Jaffa - The Orange's Clockwork

Dokumentarfilm | Israel/Deutschland/Frankreich/Belgien 2009 | 88 Minuten

Regie: Eyal Sivan

Anhand der Geschichte der Jaffa-Orange und der gleichnamigen Stadt, die heute ein Teil von Tel Aviv ist, zeichnet der Dokumentarfilm ein material- und facettenreiches Bild der palästinensisch-israelischen Geschichte. Ein außergewöhnlicher Kompilationsfilm, der mittels seiner meisterlichen Montage die Klischees vom Orient mit der Trademark einer Zitrusfrucht zusammenspannt und darüber eine hochspannende Topografie der von zahllosen Widersprüchen zerrissenen Region entwirft. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Israel/Deutschland/Frankreich/Belgien
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Trabelsi Prod./Alma Films/The Factory/Luna Blue Film
Regie
Eyal Sivan
Buch
Eyal Sivan
Kamera
Rémi Lainé · Shafir Sarousi · Vincent Fooy · David Zarif
Schnitt
Audrey Marion
Länge
88 Minuten
Kinostart
14.10.2010
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Die mehrere tausend Jahre alte Hafenstadt Jaffa, heute ein Stadtteil von Tel Aviv, ist nur noch ein trauriger Schatten ihrer einstigen Größe. Früher war sie von Orangenhainen umgeben; der Name der Stadt im heiligen Land wurde fast zum Synonym für die beliebte Frucht: Mancher wird sich noch an die schöne dicke Jaffa-Orange in der Schultüte und auf dem Weihnachtsteller erinnern. Jaffa, das klang zudem nach Orient, Abenteuer und Kreuzzügen. Dieser Assoziationskette spürt der Film des israelischen Dokumentarfilmers Eyal Sivan nach. Sivan ist ein Meister des Kompilationsfilms, der aus der Montage unterschiedlichster Elemente etwas Neues entstehen lässt, Fragen wie Antworten. Wie versiert Sivan damit umzugehen weiß, hat er bereits mit seiner aus Dokumentarfragmenten montierten Lebensgeschichte eines Stasi-Offiziers „Aus Liebe zum Volk“ (fd 36 453) demonstriert. In „Jaffa – The Organe’s Clockwork“ zeigt Sivan nun, dass Symbole doppelt und dreifach besetzt sein können. Sein Film fördert eine so unglaubliche Vielfalt an Material zu Tage, dass das selbst in Israel für Überraschung sorgte: Die Jaffa-Organe wurde nicht nur zu einem Gründungsmythos des Staates Israel, sondern versinnbildlicht für die Palästinenser die verlorene Heimat; die Jaffa-Orange erinnert aber auch an die Anfangszeit, als Israelis und Palästinenser noch gemeinsam die Plantagen bewirtschafteten. All das entfaltet der Film auf unterschiedlichen, dabei ineinander verschachtelten Ebenen, mit Wochenschaubildern, Werbe- und Industriefilmen in englischer, französischer, hebräischer oder in anderer Sprache, mit Zeitzeugen, Historikern und Experten, die sich diese Materialien anschauen und kommentieren. Beispielsweise mit dem israelischen Dichter und Journalisten Haim Gouri, der sich an seine Kindheit erinnert, als sich zwischen Jaffa und Tel Aviv noch große Orangenhaine ausdehnten, oder mit dem palästinensischen Orangenbauern Ismail Abou Shahade. Der Film enthüllt, wie die kleine Orange zum touristischen Symbol für Palästina, aber auch zum ideologischen Zankapfel wurde. Von Jaffa aus gelangten bereits lange vor der Gründung des Staates Israel Orangen in alle Welt; später wurde die Orange dann bekannter als die Stadt. Anhand der Geschichte der Orange und der Stadt skizziert Sivan eine spannende Topografie des Konflikts wie des erbitterten Kampfs, den die einen für das Heilige Land, die anderen für Palästina oder für Israel ausfechten. „Jaffa – The Orange’s Clockwork“ erzählt dies über eine Flut von Bildern, die von den Anfängen der Fotografie- und Filmgeschichte über frühe christliche Bibelfilme und zionistische Aufbaufilme bis in die Gegenwart reichen, wenn die Rodung von Orangenhainen im Gazastreifen durch die israelischen Armee von Fernsehkameras übertragen wird. Dabei verzichtet der Film auf einen leitenden Off-Kommentar: Der Zuschauer soll sich über die Vielfalt der Materialien und der kommentierenden Beobachter seinen eigenen Kopf machen. Zu Wort kommen auch ehemalige Firmenbesitzer und Orangenhändler, die in der Werbung für die Orangen von Beginn an sehr geschickt, subtil oder direkt die romantischen Orientsehnsüchte europäischer Konsumenten anspielten. Dabei wird sinnhaft vor Augen geführt, in wie weit die alten Träume vom Orient unser Bild vom Nahen Osten und seinen Konflikten bis heute prägen. Für Israelis und Palästinenser ist „Jaffa – The Orange’s Clockwork“ nicht zuletzt eine Einladung, gemeinsam an ihrer Geschichte zu schreiben – oder wenigstens darüber zu diskutieren.
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