Drama | Deutschland/Österreich/Tschechien 2009 | 104 Minuten

Regie: Juraj Herz

Sehr frei nach einer Novelle erzählte Geschichte um den wohlhabenden Sudetendeutschen Habermann, der zusammen mit seiner halbjüdischen Frau nach dem Einmarsch der Nazis zwischen die Fronten von Tschechen und Hitler-Anhängern gerät. Dabei bemüht sich der Regisseur um eine vielstimmige Darstellung der historischen Situation und prangert jedweden Nationalismus an, der Menschen auf ihre Zugehörigkeit zu einem Volk reduziert. Angesichts der Fülle der Figuren bleiben die einzelnen Charaktere zu oberflächlich und zu sehr Genre-Klischees verhaftet. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
HABERMANN
Produktionsland
Deutschland/Österreich/Tschechien
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
ART-OKO Film/ApolloMedia/KN filmcompany/Wega Filmprod./Werner Herzog Filmprod.
Regie
Juraj Herz
Buch
Wolfgang Limmer
Kamera
Alexander Surkala
Musik
Elia Cmiral
Schnitt
Melanie Werwie
Darsteller
Mark Waschke (August Habermann) · Karel Roden (Jan Brezina) · Hannah Herzsprung (Jana Habermann) · Ben Becker (Koslowski) · Franziska Weisz (Martha Brezina)
Länge
104 Minuten
Kinostart
25.11.2010
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
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Diskussion
Die Exposition gewährt keine richtige Orientierung, wenn sich die Kamera mitten in einen aggressiven Mob stürzt: Füße trampeln, es wird geschrien, Menschen werden misshandelt und in einen Zug getrieben. Wer tut hier wem Gewalt an? Man kennt ähnliche Pogrom-Szenen aus Filmen, in denen es um die Verfolgung von Juden im Dritten Reich geht, aber spätestens, als ein Mann auf ein Hitler-Bild uriniert, ist klar: Hier sind es ehemalige Opfer des Nazi-Regimes, die Tschechen, die sich 1945 nach der Vertreibung der NS-Streitkräfte durch die Rote Armee gegen die im Land verbliebene (sudeten-)deutsche Bevölkerung wenden. Der nun einsetzende Film untersucht die Vorgeschichte, die zu dieser Szene führt: Ansetzend 1937, rollt er die Geschichte einer sudetendeutschen Familie und eines fiktiven Orts von der Besatzung des Sudetenlands durch NS-Truppen bis zur Vertreibung der Sudetendeutschen auf. „Habermann“ ist laut Presseheft von „historischer Bedeutung“: als erste deutsch-tschechisch-österreichische Co-Produktion, die sich mit dem Schicksal der Sudetendeutschen befasst. Am Ringen des slowakischen Regisseurs Juraj Herz um Ausgewogenheit lässt sich deutlich ablesen, wie vermint das politische Gelände, auf dem sich der Film bewegt, auch über ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende noch ist – auch wenn es in den letzten Jahren Entspannungen gegeben hat, etwa durch die Würdigung sudetendeutscher Widerstandskämpfer gegen die Nazis durch die tschechische Regierung 2006. Das ländliche Örtchen, in dem der Film spielt, wird von einem Figurenensemble bevölkert, das offensichtlich ein möglichst breites Spektrum an politischen Haltungen abdecken soll, um vielstimmig die Lage zu beleuchten. Da ist die Titelfigur Habermann, ein sudetendeutscher Mühlenbesitzer, der für seine tschechischen Arbeiter ein ebenso guter Brotgeber ist wie für die sudetendeutschen und von nationalistischen Vorurteilen nichts wissen will. Habermanns bester Freund, ein Förster, ist Tscheche, der mit einer Sudetendeutschen verheiratet ist, Habermann wiederum ehelicht eine tschechische Halbjüdin. Mit Politik hat Habermann wenig am Hut, und die Begeisterung vieler seiner Volksgenossen fürs Deutsche Reich und für Hitler, unter ihnen sein jüngerer Bruder Hans, ist ihm fremd. Als deutsche Truppen das Land „heim ins