Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen

Dokumentarfilm | Deutschland/Schweiz 2008 | 93 Minuten

Regie: Hajo Schomerus

Dokumentarfilm über die Grabeskirche in Jerusalem, die sechs christliche Konfessionen beherbergt, was nicht ohne Konflikte bleibt. Das impressive Patchwork aus sorgfältigen Bildern und Originaltönen verharrt nicht bei den hanebüchenen Rivalitäts- und Machtspielen der Mönche, sondern erweckt den von Touristen überfluteten Ort zu einem meditativ-mystischen Leben. Der Mut, auf erläuternde Kommentare zu verzichten, befreit den Film von bildungsbeflissenem Ballast und verwandelt ihn in eine kontemplative Betrachtung über das Widersprüchliche im Christentum. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Schweiz
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Busse & Halberschmidt Filmprod./ T & C Film/ZDF/Teleclub
Regie
Hajo Schomerus
Buch
Hajo Schomerus
Kamera
Hajo Schomerus
Schnitt
Daniela Grosch
Länge
93 Minuten
Kinostart
25.03.2010
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Wenn Fernsehkameras den Blick über Jerusalem streifen lassen, schauen sie meist vom Ölberg aus auf das steinerne Häusermeer mit der goldenen Kuppel des Felsendoms. Dieser Perspektive begegnet man auch in Hajo Schomerus’ Dokumentarfilm, und das gleich mehrfach, wobei der Fokus hier wohltuend verschoben ist. Die „Skyline“ der Altstadt dient nicht als illustratives Beiwerk, sondern als sorgsam kadriertes, konzentriertes Kinobild: Vor lauter Türmen, Antennen, Minaretten, Ziegeln und Drähten ist zunächst nur ein großes Tohuwabohu zu erkennen – der Raum über den Dächern als getreues Spiegelbild des Wirrwarrs in den Gassen eines mittelalterlich-arabischen Basars, der auch ohne den Nahost-Konflikt als Schnittpunkt dreier Weltreligionen einem Pulverfass gleicht. In der Fluchtlinie dieses Panoramas: die Grabeskirche als heilige Stätte des Christentums, deren bizarrem Mikrokosmos sich der Film verschrieben hat. Das Bauwerk über der Grabstätte Jesu ist ein architektonisches Monstrum. Seit dem 4. Jahrhundert hat hier jeder, der Zugriff auf Jerusalem hatte, an-, um- und ausgebaut; jede Glaubensrichtung fühlte sich bemüßigt, dem Ort ihr Verständnis von Rechtgläubigkeit aufzuzwingen. Baulich schlug sich das in immer neuen Altären, Kapellen und Seitenschiffen nieder, die einen beständigen Fluss von Reliquien und Riten nach sich zogen, was die Auseinandersetzungen weiter anheizte. Heute teilen sechs verschiedene christliche Konfessionen die Kirche: ägyptische Kopten, äthiopische Abessiner, römisch-katholische Franziskaner, syrisch-aramäische, armenische und griechisch-orthodoxe Christen. Mehr noch: Die Mönche leben innerhalb dieser Mauern, um das Grab nach ihrer Façon zu bewachen, was nicht ohne Spannungen abgeht. Frühmorgens um sechs Uhr etwa beginnt die Frühmesse der Franziskaner. Ohne Rücksicht auf die armenischen Mönche, deren gesungenes Morgenlob noch nicht zu Ende ist, setzt eine lärmende Orgel ein und bügelt alles andere nieder; Schlag acht Uhr geht das Regiment an die griechisch-orthodoxen Mönche über, die sich als die wahren Hüter des Grabes fühlen und dementsprechend rigoros zur Sache gehen. Die Konflikte, die sich in den Interviews mit den Mönchen abzeichnen, sind kindisch bis hanebüchen, aber so tief in den Köpfen der Männer verwurzelt, dass an einen Dialog, geschweige denn ein Miteinander der Konfessionen nicht zu denken ist. Schomerus lässt sich glücklicherweise nur am Rande auf diese Rivalitäts- und Machtspiele ein und hält sich mit karikierenden Zuspitzungen zurück. Stattdessen konzentriert er sich mit der von ihm geführten CinemaScope-Kamera auf ein impressives Patchwork aus Bildern und O-Tönen, das häufig in Augenhöhe unter den Pilgern weilt, aufmerksam vielen Details nachspürt und so den Ort zum Leben erweckt. Dazu zählen israelische Rekruten, die mit dem Gewehr über der Schulter durch die Kirche geschleust werden und einen Crashkurs in „Christentum“ erhalten, hitzköpfige Gläubige, die sich im Gedränge aus Menschen und religiösen Ideen in die Haare geraten, Palm- und Osterprozessionen, der Andrang touristischer Massen während der Feiertage; die Geschichte zweier rivalisierender muslimischer Familien, von denen die eine täglich das Tor der Kirche schließt und öffnet, während die andere dazu den Schlüssel verwahrt; und immer wieder verblüffende Aufnahme des Bauwerks und seiner Interieurs, ohne darüber eine distanziert-neutrale Orientierung anzustreben. Hier ist ein Dokumentarist ganz bei der Sache und so mutig, die komplizierten Verhältnisse ohne bildungsbeflissene Kommentare zu präsentieren, in der Hoffnung, dass sich die Neugier des Filmemachers aufs Publikum überträgt. Ob der Film wirklich jene Tragödie offenbart, in der die christliche Vision einer besseren Welt auf das urmenschliche Dilemma trifft, fromm und gut, aber auch der erste in der Schlange sein zu wollen, sei dahin gestellt; er führt jedoch sinnlich-unmittelbar an einen Ort, der sich im Laufe des Films buchstäblich verwandelt: von einem aufgeregten Taubenschlag übers konfessionelle Minenfeld hin zur meditativ-mystische Kontemplation und Anbetung. Möglich wird das durch den Umstand, dass die Kirche abends geschlossen wird und die Mönche nachts alleine am Grab beten. Dann, so suggeriert es der Film, fällt mit dem Lärm auch alle Engstirnigkeit und Borniertheit von den Männern ab, die nach einer Weile gesammelt ihren Dienst verrichten und über die Stille glücklich scheinen, die sie nun umgibt. Warum aus dieser Verwandlung kein Wandel des Denkens folgt, wäre ein anderer Film.
Kommentar verfassen

Kommentieren