Science-Fiction | Japan 2009 | 114 Minuten

Regie: Mamoru Hosoda

Ein junger Computerfreak gerät in den Verdacht, als Cyberspace-Terrorist Unheil in einer virtuellen Welt zu stiften, die so nahtlos mit der Realität verknüpft ist, dass auch diese in Mitleidenschaft gezogen wird. Hinter all dem steckt ein mysteriöser Bösewicht, der nach der Weltherrschaft strebt und den der Junge mit Hilfe eines mutigen Clans bekämpft. Fantasievoller Animationsfilm, der souverän zwischen Sozialdrama, Thriller und Endzeitdrama changiert und durch ebenso skurrile wie glaubwürdige Charaktere besticht. Die Beziehung von digitaler Zukunft und kulturellen Wurzeln und Traditionen wird zum Plädoyer für eine Rückbesinnung auf bewährte Werte genutzt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
SAMÂ WÔZU
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Madhouse/Nippon TV/Kadokawa Shoten/D.N. Dream Partners/Warner Bros. Japan/Yomiuri TV/Video Audio Project
Regie
Mamoru Hosoda
Buch
Satoko Okudera
Musik
Akihiko Matsumoto
Schnitt
Shigeru Nishiyama
Länge
114 Minuten
Kinostart
12.08.2010
Fsk
ab 12 (DVD)
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Science-Fiction | Drama | Animation | Thriller
Externe Links
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Heimkino

Die Standardausgabe (DVD & BD) enthält keine erwähnenswerten Extras. Die DVD-Deluxe Edition (2 DVDs) enthält indes u.a. ein interessantes Interview mit Regisseur Mamoru Hosoda (13 Min.), den Hauptfilm als animiertes Storyboard (117 Min.) sowie ein ausgezeichnetes, für das Verständnis des Films hilfreiches Booklet (36 Seiten). Die DVD-Deluxe Edition ist mit dem Silberling 2010 ausgezeichnet.

