Vergebung (2009)

Krimi | Schweden/Dänemark/Deutschland 2009 | 146 (TV 180) Minuten

Regie: Daniel Alfredson

Abschluss der auf einer Roman-Trilogie beruhenden Krimi-Reihe um einen Journalisten und eine Detektivin, die einem in hohen Gesellschaftskreisen verorteten Sumpf aus Gewalt, Korruption und Menschenverachtung auf der Spur sind. Ihr Versuch, die Schuldigen dingfest zu machen, kulminiert in einem Justiz-Drama. Spannender Thriller mit charismatischen Figuren, einer stimmungsvoll-düsteren Bildsprache und einer glaubwürdig entwickelten Handlung. Obendrein kratzt der Film an den Verdrängungsmechanismen sowie dem latenten Gewaltpotenzial einer puritanisch-repressiven Wohlstandsgesellschaft. (Vgl. "Verblendung" und "Verdammnis") - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LUFTSLOTTET SOM SPRÄNGDES
Produktionsland
Schweden/Dänemark/Deutschland
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Yellow Bird/Nordisk Film/SVT/ZDF Enterprises/ZDF/Filmpool Stockholm Mälardalen/Film i Väst/Spiltan underhälling
Regie
Daniel Alfredson
Buch
Ulf Rydberg
Kamera
Peter Mokrosinski
Musik
Jacob Groth
Schnitt
Håkan Karlsson
Darsteller
Michael Nyqvist (Mikael Blomkvist) · Noomi Rapace (Lisbeth Salander) · Jacob Ericksson (Christer Malm) · Sofia Ledarp (Malin Eriksson) · Mikael Spreitz (Ronald Niedermann)
Länge
146 (TV 180) Minuten
Kinostart
03.06.2010
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Krimi | Literaturverfilmung

