Ay lav yu - I Love You

Komödie | Türkei 2010 | 94 Minuten

Regie: Sermiyan Midyat

Possenspiel über eine amerikanisch-kurdische Liebesgeschichte in einem abgelegenen Dorf an der türkisch-irakischen Grenze, die amerikanisch-türkisch-kurdische Vorurteile mit Situationskomik auf die Schippe nimmt. Künstlerisch am Volkstheater ausgerichtet, entwickelt sich hinter der Burleske eine Völkerverständigungsbotschaft, mit der auf die multiethnische Tradition des Drehorts Mesopotamien hingewiesen wird. (O.m.d.U.) - Ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
AY LAV YU
Produktionsland
Türkei
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Plato Film Prod.
Regie
Sermiyan Midyat
Buch
Sermiyan Midyat
Kamera
Ercan Özkan · Kamil Çetin
Musik
Cem Yildiz
Darsteller
Sermiyan Midyat (Ibrahim) · Katie Gill (Jessica) · Steve Guttenberg (Christopher) · Mariel Hemingway (Pamela) · Meray Ülgen (Yusuf)
Länge
94 Minuten
Kinostart
11.03.2010
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Komödie
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Diskussion
„Tinne“ ist ein kurdischer Ausdruck und bedeutet sinngemäß „Es existiert nicht“. Im ersten Spielfilm des Theater- und Filmschauspielers Sermiyan Midyat ist Tinne ein Dorf nahe der türkisch-irakischen Grenze. Die Menschen, die hier leben, haben keine Ausweispapiere – bisher hat keiner der Machthaber, die hier zu regieren versuchten, den abgelegenen Ort auf einer Landkarte eingetragen. So hat Dorfvorsteher Yusuf bereits 147 Briefe ins ferne Ankara schicken lassen mit der Bitte, doch endlich einen Politiker zu schicken, um Tinne anzuerkennen und damit auch seine Bewohner amtlich registrieren zu können. Ob diese Briefe jemals angekommen sind, weiß keiner, denn Saido, der sie zum Postamt bringen sollte, findet die jetzige Situation ganz bequem – schließlich muss man unregistriert weder Strom noch Wasser bezahlen. Dafür kommt Ibrahim zurück, vom Studium aus der fernen Westtürkei. Der „einzig Gebildete“ soll mit seinem dort erworbenen Wissen „Gebäude bauen und Wohlstand bringen“, gesteht aber, sich in die junge Amerikanerin Jessica verliebt zu haben. Die kommt kurz danach mit Eltern und Bruder aus Colorado angereist. Das Dorf empfängt sie mit Tanz, Salutschüssen und distanziert vorgetragener Neugier. Ein Culture Clash im Niemandsland, der genug Stoff für interkulturelle Missverständnisse bietet und sich von Anfang an als parabelhafte Burleske aus der Fabelwelt des Orients entwickelt. Dort, wo seine Regiekollegen bisher Panzer, Tod und Tränen auffuhren, um das Leid in den Konfliktgebieten des türkischen Ostens begreifbar zu machen, erarbeitet Midyat mit den Mitteln des Volkstheaters eine Völkerverständigungsklamotte. Wider den tierischen Ernst und mit überdrehtem Schauspiel durchbricht er das Humorverbot, mit dem Intellektuelle, Politideologen und Nation-Builder das kurdische Thema bisher unter ihresgleichen aufgeteilt haben. Der oft recht einfältige Humor ist vielleicht ehrenrührig für die Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen, enthält aber, ebenso wie die simple Liebesbotschaft zwischen dem Kurden und der Amerikanerin, einen lebensbejahenden Kern, der mit dem leidensmythischen Pathos orientalisch geprägter Nationalismen bricht. Dabei ist auch Midyats zotiger Melting Pot nicht frei von Konflikten. Als im Fernsehen die Nachrichten vom Anschlag auf das World Trade Center kommen, fühlt sich Vater Christopher Brown von den in Kufiyas und Kopftücher gehüllten Dorfbewohnern bedroht, zückt zuerst die Faust und fällt kurz darauf in Ohnmacht. Der Zwischenfall verschiebt die geplante Hochzeit zwischen Ibrahim und Jessica um einen weiteren von insgesamt vier geplatzten Versuchen. „Ay lav yu“ nimmt amerikanisch-türkisch-kurdische Vorurteile auf die Schippe, während das Drehbuch konsequent auf die satirische Zuspitzung des orientalisch-amerikanischen Konflikts hinarbeitet. Da ist viel Selbstironie, sind viele Brüche im Spiel, schlägt das Drehbuch Volten, mit denen Dorfstreitereien, Tratsch und biedere Moralvorstellungen auf dem Land genauso ins Visier genommen werden wie die urbane Arroganz der arrivierten Westler, deren Nachfragen nach WLAN-Verbindungen und vegetarischem Abendessen ins Leere führen. Neben aller Situationskomik vergisst Midyat nicht, auf die Geschichte seines Drehorts hinzuweisen, schließlich befindet man sich an Euphrat und Tigris, der Wiege der Zivilisation und schon von daher per se ein multikultureller Ort, was er mit der Einführung der Vaterfigur des christlichen Priesters Hanna, der als juristisch eingesetzter Vormund des männlichen Hauptprotagonisten fungiert, unterstreicht: Damit hat Ibrahim einen muslimischen und einen christlichen Vater. Für die weltliche Vereinigung von Ost und West sorgt ein Soundtrack, der türkische Rhythmen mit Motiven kurdischer Dengbêj-Sänger und amerikanischer Country-Musik vermischt, mit der in Bollywood-Manier die Ereignisse besungen und kommentiert werden.
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