- | Spanien 2009 | 124 Minuten

Regie: Roberto Castón

Ein baskischer Bauer bricht sich ein Bein und stellt einen Aushilfsarbeiter an. Zwischen dem peruanischen Immigranten und seinem Arbeitgeber entwickeln sich Gefühle, die den Bauern zutiefst verunsichern. Als minutiöses Porträt des Alltags im ländlichen Baskenland entwickelte Geschichte einer homosexuellen Selbstfindung im Kontext rigider Moralvorstellungen innerhalb der dörflichen Lebenswelt. Die Inszenierung setzt nicht auf dramatische Zuspitzung, sondern auf eine geduldige, dokumentarisch anmutende Teilhabe am Leben der sensibel gespielten Figuren. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
ANDER
Produktionsland
Spanien
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Bernindu/Euskal Irrati Telebisa (EITB)
Regie
Roberto Castón
Buch
Roberto Castón
Kamera
Kike López
Schnitt
Iván Miñambres
Darsteller
Josean Bengoetxea (Ander) · Cristhian Esquivel (José) · Mamen Rivera (Reme) · Pilar Rodriguez (Mutter) · Leire Ucha (Arantxa)
Länge
124 Minuten
Kinostart
15.04.2010
Fsk
ab 12 (DVD)
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. den Kurzfilm "Maricon". Wegen der Bonusmaterialien (Trailer etc.) ist die DVD erst FSK "ab 16" Jahren freigegeben.

Verleih DVD
Bildkraft (16:9, 1.78:1, DD2.0 span.)
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Es ist früh am Morgen. Grillen zirpen, im Hintergrund bellen die Hunde. Noch ist es dunkel. Ein Mann erhebt sich schwerfällig aus seinem Bett. Eine alte Frau bereitet ihm das Frühstück zu. Dann geht er in den Stall und melkt die Kühe. Es ist schon hell, als er in die Fabrik fährt. Ein ländlicher Alltag, von harter Arbeit geprägt: Tagsüber schuftet Ander in der Fabrik, nach Feierabend bewirtschaftet er den kleinen Bauernhof. Spätabends tritt er ins Freie und hört Musik aus einem kleinen Radio. Eines Tages stürzt er dabei und bricht sich ein Bein. Gegen den erklärten Willen der Mutter soll eine Arbeitshilfe angestellt werden. Der Fremde, der das Leben auf dem kleinen Bauernhof gründlich durcheinander bringt, ist José, ein peruanischer Immigrant, wohl erzogen, höflich, fast schüchtern. Obwohl er hart arbeitet, wird er von der Mutter abgelehnt, die fast nur baskisch spricht. José findet jedoch schnell eine gemeinsame Ebene mit Arantxa, Anders Schwester, und mit Ander selbst. Als dieser im Rahmen seiner Möglichkeiten wieder beginnt, mit anzupacken, entwickelt sich über der Arbeit eine immer stärker werdende Anziehung zwischen den beiden Männern. „Ander“ ist ein kritischer, in baskischer Sprache gedrehter Heimatfilm über das „Coming out“ eines Bauern. Die Geschichte entwickelt sich in der bildschönen Berglandschaft des abgelegenen Arratia-Tals, dort, wo Kühe mit großen Glocken um den Hals über grüne Wiesen laufen. Hier lebt Ander, ein Junggeselle in den Vierzigern, zusammen mit seiner Schwester und seiner verwitweten Mutter. Arantxa wird nach ihrer Heirat, die kurz bevor steht, das Haus verlassen. Die künftige Konstellation, das Leben des Sohnes mit der mürrischen Mutter, wirft schon ihre Schatten voraus. Doch bei der Hochzeit kommt es zur sexuellen Begegnung von Ander und José; nach anfänglicher Verwirrung beginnt für beide ein völlig neues Leben. Die Stärke dieses baskischen Debütfilms liegt nicht in seiner Geschichte, der Entdeckung sexueller Identität, sondern in der dokumentarisch anmutenden Aufmerksamkeit, mit der diese Geschichte in den regionalen Kontext eingebunden wird, in die Lebensumstände und -rhythmen einer abgeschlossenen ländlichen Gemeinschaft, die allem Neuen gegenüber feindlich eingestellt ist. Homosexualität im baskischen Bauernhaus ist Neuland für den baskischen Film; für Regisseur Roberto Castón spiegelt „Ander“ eine repressive Wirklichkeit, die von strengen Moralvorstellungen geprägt ist. „Ander“ porträtiert minutiös den Alltag in dieser Welt mit ihrer täglichen Routine, ihren Traditionen und wortkargen Menschen; anstatt auf dramatische Effekte setzt die Regie ganz auf die Atmosphäre, die aus der Teilhabe am Leben der Figuren entsteht. José wirkt in diesem vom Schweigen durchsetzten, von ungeschriebenen Gesetzen bestimmten Alltag wie ein Wesen vom anderen Stern; er ist ein Außenseiter wie die Dorfhure Reme, die einzige, die den Peruaner akzeptiert. In ruhigem Rhythmus verbindet Castón drei große Reizthemen der spanischen Gesellschaft: Homosexualität, Immigration vor dem Hintergrund wachsender Ausländerfeindlichkeit und baskische Identität. Den überzeugenden Hauptdarstellern sind mehr als 50 Laiendarsteller zur Seite gestellt, die dem Film lokale Authentizität verleihen. „Ander“ ist ein anrührender Film, geradlinig mit einer bewussten Schlichtheit. Ein sehr baskischer Film, dessen Geschichte durchaus übertragbar ist auf andere „Idyllen“ in der europäischen Provinz.

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