Drama | Deutschland/Belgien/Niederlande 2008 | 106 Minuten

Regie: Peter Brosens

Eine im Irak traumatisierte belgische Fotografin verliert ihren Mann, der als Arzt den Bewohnern eines durch Quecksilber verseuchten Dorfs in Peru beisteht. Sie reist in die Anden, wo sie im unerklärten Krieg der Silberminen gegen die Bevölkerung ihr Trauma überwindet und Partei ergreift. Ein ebenso diskretes wie vielschichtiges Drama um existenzielle Daseinsfragen, wobei vor allem die ins Surreale spielende Bildsprache das reale Geschehen in suggestive Seelenlandschaften überführt. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
ALTIPLANO
Produktionsland
Deutschland/Belgien/Niederlande
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
MA.JA.DE. Fiction/Bo Films/Lemming Film/Entre Chien et Loup/ZDF-ARTE
Regie
Peter Brosens · Jessica Hope Woodworth
Buch
Peter Brosens · Jessica Hope Woodworth
Kamera
Francisco Gózon
Musik
Michael Schöpping
Schnitt
Nico Leunen
Darsteller
Magaly Solier (Saturnina) · Jasmin Tabatabai (Grace) · Olivier Gourmet (Max) · Behi Djanati Ataï (Sami) · Edgar Condori (Nilo & Omar)
Länge
106 Minuten
Kinostart
24.06.2010
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
„Das Leben ist nichts als Märchen und Wind“, lautet ein Spruch des iranischen Großvaters von Grace. Das Leben der Bildreporterin gerät aus den Fugen, als sie im Irak gezwungen wird, die Erschießung ihres Begleiters zu fotografieren. Äußerlich unversehrt kehrt sie in ihre belgische Heimat zurück, wo sie sich Hilfe suchend an ihren Mann Max wendet; der aber kann ihr nicht den Trost spenden, den sie benötigt: Er ist auf dem Sprung nach Peru, um in den Anden mit einem internationalen Ärzteteam den Bewohnern der Bergdörfer beizustehen. Max wird gebraucht, denn die Dorfbewohner vergiften sich an dem Quecksilber, das die Minenlaster auf ihren Fahrten verlieren. Auch die junge Hirtin Saturnina, eine lebenslustige Frau, die mit heller Stimme singt, verliert ihren Geliebten – das Quecksilber raubt ihm das Leben. Als Graces Ehemann bei einem Aufruhr in der Bergarbeitersiedlung ums Leben kommt, nimmt Saturnina seine Kamera an sich, mit der er Videobotschaften nach Belgien sandte. Vor laufender Kamera klagt sie die Betreiber der Minen an und trinkt eine Phiole voll Quecksilber. Der zweite Film von Peter Brosens und Jessica Woodworth nach „Khadak“ (fd 38 664) ist eine Parabel über das Sterben. Gleich in der ersten Szene kündigt sich das Unheil an, als die Marienstatue der Dorfbewohner bei einem Umzug zerbricht. Es ist die Trauer um den Verlust nahestehender Menschen, die den Film durchzieht, ohne dass dies rührselig oder vordergründig erscheinen würde. Nebenschauplatz ist der Kampf der Kulturen, der Zwist zwischen Moderne und Tradition. In langen Einstellungen erzählen die Filmemacher vom Schicksal zweier Frauen, die einander nicht kennen, sich aber doch begegnen, auch wenn eine von ihnen bereits gestorben ist. Der einfach konstruierte Plot streut bisweilen nur Verweise aus; die vor allem im letzten Drittel immer mehr ins Surreale spielenden Bilder müssen für sich entschlüsselt werden. Fantasievorstellungen, etwa eine Ansammlung maskierter Männer, die in der Landschaft verteilt für Grace Spalier stehen, künden den Eintritt in ein Jenseits an, in dem der Tod als ein Zustand erscheint, der überwunden werden kann. Die kargen, von tiefen Furchen durchzogenen und nur in Brauntönen gehaltenen Bergpanoramen verwandeln sich in Traumbilder einer Seelenlandschaft. Der Film lebt zum großen Teil von seiner starken Visualität: das Filmmaterial springt zwischen 35mm mit grobkörnigem Schwarz-weiß und einigen Videoaufnahmen, und Kameramann Francisco Gózon scheut nicht vor komplexen Fahrten zurück, die lakonisch das vorherrschende Gefühl des „In-der-Welt-verloren-Seins“ betonen. Die intellektuelle Filmsprache, die die Regisseure entwickeln, lebt auch vom Einsatz der Musik: zumeist Ausschnitte klassisch anmutender Kompositionen, die den ruhigen Erzählstil und die teils langen Einstellungen begleiten. Da der Film nie plakativ oder oberflächlich stilisiert, gerät er zur Reise durch eine Innenwelt. Er beutet den Exotismus des Schauplatzes nie aus, sondern nutzt ihn als „erhabenen“ Hintergrund, um große Themen diskret zu verhandeln. Die Dreieinigkeit aus kinematografischer Kunstfertigkeit, existenzieller Fragestellung und dem politischen Thema der industriellen Ausbeutung marginalisierter Schichten ergänzt sich in „Altiplano“ (was schlicht Hochebene bedeutet) zum außergewöhnlichen Kinoerlebnis, das Geduld und Einfühlungsvermögen erfordert, dafür aber lange im Gedächtnis bleibt.
Kommentar verfassen

Kommentieren