Die Eroberung der inneren Freiheit

Dokumentarfilm | Deutschland 2007 | 83 Minuten

Regie: Aleksandra Kumorek

Dokumentation über ein Projekt in der Haftanstalt Berlin-Tegel, bei dem abgeurteilte Schwerverbrecher in Gruppen an "Sokratischen Gesprächen" mit einem Philosophen teilnehmen und dabei über innere und äußere Freiheit, Gut und Böse, Emotionen, den Wert des Lebens, das Glück und die Moral reflektieren. Dieser über Bildungsgrenzen hinweg geführte Diskurs macht den Film, der ansonsten formal kaum eindrucksvoll umgesetzt ist und vor allem mit nur wenig aufschlussreichen visuellen Poetisierungen des Knastalltags irritiert, zum höchst spannenden Dokument der Selbstreflexion und des Selbstverständnisses der Inhaftierten. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Gegenlicht Film + TV Prod./Tschagga Film/ WDR/SWR
Regie
Aleksandra Kumorek · Silvia Kaiser
Buch
Silvia Kaiser · Aleksandra Kumorek
Kamera
Marcel Reategui
Schnitt
Bettina Blickwede · Lars Pienkoß
Länge
83 Minuten
Kinostart
27.05.2010
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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IMDb

Heimkino

Verleih DVD
Real Fiction (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Ein hoch interessantes Projekt: Seit dem Jahr 2000 existiert im Gefängnis Berlin-Tegel für so genannte Schwerverbrecher die Möglichkeit, auf freiwilliger Basis in Gruppen an „Sokratischen Gesprächen“ teilzunehmen. Dieses Angebot sei weltweit einmalig, erfährt man im Verlauf des Films. Die Filmemacherinnen Silvia Kaiser und Aleksandra Kumorek erhielten die Möglichkeit, bei einigen dieser Gesprächen dabei zu sein und sie mit der Kamera zu dokumentieren. Um es kurz zu machen: Was von diesen Gesprächen im Film zu sehen ist, ist schlicht sensationell. Da sitzen wegen Mordes, Raubüberfällen oder Drogendelikten zu langjährigen Haftstrafen Verurteilte in einem Raum und philosophieren nachdenklich, insistierend, aber auch voller Witz über innere und äußere Freiheit, über Gut und Böse, Emotionen, den Wert des Lebens, das Glück und die Moral. Wie wichtig ist der „Kick“ des Verbrechens? Man wird ja nicht nur wegen des Geldes zum Drogenkurier, sondern auch, weil es Spaß macht. Und: Wird man zu den Drogenbaronen vorgelassen, dann ist das immer auch ein Beweis von Macht und Anerkennung. Hätte der Philosoph, der die Gesprächsrunde moderiert, nicht auch viel dafür gegeben, zum engeren Kreis des Sokrates vorzudringen? Na also! Man erlebt in der philosophischen Praxis – es geht allein ums Gespräch, nicht um die Exegese klassischer Texte – die Freude am Austausch und an der (Selbst-)Reflexion. Dabei werden Bildungsunterschiede zwar deutlich, spielen aber selten eine Rolle. Während der Kokain-Dealer mit wohl gewählten Worten davon schwärmt, dass innere Freiheit an die Überwindung jeder Form von Moral geknüpft sei, vertrauen andere Inhaftierte lieber auf den Dalai Lama, was allerdings auch nicht unwidersprochen bleibt. Dass diese Gespräche vor dem Hintergrund des gewalttätigen Gefängnisalltags stattfinden, steht im Presseheft, aber der Film zeigt diese Spannung gerade nicht. Vielmehr – und hier liegt die zentrale Schwäche des Films – begnügen sich die Filmemacherinnen nicht mit der Dokumentation der spannenden Gespräche, sondern sie sammeln auch reichlich Bilder eines geradezu poetischen Knastalltags, wo Türen aufgehen oder zugeschlossen werden und melancholische Blicke aus vergitterten Fenstern vom Kommen und Gehen der Jahreszeiten künden, untermalt von getragener Musik. Diese „Poetisierung“ des Knastalltags, die eher an individuelle Kontemplation hinter Klostermauern denken lässt, stößt sich innerhalb des Films allerdings an einigen durchaus zentralen Aussagen der Inhaftierten, die sehr wohl das soziale Geflecht im Gefängnis und die Machthierarchien zwischen Gefangenen und Wachpersonal reflektieren. Dafür aber sucht der Film keine Bilder. Da zudem auch noch zwei, drei Inhaftierte die Möglichkeit zu privilegierten „Einzelgesprächen“ vor der Kamera bekommen, verliert der Film irgendwann dann seinen Faden. Wie bedauerlich das letztlich ist, zeigen immer wieder die großartigen Ausschnitte aus den Sitzungen der Gesprächsgruppe. Für etwas mehr dieses Materials hätte man zur Not auch auf ein Dutzend Einstellungen mit „menschelnden“ Blicken aus vergitterten Fenstern aufs Schneegestöber draußen verzichtet.
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