Drama | Frankreich/Deutschland 2010 | 115 Minuten

Regie: Mathieu Amalric

Ein Manager reist mit seiner "Burlesque"-Truppe durch verschiedene französische Hafenstädte, wobei er versucht, ein Comeback in der Hauptstadt auf die Beine zu stellen und zugleich mit den inneren Wunden aus seiner Vergangenheit fertig zu werden. Vorzüglich gespieltes Künstlerdrama, das souverän die Balance zwischen Fiktion und Dokument hält. Show-Sequenzen der frivolen Kunstform Burlesque treffen auf Szenen des wenig glamourösen Alltags jenseits der Bühne und zeichnen sensibel Porträts der unbehausten Künstler. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
TOURNÉE
Produktionsland
Frankreich/Deutschland
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Les Films du Poisson/Neue Mediopolis Filmprod./ARTE France Cinéma/WDR-ARTE/Le Pacte/Film(s)
Regie
Mathieu Amalric
Buch
Mathieu Amalric · Philippe Di Folco · Marcelo Novais Teles · Raphaëlle Valbrune
Kamera
Christophe Beaucarne
Schnitt
Annette Dutertre
Darsteller
Mathieu Amalric (Joachim Zand) · Miranda Colclasure (Mimi Le Meaux) · Suzanne Ramsey (Kitten on the Keys) · Linda Marraccini (Dirty Martini) · Julie Ann Muz (Julie Atlas Muz)
Länge
115 Minuten
Kinostart
08.09.2011
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
Ein Heimkehrerfilm, der aufgrund seiner offenen und wenig glatt gebügelten Erzählweise aus der Zeit gefallen scheint – und dies auch bewusst ausstellt. „New Burlesque“ kehrt nach Frankreich zurück, wo diese Kunst einst als Varieté begann. Ist das ein popkultureller Subtext des Films? Die wechselseitigen Projektionsflächen „Frankreich“ und „Amerika“, wie sie gerade wieder sehr aktuell sind – siehe Strauss-Kahn, siehe Woody Allen. Was Mathieu Amalric in seinem in Cannes 2010 mehrfach prämierten Film präsentiert, hat mit der „stubenreinen“ Hollywood-Kindergarten-Variante von „Burlesque“ (fd 40 260) mit Christina Aguilera und Cher nichts zu tun, ist eher „the real thing“. Bei Amalric heißen die Damen Mimi Le Meaux, Roky Roulette, Julie Atlas Muz oder Kitten on the Keys – und sie sind sehr professionell, sehr provokant, sehr selbstbewusst, subversiv und sehr „Pop“. Konsequenterweise hat der Regisseur – der als Schauspieler („Ende August, Anfang September“, fd 33 885, „Schmetterling und Taucherglocke“, fd 38 648, „Ein Quantum Trost“, fd 38 983) bekannter ist – gut daran getan, den teils umwerfend frivolen und zudem sehr komischen Show-Einlagen viel Platz einzuräumen. Für Joachim Zand (gespielt von Amalric selbst), den Manager der bunten Truppe, bedeutet die Tournee die Chance zu einem Comeback in seiner Heimat. Zwar wird nie ganz klar, was damals vorgefallen ist, als Zand noch ein erfolgreicher Fernsehproduzent war, aber aus den noch immer nicht geschlossenen Wunden lassen sich einige Vermutungen ableiten. Interessanterweise führt die Tournee die „Burlesque“-Show durch die französischen Hafenstädte in weitem Kreis um Paris herum – und so verfolgt man Zands impulsive Bemühungen, zumindest einen letzten Auftritt in der Metropole zu organisieren. Wie es das Genre des Tour-Films fordert, hält „Tournée“ eine schöne Balance zwischen Fiktion und Dokument, zeigt einschlägige Szenen vom Alltag jenseits der Bühne, wo die Showtruppe kontrolliert und bei Laune gehalten werden muss, vom Alltag in wenig glamourösen Hotels, von spontanen Partys, von Proben und dem Ringen um künstlerische Autonomie wider die Einschränkungen des Managements, aber auch von den Beziehungen unter den Künstlerinnen, die für eine gewisse Zeitdauer einander eine Ersatzfamilie sein müssen. Doch die magischen Momente des Films hängen mit dem angespannt Kette rauchenden Joachim Zand zusammen, dem das Comeback nicht so recht gelingen will und dem seine Vergangenheit die Zukunft versperrt. In ganz wenigen Momenten fällt die Spannung von ihm ab, und dann entwickelt er einen jungenhaften Charme, dem man sich nicht entziehen kann. Auf der Fahrt nach Paris macht er nachts auf einer Tankstelle Station und flirtet mit der Kassiererin. So eine schwerelose, alles versprechende und dann verpuffende Szene hat man im Kino lange nicht mehr gesehen. Großartig auch die Begegnung Joachims mit seinen beiden Söhnen, die ihrem Vater mit reichlich Distanz und Misstrauen begegnen. Was auch damit zu tun haben könnte, dass sich der zu diesem Zeitpunkt komplett überforderte Joachim nicht so recht an ihre Geburtsjahre erinnern kann, wenn die Polizei nachfragt. Am Ende landet die Truppe in einem verlassenen, aber sehr pittoresken Hotelkomplex an der Küste, müde, aber bei guter Laune – und längst ist klar, dass Joachim seine Künstler viel mehr braucht, als die ihn brauchen. Schließlich heißt es dann fast schon optimistisch: „Keep moving, that’s what it’s all about.“ Angefangen von Joachims Retro-Outfit mit den großen Hemdkragen und dem Oberlippenbart über die Musik von Screaming Jay Hawkins und den Sonics („Have Love Will Travel“): Alle Zeichen dieses wunderschönen und unperfekten Films weisen in die Vergangenheit des Kinos. In „Tournée“ wird viel improvisiert, und immer stehen die Filme von John Cassavetes überlebensgroß als Referenzen im Raum. „Die Ermordung eines chinesischen Buchmachers“ (fd 20 791) ist milieunah, aber „Tournée“ erinnert eher an „Husbands“ (fd 18 918), zumal am Schluss, wenn der Film etwas matt und angeschlagen zur Ruhe kommt und die Stimmung plötzlich sehr verbindlich und zärtlich wird.
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