12 Monate Deutschland

Dokumentarfilm | Deutschland 2010 | 98 Minuten

Regie: Eva Wolf

Der Dokumentarfilm begleitet vier Austauschschüler aus Ghana, den USA, Venezuela und Chile während ihres zwölfmonatigen Aufenthalts in Deutschland. In Beobachtungen und Interviews, aber ohne verbalen Autorenkommentar erzählt er von der anfänglichen Sprachlosigkeit und wie diese nach und nach überwunden wird, vom Wechselspiel persönlicher und kultureller Missverständnisse, von Fremdheit und Nähe sowie von Konflikten, die in allen vier Fällen zum Bruch mit der jeweiligen ersten Gastfamilie führen. Dabei nutzt der Film den Blick von außen, um zu zeigen, was Familie heute bedeutet und wie verschieden die Facetten von Familienleben sein können. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Lemme Film/ZDF (Das kleine Fernsehspiel)
Regie
Eva Wolf
Buch
Eva Wolf
Kamera
Patricia Scheller · Patrick Protz · Eva Wolf
Musik
Christian Lutz
Schnitt
Andreas Zitzmann
Länge
98 Minuten
Kinostart
23.09.2010
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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IMDb

Diskussion
Vier Austauschschüler aus Ghana, den USA, Venezuela und Chile kommen nach Deutschland. Ein Jahr lang werden sie in einer Gastfamilie leben. Was dabei passiert, erzählt die Dokumentaristin Eva Wolf in „12 Monate Deutschland“: Von der Anreise bis zum Abflug kehrt sie, meist im Abstand von zwei Monaten, zu den jungen Leuten zurück, lässt sie über ihre Hoffnungen und Empfindungen reflektieren oder beobachtet einfach nur, was mit ihnen und ihren Gasteltern geschieht. Sie erzählt von der anfänglichen Sprachlosigkeit und wie diese nach und nach überwunden wird, vom Wechselspiel zwischen persönlichen und kulturellen Missverständnissen, von Fremdheit und Nähe – und von Konflikten, die in allen vier Fällen zum Bruch mit der jeweiligen ersten Gastfamilie führen. Natürlich waren solche Wendungen bei Drehbeginn nicht unbedingt vorgesehen; nun tragen die Überraschungsmomente wesentlich dazu bei, den Blick auf unterschiedliche Erwartungen und Ansprüche von beiden Seiten zu öffnen. Dabei verzichtet Eva Wolf auf einen verbalen Autorenkommentar. Man wird zum Beispiel vor die vollendete Tatsache einer Trennung gestellt, ohne von der Regisseurin erklärt zu bekommen, wie sie im Detail erfolgte. Obwohl insgesamt 70 Drehtage zur Verfügung standen, konnte – und wollte – das Team auch nicht bei jeder Auseinandersetzung direkt dabei sein: Das und die Aufforderung an den Zuschauer, eigene Schlüsse aus Gesten oder Blicken, dem Gesagten und Nichtgesagten der Beteiligten zu ziehen, unterscheidet den subtilen Film von grellen, spekulativen Dokusoaps im Fernsehen. Insgesamt nutzt „12 Monate Deutschland“ den Blick von „außen“, um Zündstoff für Diskussionen darüber zu liefern, wie verschieden die Facetten familiären Lebens in Deutschland sein können – Widersprüche und manche Untiefe eingeschlossen. Kwasi aus Ghana etwa verschlägt es aus einer Millionenstadt und einem wohlhabenden Haushalt in eine kleine Thüringische Gemeinde. In der neunköpfigen Gastfamilie gibt die Mutter den strengen Ton an, während sich der Junge bei Kürbissuppe mit Würstchen und Holzhacken im Stall entsetzlich langweilt. Später, beim zweiten Versuch mit einem Paar, das wie zwei alt gewordene Punks aussieht, gern campt und überhaupt eine relativ freie Einstellung zum Leben hat, fühlt er sich dann so wohl, dass er am Ende ganz entgegen seiner ursprünglichen Meinung enthusiastisch resümiert, er liebe Deutschland. Ziemlich schlimm trifft es Constanza aus Chile, die in einem Dorf in Sachsen-Anhalt landet: Schon ihre Ankunft ruft bei den Gasteltern nicht unbedingt Jubel hervor; später wird überdeutlich, dass sich die deutsche Familie auch untereinander nichts zu sagen hat, geschweige denn eine Kommunikation mit dem „fremden“ Mädchen versucht, was nicht nur am fehlenden Englisch liegt. Eine der beklemmendsten Szenen zeigt den Sohn der Familie beim Killerspiel vor dem Bildschirm; der Vater nimmt ihm schweigend die Konsole aus der Hand und spielt wortlos weiter; beide starren stumm geradeaus. Die kleine Schwester packt währenddessen, weil sich niemand um sie kümmert, ihr Nintendo aus. Die Mutter ist abwesend. Nicht nur die chilenische Schülerin wirkt in diesem Moment furchtbar allein; später erlöst sie ein älteres Paar aus der Einsamkeit, und am Ende resümiert sie ihren Reifeprozess: „Ich bin groß geworden.“ „12 Monate Deutschland“ lässt keinen Zweifel daran, dass der Schüleraustausch im besten Fall sowohl bei den Jugendlichen als auch bei den Gasteltern dazu beiträgt, Horizonte zu erweitern, neue Welten zu entdecken, Konflikte als Herausforderung für die eigene Persönlichkeit zu betrachten. Dass neben den Jugendlichen und ihren Gasteltern auch eine Frau kurz vorgestellt wird, die sich schon seit Jahren für die Organisation des Schüleraustauschs einsetzt, versteht sich als Hommage an die vielen ehrenamtlichen Helfer der entsprechenden Organisationen. Alle vier Episoden sind geschickt ineinander montiert; die kontrastierenden Milieus und der innere Dialog zwischen den Erfahrungen der einzelnen Gastschüler tragen zur Spannung und Unterhaltsamkeit des Films bei.
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