Reich“ holen und der brutale SS-Sturmbannführer Koslowski in dem Ort das Kommando ergreift, begrüßen einige der Sudetendeutschen, unter ihnen Hans, diese Entwicklung enthusiastisch; auf tschechischer Seite formiert sich Widerstand, aber es gibt auch Kollaborateure wie den korrupten Bürgermeister. Habermann verabscheut die Nazis, versucht aber auch, sich mit der Situation zu arrangieren, um seine Mühle weiter zu führen und seine tschechischen Arbeiter gegen Koslowski zu schützen; den bewaffneten Widerstand der Tschechen will er nicht unterstützen. Mit dieser Haltung gerät er indes zwischen die Fronten, und als 1945 das Deutsche Reich langsam in die Knie geht, eskaliert die Situation. Herz inszeniert seinen Film in kühlen, entsättigten Farben als klaustrophobisch anmutendes Drama, das im Mikrokosmos eines Dorfs exemplarisch die Gräuel des Kriegs spiegelt. Über den historischen Stoff hinaus geht es Herz dabei um den generellen Wahnsinn einer Situation, in der das Individuum angesichts einer aufgeheizten ethnischen Konfrontation nichts mehr zählt, sondern reduziert wird auf die Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe oder Religion. Vor allem anhand der Figur von Habermanns Ehefrau Jana, die zunächst als Halbjüdin ins Visier der Nazis gerät, dann, obwohl selbst Tschechin, als Frau eines Sudetendeutschen in das der Tschechen, beschwört Herz die grausame Unsinnigkeit jeder nationalistischen Geisteshaltung. Akzentuiert wird dies dadurch, dass er das Zusammenleben von Sudetendeutschen und Tschechen zu Beginn, als es um die Hochzeit Habermanns mit Jana geht, noch als harmonisch darstellt (was es de facto seit dem Ende des Habsburger Reichs nicht war), um das Aufflammen ethnischer Ressentiments mit der Machtergreifung durch die Nazis als umso irrationaler erscheinen zu lassen. Nach Max Färberböcks „Anonyma“ (fd 38 965) ist „Habermann“ ein weiterer Film, der Menschenrechtsverletzungen gegen Deutsche nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs thematisiert, dabei aber ähnlich daran krankt, dass er bei allem Bemühen um eine differenzierte Aufarbeitung allzu bieder in Genre-Konventionen verharrt. Die Figuren sind allesamt wohlbekannte Typen, von Ben Beckers bilderbuch-bösem SS-Finsterling über die schöne Frau Habermann, die von diesem sexuell bedrängt wird, bis zum aufrechten Habermann, der zu einer Art zweitem Schindler wird und seinen wertvollsten materiellen Besitz opfert, um seine Nachbarn vor der Rachsucht der Nazis zu retten, als Partisanen im Wald zwei deutsche Soldaten erschießen. Das Streben nach Ausgewogenheit, das sich im breiten Figurenensemble niederschlägt, bedingt auch eine gewisse psychologische Oberflächlichkeit: Zu viele Figuren gilt es zu berücksichtigen, als dass den einzelnen Beziehungen und Konflikten viel Tiefe verliehen werden könnte – auch wenn selbst kleine Nebenrollen bemerkenswert besetzt sind (Franziska Weisz). Hauptdarsteller Mark Waschke agiert wie in „Buddenbrooks“ (fd 39 048) als zinnsoldatischer Ehrenmann, dessen Verhaltenskodex angesichts der Konflikte des 20. Jahrhunderts nicht mehr greifen will; er füllt seine Rolle als Märtyrer der um sich greifenden Barbarei zwar durchaus bewegend, für ein psychologisch interessantes Porträt eines Unpolitischen, der zu spät die Zeichen der Zeit erkennt, lässt ihm der Film keinen Raum. Von „historischer Bedeutung“ ist „Habermann“ deswegen tatsächlich höchstens als erster gemeinsamer deutsch-österreichisch-tschechischer Versuch, die Geschichte aufzuarbeiten; er lässt für kommende Filme aber noch viel Arbeit übrig.
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