Verleih DVD
Kazé/AV Visionen (16:9, 1.78:1, DD5.1 jap./dt.)
Verleih Blu-ray
Kazé (16:9, 1.78:1, dts-HDMA jap./dt.)
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Diskussion
Willkommen in Oz. In dieser blütenweißen Welt ist das Leben unbeschwert und einfach, gehorcht es doch den Gesetzen des „plug and play“. Es ist ein virtuelles Universum innerhalb des Internets, in das sich jeder via Fernseher, Computer oder Handy einloggen und alles machen kann, was sein Herz begehrt, sein Job erfordert oder die Ämter von ihm verlangen. Man muss sich nur anmelden, einen Avatar kreieren und die Welt um sich herum vergessen. In seinen Schulferien ist Kenji einer der unzähligen Helfer, die die Cyberworld von Oz pflegen und am Laufen halten. Als Genie für alles, was mit Zahlen und Daten zu tun hat, erscheint der schlaksige Jugendliche ein prädestinierter Wegbereiter für das gigantische Netzwerk Oz; fast zwangsläufig hat er kaum Freunde. Umso erstaunlicher, als ausgerechnet die aufgeweckte Schulschönheit Natsuki den schüchternen Kenji auswählt, um mit ihm vier Tage auf dem Anwesen ihrer Familie zu verbringen. Kenji willigt erwartungsvoll ein, ohne zu ahnen, dass Natsuki ihn aus sehr eigennützigen Gründen zur Geburtstagsfeier ihrer Oma Sakae mitnimmt, die 90 Jahre alt wird: Kenji soll als Scheinverlobter herhalten, um der kränklichen Familienältesten eine besondere Freude zu machen. Das ist nicht das einzige Problem des von der fremden Großfamilie überforderten Kenji. In der ersten Nacht im altehrwürdigen Landsitz der Jinnouchis nahe Nagano erhält er eine mysteriöse SMS mit einem Geheimcode, den er bis zum Morgengrauen entschlüsseln kann. Damit ist die Katastrophe perfekt, denn mit der Lösung des Rätsels sind alle Passwörter für Oz zerstört worden, wofür Kenjis Avatar verantwortlich gemacht wird. Mit Kenjis übers Fernsehen verbreitetem Steckbrief fliegt nicht nur Natsukis Plan auf; der Junge steht als Internet-Verbrecher da, dessen Tat weltweit desaströse Folgen nach sich ziehen könnte. In Wahrheit ist Kenji nur das ahnungslose Werkzeug in einem teuflischen Plan. Ein Monster-Avatar namens „Love Machine“ vereinnahmt massenhaft Fremd-Accounts, um mit der gewonnenen Macht sensible Daten der öffentlichen Hand zu kontrollieren und eine globale Katastrophen auszulösen. Doch der Clan der Jinnouchi ist nicht umsonst Spross eines alten Samurai-Geschlechts, der sich auch in ausweglosen Situationen nicht geschlagen gibt. Die Avatare der Jinnouchis setzen buchstäblich die Welt in Bewegung, um den ersten geplanten Terrorakt von „Love Machine“, einen Anschlag auf ein Atomkraftwerk, zu verhindern. Zugleich kämpfen Kenji und Natsuki gegen die Weltherrschaft von „Love Machine“. Vielleicht hätte sich James Cameron für sein Drehbuch zu „Avatar“ (fd 39 663) eher einmal bei den jungen japanischen Anime-Autoren umschauen sollen, als unverhohlen von Genre-Altmeister Hayao Miyazaki abzukupfern. Die überbordende Kreativität der japanischen Studios ist schlicht atemberaubend, wenn es um Geschichten und ganze Erzählwelten im Cyberspace geht. In „Summer Wars“ sind es zwei unvereinbar scheinende Welten, die mit eigenständigen Geschichten aufeinander prallen. Da ist die traditionelle Welt der eng mit der Ahnenverehrung einhergehenden Großfamilie als Hort japanischer Werte. Hier wird die chaotische, aber von klaren Regeln strukturierte, spaßige, aber zugleich disziplinierte Großfamilie Jinnouchi inszeniert, deren weibliches Oberhaupt über einer Vielzahl unterschiedlichster Charaktere thront, die vom Postboten über den Baseball-Profi, von agilen Kleinkindern über lehrerhafte Mütter, von Computerfreaks bis zu Polizei- und Regierungsbeamten ein buntes Spektrum an Typen abdecken. Die andere Welt ist die des Internets in einer nicht allzu fernen Zukunft. So allumfassend es die reale Welt inzwischen ersetzen kann, so anfällig und bedrohend ist es im Fall einer Attacke. Es ist kein Wunder, dass „Summer Wars“ ausgerechnet in Japan erdacht wurde, wo Tradition und Hightech so eng verwoben sind und die beiden für den Westen so konträr scheinenden Welten bruchlos zusammenpassen. Hier kann die eine Welt nur gerettet werden, weil die andere Welt etwas ganz Selbstverständliches ist und keineswegs als feindlich erachtet wird. Das Neue fußt auf dem Alten, weshalb das degenerierte Neue nur durch das Alte geheilt werden kann. So lässt sich „Summer Wars“ nicht unbedingt als Systemkritik gegenüber einer kopflosen Technologisierung verstehen; vielmehr wirbt der Film um Verantwortung gegenüber dem Damals, ohne das das Hier und Jetzt nicht bestehen kann. Das geschieht auf mitreißende und klug arrangierte Weise; die Magie des familiären Alltagslebens in einem exotischen Umfeld eines alten Landhauses erdet die Magie des Cyberspace. Das futuristische Abenteuer erhält dadurch eine realistische Note, die die Spannung des Gezeigten noch beflügelt. Es macht die Geschichte zugleich kompatibel für alle Generationen, die nicht nur ein Cyberpunk-Thriller, sondern auch ein idealer Familienfilm ist. Der perfekt im klassischen 2D realisierte Animationsfilm changiert souverän zwischen Sozialdrama, Thriller und Endzeitdrama und besticht durch seine ebenso skurrilen wie glaubwürdigen Charaktere. Gerne begleitet man die Familie bei der Rettung der Welt, taucht ein in den überbordenden Bilderrausch und reagiert mit Freude auf die Erkenntnis, dass die Lösung aller (Computer-)Probleme in einem uralten Kartenspiel liegen kann. Koi Koi!
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