakter der Braut und Klebereis für „gutes Zusammenkleben und hundertjähriges Glück“. In „Madame Kims Hochzeitsladen“ wird gerade mit großer Sorgfalt eine Hochzeitstruhe gepackt, ein traditionelles koreanisches Hochzeitsritual, das mit einer Vielzahl symbolischer Bedeutungen aufgeladen ist und einem präzisen Regelwerk folgt. Die Kordeln dürfen nicht geknotet werden, das bringt Unglück, ebenso wie gerade Zahlen. Rot steht für die Frau, Blau für den Mann. Auch die zukünftigen Nachkommen werden in der Ausstattung der Truhe mitbedacht: Der weiße, zur Kordel geschlungene Stoff, mit dem die Truhe von einem Boten zu den Eltern der Braut getragen wird, soll später zu Windeln verarbeitet werden. Ulrike Ottinger nimmt die koreanische Hochzeitstruhe zum Ausgangspunkt einer Reise in die moderne koreanische Gesellschaft, die von der futuristischen Architektur der unaufhörlich wachsenden Mega-Citys ebenso geprägt ist wie von alten Tempeln und Palästen. Das Alte und das Neue liegen hier unmittelbar nebeneinander und überlagern sich auf oft kuriose Art und Weise. Die koreanische Hochzeit ist hierfür ein geradezu paradigmatischer Fall und bringt, wie Ulrike Ottinger sagt, das „Alte im Neuen – und das Neue im Alten“ zum Vorschein. Bereits in früheren Werken hat sich die Filmessayistin ausgiebig mit Hochzeitsriten anderer Länder befasst, beispielsweise in „Taiga“ (fd 30 572). In ihrem neuen Film sammelt sie, bevor sie zum zentralen Gegenstand, der Hochzeitstruhe, vorstößt, zunächst beiläufig, aber doch konzentriert verschiedene kleine Szenarien, die mit Paar-Ritualen zu tun haben. Nicht zuletzt geben diese Aufschluss darüber, wie sich Traditionen und Rituale transformiert bzw. modernisiert haben. So sieht man zu Anfang des Films einen Tempel, der mit bunten Zetteln geschmückt ist, auf denen die Paare ihre Wünsche niedergeschrieben haben. In modernisierter Form findet sich ein vergleichbares Ritual auf einer Aussichtsplattform. Unzählige kleine Vorhängeschlösser werden hier täglich an die Umzäunung angeschlossen, obligatorisch ist dabei ein darauf geklebtes Paarfoto, das kurz zuvor dort aufgenommen wurde. In Korea leben drei von 14 Mio. Einwohnern vom „Hochzeitsbusiness“. Friseure, Kleidergeschäfte, Geschenkwarenläden und Fotografen arbeiten in diesem florierenden Gewerbe, das ganze Straßenzüge besetzt. In einem Beauty-Salon für Hochzeitspaare sitzen die Bräute reihenweise vor den Frisiertischen und werden stundenlang gepudert, geschminkt und frisiert – das Vorbild scheint hier jedoch eher ein perfektes Hollywood-Image zu sein als ein traditionell koreanisches Frauenbild. Auch die Zeremonie im Hochzeitspalast vermischt alte Gebräuche mit neuen Einflüssen. Die Feier ist präzise durchchoreografiert, allerdings sind die Brautleute ganz auf die Hilfe von Assistentinnen (die wie Stewardessen aussehen) angewiesen. Traditioneller Ritus und automatisierter Fließbandcharakter lassen sich kaum voneinander unterscheiden, ein gewisser Las-Vegas-Flair hat Einzug gefunden – der Hochzeitswalzer kommt vom Laptop, die Hochzeitstorte sieht wie aus Plastik aus, edle Pracht und Trash, Ost und West scheinen durchaus miteinander vereinbar. Fließen der Braut ein paar Tränen, kommt sofort eine Angestellte des Hauses mit einem Taschentuch angerannt. Überhaupt wird viel herum- und zurechtgezupft; den Ablauf des Programms stört dies jedoch nicht. Immer wieder lassen die Brautleute ihre Bewegungen für den Fotografen kurz einfrieren – der Eindruck einer perfekten Inszenierung soll zumindest im Fotoalbum suggeriert werden. Ansonsten ist die Zeremonie von kleinen Verwirrungen, Orientierungslosigkeiten und Fehlern bestimmt, ganz zur Erheiterung der versammelten Gesellschaft. Ulrike Ottingers Blick ist klassisch ethnografisch, wirkt aber dennoch nicht exotisierend. Uns erscheinen die Hochzeitsrituale zwar rätselhaft, bizarr und andersartig, doch auch die Beteiligten blicken manchmal wie Fremde auf das Geschehen. Sie wissen zwar, dass es ein Drehbuch gibt, den Text haben sie jedoch nie gelernt.
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