Dokumentarfilm | Deutschland 2010 | 91 Minuten

Regie: Jens Schanze

Dokumentarfilm, der sich mit Forschungen zu künstlicher Intelligenz befasst und kritisch eine Wissenschaft reflektiert, in der die Optimierung des Menschlichen ins Unmenschliche umzukippen droht. Im Zentrum steht ein US-Wissenschaftler, der in den 1960er-Jahren selbst Impulse zur Entwicklung künstlicher Intelligenz lieferte, jetzt aber vehement die Fortschrittsgläubigkeit anprangert. Informativ und bisweilen absurd-komisch, ebenso klug wie unterhaltsam schärft der Film den Blick für mögliche Risiken von wissenschaftlichen Errungenschaften, die längst kein Science-Fiction mehr sind. (Teils O.m.d.U.) - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Mascha Film/BR
Regie
Jens Schanze
Buch
Jens Schanze
Kamera
Börres Weiffenbach
Musik
Rainer Bartesch
Schnitt
Jens Schanze · Jörg Hommer
Länge
91 Minuten
Kinostart
11.11.2010
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Im Jahr 1966 verfasste Dennis Feltham Jones eine Erzählung über einen US-amerikanischen Supercomputer namens Colossus, der vom Menschen geschaffen wurde, um den Weltfrieden zu sichern. Dummerweise lernte der Computer allzu schnell vom Menschen, generierte Allmachtfantasien, schloss sich mit seinem russischen Pendant zusammen und entmachtete seine Schöpfer vollends. In Zeiten des „Kalten Krieges“ war dieser Stoff eine willkommene Dystopie über die Zukunft einer fremdbestimmten Menschheit. 1970 wurde er verfilmt, blieb aber von Zuschauern unbeachtet. Man sollte sich heute an solch naive Stoffe erinnern, denn so unwahrscheinlich sind sie inzwischen nicht mehr. „Unser Schicksal ist es, eine Millionen mal schlauer zu werden, als wir es jetzt sind.“ Raymond Kurzweil weiß, worüber er orakelt. Als Futurist und derzeit führender Wissenschaftler im Bereich der Computertechnologie gilt er als glühender Verfechter in Sachen „harter“ künstlicher Intelligenz. Wenn es nach ihm ginge, könnte die Verschmelzung zwischen Mensch und Maschine nicht schnell genug gehen. Man darf sich nichts vormachen: An den Colossus-Fantasien wird schon längst gearbeitet. Kurzweil sinniert über die Überwindung des biologischen Todes mittels totaler Technologisierung des Menschen – und er berät die amerikanische Regierung in Fragen der nationalen Verteidigung. „Colossus“ würde er sicherlich als dumme Philosophie dilettantischer Schriftsteller und Filmemacher abtun, denn es kann nicht sein, was nicht sein darf. Doch es gibt andere Meinungen: „Ich glaube, die Maschine ist böse mit mir...“ Der greise Mann, der sich hier so hilflos mit dem Computer abmüht, um am Ende doch zufrieden und zu Tränen gerührt zu den mp3-Klängen einer monoauralen historischen Opern-Arie in seinen Sessel zu sacken, ist ein Genie. Der 1923 geborene und vor den Nazis in die USA geflohene Berliner Joseph Weizenbaum entwickelte 1966 das Spracherkennungsprogramm ELIZA und gilt seither als Kapazität im Bereich der künstlichen Intelligenz. Mit der modernen Technik steht er inzwischen auf dem Kriegsfuß. Der Mensch, der gerade dabei ist, sich selbst zu Gunsten hochkomplexer Schaltkreise überflüssig zu machen, ist ihm zutiefst zuwider. Noch im hohen Alter streitet er sich auf Panels mit jungen, dynamischen Kollegen, die aus seiner Sicht noch nicht begriffen haben, dass sich ein derart fortschrittsgläubiger Mensch in einer Sackgasse befindet. Jens Schanzes Dokumentarfilm spielt mit der Absurdität, mit der völlig ernsthaft die Zukunft des Menschen verplant wird. Wenn es nicht so tragisch wäre, es wäre einfach nur unglaublich komisch, wenn Wissenschaftler Gott spielen, im wirklichen Leben aber nichts auf die Reihe bekommen. Hiroshi Ishiguro zum Beispiel, der Leiter des „Intelligent Robotics Laboratory“ an der Universität von Osaka: Er hat sich selbst als computerisiertes, voll funktionsfähiges Silikonmodell konstruiert, u.a. damit seine Tochter ihren Vater immer vor Augen hat – weil er selbst so selten zu Hause ist. Die komischen Elemente konterkariert Schanze souverän mit den höchst bedenklichen Gedankenspielen; sie machen aus einem trockenen Postulat wider die Fortschrittgläubigkeit einen nicht nur intelligenten, sondern auch einen unterhaltsamen Dokumentarfilm. Schanze ist sich der filmischen Mittel der Montage ebenso bewusst wie der Kraft filmmusikalischer Unterstützung. Ohne dadurch zu gefällig zu werden, kompiliert der Film hochwissenschaftliche Interviewstatements beiläufig mit skurrilen Alltagssituationen und regt den Betrachter, je nach Grundeinstellung, vielleicht auf, aber sicherlich zum Nachdenken an. Besonders mit der ins Zentrum der „Handlung“ gesetzten Figur des Joseph Weizenbaum bietet „Plug & Pray“ den ein oder anderen Kondensationspunkt für erhitzte Diskussionen, denn der streitbare, eloquente und von trockenem Humor beseelte Wissenschaftler schießt nicht selten mit seiner radikalisierten Meinung über die Grenzen des politisch Korrekten hinaus. Der Film ist auch ein wenig Weizenbaums Vermächtnis: Er verstarb während der Dreharbeiten. „Plug & Pray“ ist vor allem aber ein wichtiges Statement gegenüber den Wissenschaftlern auf der Überholspur, für die der Mensch – wie der Futurist Kurzweil meint – allenfalls „suboptimal“ ist. Man sollte wie Weizenbaum Respekt vor dem Leben bekunden und öfters einmal laut nachfragen: „Brauchen wir das alles wirklich?“
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