Space Tourists

Dokumentarfilm | Schweiz/Deutschland 2009 | 102 Minuten

Regie: Christian Frei

Beobachtungen rund ums russische Raumfahrtzentrum Baikonur, aus denen sich ein komplexes, philosophisch grundiertes Essay über das All, das Leben, Träume, Fantasien und Hoffnungen entwickelt. Der musikalisch suggestiv untermalte Film begleitet eine reiche US-Amerikanerin in den Orbit, zeigt Sammler von Weltraumschrott in der kasachischen Steppe und einen rumänischen Erfinder, der am bezahlbaren Weltraumflug für alle tüftelt. Eindrucksvoll strukturiert und fotografiert, verwebt er seine dramaturgischen Tableaus zum großen Sinnzusammenhang und erhebt sich in die Sphären hoher Dokumentarfilmkunst. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
SPACE TOURISTS
Produktionsland
Schweiz/Deutschland
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Christian Frei Filmprod./SF/SRG SSR idée suisse/ZDF-arte
Regie
Christian Frei
Kamera
Peter Indergand
Musik
Eduard Artemjew · Jan Garbarek · Steve Reich
Schnitt
Christian Frei
Länge
102 Minuten
Kinostart
29.07.2010
Fsk
ab 0f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Kool (16:9, 1.85:1, DD5.1 div.)
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Diskussion
In seinen Dokumentarfilmen lässt sich Christian Frei gerne auf Grenzerfahrungen ein: darauf, was Kriegsfotografen bewegt, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um dem Tod bei der Arbeit zuzusehen („War Photographer“, fd 35 483), oder warum Archäologen in unwirtlicher Gegend Stein um Stein eines teils verschütteten, teils von Menschenhand vernichteten Denkmals abklopfen („The Giant Buddhas“, fd 37 728). Zerstörung und Erschaffung, Ende und Neubeginn, das Detail und das große Ganze werden in einen Sinnzusammenhang gebracht; unter den zeitgenössischen Dokumentaristen ist Frei wohl der am meisten universelle und gleichzeitig konkreteste Philosoph. Dabei sind die von ihm entworfenen Bilderwelten so stilvoll fotografiert, erhaben und schön, dass sie durchaus den Vorwurf des Hochglanz-Dokumentarismus provozieren könnten: ein Verdikt, das freilich nur die Oberfläche der Filme, nicht aber deren Kern trifft. Sein neues Werk befasst sich mit dem Phänomen des Weltalltourismus. Für 20 Mio. Dollar pro Flug ermöglicht Russland eine Reise in den Orbit. Frei hat es geschafft, die aus dem Iran stammende, seit langem in den USA lebende Milliardärin Anousheh Ansari zu überzeugen, ihn an ihrem Abenteuer teilhaben zu lassen; ja, mehr noch: Sie selbst steuerte mit der Kamera einige grandiose Motive des Films bei, vom Alltag in der Rakete unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit bis zum Blick auf den Planeten Erde. Der Regisseur lässt keinen Zweifel an seiner Hochachtung für diese junge Frau, deren Flug er freilich in einen größeren, kritischen Kontext stellt. Während Ansari davon träumt, möglichst viele Menschen an dem teilhaben zu lassen, was sie erlebt, zeigt der Film, wie erbärmlich das Dasein unten auf der Erde sein kann. Die Bilder aus dem All treffen auf Szenen von Bettlern, die in der kasachischen Steppe nach herabfallenden Raketenteilen, sogenanntem Weltraumschrott, suchen. Zudem zeigt Frei Bewohner des Altai-Gebirges, deren Behausungen gelegentlich von solchem Schrott getroffen werden und deren Gesundheit durch die hochgiftigen Chemikalien, die sich in den Teilen festgesetzt haben, bedroht ist. Die Ideen und Ideale einer sympathischen Träumerin und die Realität von Hunderttausenden klaffen erbarmungslos auseinander. Die eine weiß von den anderen nichts: „Space Tourists“ konfrontiert Bilder einer gespaltenen Welt und spiegelt, ohne das verbal zu betonen, die Perversion, die einer solchen Spaltung inne wohnt. Wie all seine Arbeiten hat Frei auch den neuen Film eindrucksvoll komponiert und strukturiert. Die Lebenswelt der kasachischen Schrottsammler eröffnet sich unter anderem durch Aufnahmen eines jungen „Magnum“-Fotografen, dessen nachdenkliche Off-Kommentare einen Gegenpol zum naiven Enthusiasmus der Milliardärin setzen. Die Buffo-Ebene wird durch einen rumänischen Tüftler bedient, der für einen bezahlbaren Preis Passagiere mit einem solarbetriebenen Ballon in die Stratosphäre zu befördern gedenkt – aber zunächst an lauen Winden scheitert. Die verrottete Utopie der einstigen Großmacht Sowjetunion macht Frei durch Motive der in Tristesse versinkenden Kosmonautenstadt Baikonur deutlich, deren Denkmale vor sich hin rosten. Wenn ein weiterer Weltraumkandidat russisches Büchsenessen probiert, streng beäugt von kosmoskosterprobten Küchenfrauen, mündet die Bitternis erneut in die Groteske: alle dramaturgischen Tableaus, alle inhaltlichen Abschweifungen korrespondieren miteinander, getragen von einem suggestiven Soundteppich, der auch elektronische Klänge enthält, wie sie in Tarkowskijs Science-Fiction-Klassikern „Solaris“ (fd 20 140) und „Stalker“ (fd 22 921) zu hören waren. Mit Tarkowskijs Vater, dem Lyriker Arsenij Tarkowskij, beginnt und endet der Film. Am Anfang steht dessen Gedichtzeile: „Ich bin der Mensch, in der Mitte der Welt./ Hinter mir Myriaden von Einzellern./ Vor mir Myriaden von Sternen.“ Und am Schluss zitiert eine sehr leise Stimme, zu Bildern eines Schafhirten, der sich aus Weltraumschrott eine Art Jurte baut, das Finale des Gedichts: „Und, lieber Gott, ein Schmetterling,/ wie ein Fetzen goldener Seide,/ lacht über mich wie ein Kind.“ Vor der Natur, der Schöpfung, der Ewigkeit sind schließlich alle Menschen gleich; auch das will uns „Space Tourists“ ins Bewusstsein rufen.
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