White Lightnin'

Drama | Großbritannien 2009 | 87 Minuten

Regie: Dominic Murphy

Ein Tänzer aus den Appalachen, der seine Kindheit in Besserungsanstalten und psychiatrischen Kliniken verbrachte und nun als "Mountain Dancer" durch die Provinz tingelt, verliert nach dem gewaltsamen Tod seines Vaters die Kontrolle über sich und schwört blutige Rache. Was wie ein Neo-Horrorfilm aus dem "Bible Belt" der USA erscheint, bindet die rauschhaft entfesselte Gewalt in soziale Kontexte zurück, etwa den eines christlichen Fundamentalismus. Daraus entwickelt sich eine eindrückliche, wenn auch nur schwer erträgliche Tour de Force über die Nachtseiten einer psychotischen Gesellschaft.
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Filmdaten

Originaltitel
WHITE LIGHTNIN'
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Film and Music/Mainframe/UK Film Council/Vice
Regie
Dominic Murphy
Buch
Eddy Moretti · Shane Smith
Kamera
Tim Maurice-Jones
Schnitt
Sam Sneade
Darsteller
Edward Hogg (Jesco White) · Carrie Fisher (Cilla) · Stephanie Astalos-Jones (Brity Mae) · Kirk Bovill (Long) · Owen Campbell (junger Jesco)
Länge
87 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 18
Genre
Drama | Psychothriller | Rachedrama | Splatterfilm
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. ein 6-seitiges Booklet zum Film.

Verleih DVD
Störkanal/I-On (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Schon seine Kindheit war die Hölle, doch für Jesco White sollte alles noch viel schlimmer kommen. Geboren wurde er im Mittleren Westen der USA, in den Ausläufern der Appalachen, wo sich die Menschen in genügsamer Armut bescheiden; die Aufstände der Kohlearbeiter im 19. Jahrhundert sind lange her. In Großfamilien wie den Whites halten die Nachkommen die Sippe am Leben. Das Geld kommt aus Forstwirtschaft und Gelegenheitsjobs, ansonsten versucht man sich als Selbstversorger. Jesco lernt schon früh die zerstreuende Wirkung von Drogen kennen. Was spielerisch mit Ohnmacht förderndem Sauerstoffentzug beginnt, gerät mit Lösungsmitteln und Gas aus dem Feuerzeug schnell auf Touren. Jesco ist das schwarze Schaf der Familie. Ein ums andere Mal steckt der Sheriff den Pubertierenden in die Besserungsanstalt, die hier idealisierend „West Virginia Berufsschule für Jungen“ genannt wird. Was sich die Whites zu Hause noch weitgehend verkneifen, wird hier zelebriert: Zwangsarbeit und Züchtigung. Doch Jesco weiß sich anzupassen; aus einem Kind am Abgrund, das seine Aggressionen bislang vornehmlich gegen sich selbst richtete, wird durch Drill und virulente Lebensfeindlichkeit ein unberechenbares Monster. Selbst der einzige Glücksfall in Jescos Leben, die 50-jährige Cilla, zähmt die kreischenden Stimmen im Kopf des 20-Jährigen nur phasenweise. Als betrunkene Sadisten seinen Vater töten, ist es um Jesco geschehen. Der diffuse Hass gegen sich selbst und seine Umwelt findet nun ein Ziel: Die Mörder seines Vaters sollen büßen. Der Plot liest sich wie der eines klassischen Neo-Horrorfilms aus dem „Bible Belt“, der als degenerierte, extremistische Provinz gezeichnet wird. Ein Gebiet jenseits der großstädtischen Zivilisation, dessen soziale Deprivation das „Texas Chainsaw Massacre“ (fd 20 920) erst möglich machte und in Filmen wie „Kinder des Zorns“ (fd 24 605), „Jeepers Creepers“ (fd 35 212) oder den Werken Rob Zombies unappetitlich variiert wurde. Doch „White Lightnin’“ verweigert sich der üblichen Geisterbahn-Drastik und verbindet seinen Terror mit einer anthropologischen Sozialstudie, die ihre emotionale Wirkung nicht via übernatürlichem Horror, sondern via Musik transportiert. Vater D. Ray White zelebrierte als „Mountain Dancer“ wie kaum ein anderer den Stepptanz abseits der schwarzamerikanischen Entertainment-Szene. Der erwachsene Jesco tat es zwar seinem Vater gleich und tingelte als „The Dancing Outlaw“ ebenfalls durch die Kneipen der Gegend, doch so sehr sich sein Vater mit seinen musikalischen Erziehungsbestrebungen auch mühte: Ein besserer Mensch wurde Jesco dadurch nicht. „White Lightnin’“ reflektiert das Negativbild der US-amerikanischen Provinz nicht nur durch die brutalen Auswüchse der realen, hier aber überzeichneten Hauptfigur, sondern vor allem über die „derbe“ Musik, die in einer solchen Gesellschaft gedeiht. Für diese steht wie kein anderer Hasil Adkins, einer der Wegbereiter der absurden Musikrichtung des Psychobilly. Seine aggressiven Steelguitar-Riffs, die poetisch-manischen, gerne durch hysterisches Lachen begleiteten Texte (etwa in „I Need Your Head aka We Got A Date“) stehen exemplarisch für eine latent psychotische Gesellschaft. Der Score des Films ist mit Songs des Sprechgesang-Barden gespickt. „White Lightnin’“ ist ein meisterlicher, wenngleich nur schwer zu ertragender Film. Die Songs von Adkins’ und die kongenial dröhnende Filmmusik von Nick Zinner korrespondieren mit dem kapitelhaft strukturierten Off-Kommentar des Ich-Erzählers. Die Tonspur findet ihre Entsprechung in wirren Schnittfolgen, exzessiven Schwarzblenden, abenteuerlichen Spielereien mit der Tiefenschärfe, reduzierten Farben sowie in eingestreuten Homevideo-Simulationen oder im billig anmutenden Reportagestil. Dieser intensive Mix konterkariert formal die ansonsten unerträglichen Gewaltausbrüche und gibt dem Ganzen ein artifizielles, gleichwohl höchst realistisches Timbre.
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