Das rote Zimmer (2010)

Komödie | Deutschland 2010 | 100 Minuten

Regie: Rudolf Thome

Ein unscheinbarer, frisch geschiedener Mann, der als Kussforscher tätig ist, gerät an ein lesbisches Liebespaar. Zu Forschungszwecken tun sich die drei in einem sommerlichen Landhaus zusammen und experimentieren mit ihren Empfindungen, Lüsten und Beziehungen, bis sie über Eifersüchteleien und Spannungen hinweg einen Pakt zum weiteren Miteinander aushecken. In perfekt austarierter Gelassenheit changiert der Film zwischen sanft-ironischem Schäferroman in arkadischer, wirklichkeitsferner Idylle und frech-lustvollem Spiel mit den Geschlechterrollen. Ebenso schwebend wie lakonisch entwirft er eine märchenhafte Liebes- und Lebensutopie. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Moana-Film
Regie
Rudolf Thome
Buch
Rudolf Thome
Kamera
Ute Freund
Musik
Katia Tchemberdji
Schnitt
Beatrice Babin
Darsteller
Katharina Lorenz (Luzie) · Seyneb Saleh (Sibil) · Peter Knaack (Fred) · Max Wagner (Peter) · Isabel Hindersin (Venus)
Länge
100 Minuten
Kinostart
13.01.2011
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Komödie
Externe Links
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Diskussion
Eine sommerlich entspannte Utopie ganz nach dem Geschmack des französischen Liebesdiskurses, irgendwo zwischen dem naiv exaltierten Schäferroman und Choderlos de Laclos’ skandalösem Klassiker „Gefährliche Liebschaften“. Ein märchenhafter Lichtblick im Winter, fern der sozialen Realität einer Republik, die chronisch mit Krisenmeldungen zu kämpfen hat, angesiedelt in einem bildungsbürgerlichen Milieu, das Berlin gerne den Rücken kehrt und inmitten einer arkadisch beruhigten Landschaft Trost beim Angeln, Schwimmen, Wein und der Erforschung der Gefühle sucht. Ein typischer Rudolf-Thome-Stoff, der aber diesmal trotz aller augenzwinkernden Konstruiertheit so jugendlich unbeschwert daher kommt, dass man sich wundert, dass man dieses makellose, neben der Jetztzeit schwebende Kleinod einem „Urgestein“ des deutschen Autorenfilms verdankt. Hier und da schwingt auch eine Portion altersmilde Freude an der Banalität der Erzählung mit. Rudolf Thome inszeniert sie im unaufdringlichen Rhythmus einer perfekt austarierten Gelassenheit, man meint sogar die vom Wind liebkosten Holzbalken des vorpommerschen Landhauses zu hören, nah am Wald und Wasser, wo eine sonderbare Ménage à trois zu gedeihen beginnt. Ein unscheinbarer, frisch geschiedener Philematologe, womit allen Ernstes die Kussforschung gemeint ist, gerät in einer Berliner Buchhandlung in die Fänge eines um Jahrzehnte jüngeren Frauen-Liebespaars, das ihn zum lebenden Studienobjekt auserwählt. Die Schriftstellerin unter ihnen möchte die Funktionsweise der Männerseele erkunden und die Ergebnisse der stundenlangen Interviews für ihren Roman verwenden. Der einsame Kussforscher erweist sich als perfektes Opfer, zumal er in seiner latenten Sexbedürftigkeit jede Strapaze auf sich nimmt, um in die Nähe des so erotischen wie mit spitzen Zungen gesegneten Duos zu kommen. Obwohl dessen Angst vor Kontrollverlust manch hässliche Blüte vom herrischen Befehlston bis zum mokanten Spott trägt, siegt auf halber Strecke die Neugier, und die verschworenen Freundinnen lassen es sich nicht nehmen, die amourösen Qualitäten des sanft werbenden Wissenschaftlers zu testen. Im roten Zimmer, wo sie jeden Abend auf einem Berg von Kissen kollektiv die Tagesschau sehen, kommt es zum ersten Austausch von Körpersäften. Erst will das studienhalber verordnete und beobachtete Küssen samt Hormonwallungen nicht gelingen. Umso intensiver beherrscht die Eifersucht die irritierten Gemüter. In den Nächten fallen dann nach und nach die Hemmungen, die Verlockung der möglichen Konstellationen siegt über den Intellekt, und der Tag des feierlich mit Blut geschlossenen Liebesvertrags kann kommen. 3.000 Euro soll der kokett in die Enge getriebene Adorator monatlich für seinen exklusiven „Harem“ bezahlen. Nach einer Begegnung mit einer unbekannten Venus am Teich, die sich ihm, kaum aus dem Wasser entstiegen, sogleich in voller Pracht anbietet, nimmt er auch dieses kostspielige Angebot widerstandslos an und wird in der wunderbar lakonischen Schlussszene mit einem Ausflug ans Meer belohnt, hinaus aus dem bukolischen Paradies, das aber in seiner maritimen Variante mit Sicherheit in keine Vertreibung münden dürfte. Ein schöneres Glücksversprechen zu dritt wird man im deutschen Kino wohl lange nicht mehr zu sehen bekommen. Jedes irdische Konfliktpotenzial löst sich unter dem Schutz göttlicher Kräfte von allein oder vielleicht doch nur dank der überaus ironisch kommentierenden Musik auf. Das fragile Gleichgewicht zwischen Realität und Fantasie gerät selbst in den zur Nüchternheit neigenden Bildern nie aus den Fugen, und der Kampf der Geschlechter ist längst zugunsten der Frauen entschieden. Sie haben das Kommando, üben willensstark sanfte Gewalt aus, manipulieren, ohne Schmerzen zu bereiten, analysieren, um zu besänftigen, als wäre es nie anders gewesen. Vorbei die Zeiten, als das Auftauchen eines Mannes das Ende ihrer Liaison bedeutet hätte. Wozu streiten, wenn man doch teilen kann? In diesem neuromantischen Kosmos ist ohnehin jede Verrücktheit möglich, und selbst die vielen Fragebögen, biochemischen Statistiken, Sitzordnungen und Verträge können seiner Leichtigkeit nichts anhaben, laden sie doch nur dazu ein, als verzauberte Anweisungen zum Genuss des Augenblicks gelesen zu werden.
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