Heimkino

Verleih DVD
Warner/NFP & Frenetic Films (16:9, 1.78:1, DD5.1 swe./dt.)
Verleih Blu-ray
Warner/NFP & Frenetic Films (16:9, 1.78:1, dts-HDMA swe/dt.)
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Diskussion
Es geht also doch: Ein Thriller aus Europa, der nicht aussieht wie die schlechte Kopie eines US-amerikanischen Films, der etwas erzählt, was mit unserer Gesellschaft zu tun hat, und trotzdem nicht langweilig und bieder ist. Auch in „Vergebung“ geht es wieder um eine politische Verschwörung, um Korruption, Intrigen und Geheimdienstumtriebe, wieder ermitteln der auf Wirtschaftsverbrechen spezialisierte Zeitungsreporter Mikael Blomkvist und die Privatdetektivin Lisbeth Salander. In „Verblendung“ (fd 39496), dem ersten Teil der Verfilmung von Stieg Larssons „Millennium“-Trilogie, kamen sie zusammen, in „Verdammnis“ (fd 39712) wurde die Handlung fortgesetzt. Mit „Vergebung“, diesmal unter der Regie von Daniel Alfredson, wird nun ein gelungener Schlusspunkt gesetzt. „Das Luftschloss, das gesprengt wurde“, so heißt der Titel des dritten Bands im Original, was eher auf die Spur der Handlung führt als die diffuse deutsche Abschwächung „Vergebung“. Denn genau genommen vergibt hier keiner irgendwem, außer vielleicht Lisbeth Salander sich selbst. Auch direkte religiöse Bezüge sucht man vergebens. Vielmehr drücken die „Millennium“-Romane einen grundsätzlichen moralischen Pessimismus, eine Skepsis gegen vermeintliche Wahrheiten und Aufklärung auch da aus, wo sie weh tut. Larsson wie seine Regisseure wollen vor allem die Luftschlösser in der Vorstellung des Zuschauers/Lesers sprengen. Im Zentrum der Handlung, die auch ohne erklärende Rückblenden durchaus auch für „Millennium“-Novizen verständlich sein dürfte, stehen einmal mehr der melancholische Antikapitalist Blomkvist, der vorzugsweise im Milieu der Reichen und Mächtigen Schwedens recherchiert und deren düstere Geheimnisse zutage fördert, und die seit ihrer Kindheit schwer traumatisierte Detektivin Salander. Beide sind ein merkwürdiges, aber auch faszinierendes Paar. Vor allem Salander ist eine ungewöhnliche Figur: ein Punk, voller Coolness und Härte, aber auch selbstzerstörerisch und riskant – da können all die gut geschminkten Mittelstandsermittlerinnen des deutschen Fernsehens sofort einpacken. Die Handlung kreist erneut um Vorgänge, die nur scheinbar tief in der Vergangenheit schlummern, in Wahrheit direkt unter der Oberfläche der Gegenwart liegen. Diesmal geht es um globalen Mädchenhandel, und der Film setzt dort ein, wo der zweite Teil aufhörte: Salander liegt schwer verletzt im Krankenhaus. Ihr Todfeind Zala lebt noch, und auch der Geheimdienst möchte Lisbeth ausschalten. Gegen Ende mündet der Film dann in ein spannendes Justiz-Drama um die Enthüllung mehrerer Kapital-Verbrechen im doppelten Sinn. Dabei geht es um einen Sumpf aus autoritärer Gesinnung, latentem Faschismus und Paranoia. Es geht um eine Psychoanalyse der höheren Kreise. Insofern ist „Verdammnis“ ein „linker“ Krimi – ähnlich wie Herbert Reineckers „Derrick“-Folgen, bei denen die Schuldigen fast immer in der Oberklasse der Münchner Nobelvororte zu finden waren. Stilistisch ist dies hier allerdings alles andere als Fernseh-Durchschnittsware. Düster wie ein Horrorfilm, mit dynamischer Handkamera inszeniert wie ein Videoclip, ein Gothic-Märchen, eine Geschichte wie von Edgar Allen Poe oder E.T.A. Hoffmann: Bilder die man lange nicht vergisst, gerade weil sie aus der Mitte unserer Erfahrung stammen. Im Kern geht es um Schuld und Sühne und um die Natur des Bösen. Denn das, was die Form des Faschismus, die hier im Zentrum steht – den latenten einer saturierten Mittelstandsgesellschaft – von allen anderen politischen Ideologien unterscheidet und ihn zu einer Art kollektiver Kränkung des menschlichen Selbstbildes macht, ist, dass hier das Böse selbst zur Macht kam, nicht ein fehlgeleiteter Idealismus, sondern etwas von Anfang an offen Verbrecherisches, durch und durch Menschenverachtendes. Zugleich führt der Film zu der Frage, warum ausgerechnet in Skandinavien, vor allem in Schweden, so viele Kriminalromane entstehen. Er spielt auf den unaufgeklärten „Palme“-Mord 1986 an, auf Schweden im Kalten Krieg, und führt mitten hinein ins Zentrum einer moralisch repressiven Gesellschaft, in der Rigorismus, puritanischer Reinheitszwang, Verdrängung und Gewissensnarzissmus stärker verbreitet scheinen als anderenorts – und damit auf die Folgen von aufgestauten Leidenschaften, heimlichen Wünschen, Verdrängungen. Ist es wirklich nur Zufall, dass das Land, in dem so viele Unterhaltungs(!)-Bücher über Triebtäter und Frauenmörder entstehen, auch die höchste Vergewaltigungsrate Europas hat? In dem jede fünfte Frau über 15 Jahren schon einmal von einem Mann bedroht wurde, fast die Hälfte aller Frauen schon einmal Opfer von Gewalt wurde? Das Kreisen um Gewissensnöte, Geheimnisse und Abgründe der Seele und verdrängte Vergangenheiten spielt im Film wie bereits im Roman jedenfalls eine zentrale Rolle. Hierin bewegt sich der Film thematisch auf den Spuren des großen Vorbilds Ingmar Bergman.
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