In einer besseren Welt

Melodram | Dänemark/Schweden 2010 | 117 Minuten

Regie: Susanne Bier

Der Zwiespalt, ob Gewalt mit Gegengewalt eingedämmt werden kann oder nicht, stellt sich für einen skandinavischen Arzt auf gleich doppelte Weise: Im Rahmen seiner Arbeit in Afrika muss er entscheiden, ob seine ärztliche Hilfe auch einem grausamen Warlord zugutekommen darf, während er daheim Stellung dazu beziehen muss, dass sein Sohn von Mitschülern gemobbt und traktiert wird. Spannendes Melodram, hinter dem sich eine raffinierte diskursive Versuchsanordnung zum Thema Rache offenbart, die in einer Folge sich zuspitzender Szenen die Argumente abwägt. Vorzüglich gespielt, aktualisiert der Film einen ethischen Grundkonflikt auf mitreißende Weise. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
HÆVNEN | HÄMNDEN
Produktionsland
Dänemark/Schweden
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Zentropa Ent. 16/Danish Film Institute/DR TV/FilmFyn/Film i Väst/Memfis Film/Nordisk Film & TV Fond/Sveriges TV/Swedish Film Institute
Regie
Susanne Bier
Buch
Anders Thomas Jensen
Kamera
Morten Søborg
Musik
Johan Söderqvist
Schnitt
Pernille Christensen · Morten Egholm
Darsteller
Mikael Persbrandt (Anton) · Trine Dyrholm (Marianne) · Ulrich Thomsen (Claus) · Markus Rygaard (Elias) · William Jøhnk Nielsen (Christian)
Länge
117 Minuten
Kinostart
17.03.2011
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Melodram
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
Universum (16:9, 2.35:1, DD5.1 dän & engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Universum (16:9, 2.35:1, dts-HDMA dän. & engl./dt.)
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Diskussion
Das Presseheft zu Susanne Biers mit dem Auslands-„Oscar“ prämierten Spielfilm ist sich sicher: Die Handlung stellt eine Gewissensfrage an den Protagonisten Anton. „Wie stark sind sein Glaube an die Gerechtigkeit und der Wunsch, seine Haltung zu bewahren?“ Der in Schweden geborene, in Dänemark lebende Arzt Anton arbeitet regelmäßig längere Zeit in einem afrikanischen Flüchtlingslager, wo er so gut als möglich zu helfen versucht. Dabei wird er immer wieder mit schrecklich verstümmelten Frauenkörpern konfrontiert. Für diese Verbrechen, so sagt man, sei ein sadistischer Milizen-Anführer verantwortlich, den man „Big Man“ nennt. Manchen der verletzten Frauen kann Anton helfen, anderen nicht. Doch wenn Anton auf der Ladefläche eines Pick-up ins Lager fährt und in die strahlenden Gesichter der Kinder blickt, die hinter dem Wagen her rennen, dann weiß er, dass er das Richtige tut. Auch in Dänemark, wo Anton mit seiner Frau Marianne und den beiden Söhnen Elias und Morton lebt, existiert Gewalt, die sich strukturell gar nicht so sehr von derjenigen in Afrika unterscheidet. Für den älteren Sohn Elias beginnt jeden Morgen ein erniedrigender Hindernislauf; er wird auf dem Weg ins Klassenzimmer von älteren Mitschülern, angeführt vom gewaltbereiten Sofus, gemobbt und bedroht. Nach der Schule muss er sein Fahrrad oft nach Hause schieben, weil die Luft aus den Reifen gelassen wurde. Die Eltern versuchen zwar, auf den dafür vorgesehenen Wegen zu intervenieren, treffen dabei aber auf Schulpersonal, das ziemlich routiniert anti-autoritär der Auseinandersetzung aus dem Weg geht. Trotzdem könnte Antons Kleinfamilie glücklich sein, hätte er nicht vor kurzem Marianne betrogen, was diese ihm – trotz der vorherrschenden Rationalität – nicht so einfach verzeihen mag. Dass man sich nicht alles gefallen lassen darf und sich bisweilen nicht nur verbal, sondern physisch wehren muss, lernt Elias durch seinen neuen Mitschüler Christian. Nach dem Krebstod von Christians Mutter ist der mit seinem Vater Claus aus England nach Dänemark zurückgekehrt. Als Christian eine günstige Gelegenheit nützt, um den viel stärkeren Sofus zu attackieren, geht er sehr entschlossen und gewalttätig vor. Christian glaubt aus eigener Erfahrung daran, dass man die Dialektik von Gewalt und Gegengewalt aufbrechen kann, wenn man beim ersten Mal fest genug zuschlägt. Damit bezieht er die Gegenposition zu Anton, dessen Ethik darauf gründet, dass Gewalt prinzipiell keine Konflikte löst. Wie die Welt wohl aussähe, wenn man dieses Postulat aufgebe, wenn man Leute einfach so verprügele, fragt Anton seinen Sohn einmal. Man könnte antworten: „Guck mal aus dem Fenster!“ Und wüsste dabei den Film auf seiner Seite. Denn nicht nur auf die beiden pubertierenden Jungen wirkt es entschieden unglamourös, wenn sich Anton auf dem Kinderspielplatz von einem gewaltbereiten Vater ohrfeigen lässt. Als er diesen an dessen Arbeitsplatz mit seiner Gewaltbereitschaft konfrontiert, wird Anton – ohne Angst zu zeigen – gleich noch mal geschlagen. Ist er jetzt der moralische Sieger oder doch nur ein ziemlich jämmerliches Opfer? In immer neuen Variationen und mit einigen Zwischentönen entwerfen Susanne Bier und Anders Thomas Jensen einen antithetischen Konflikt zum Thema Rache. Es handelt sich dabei um eine strenge Versuchsanordnung im Gewand eines Melodrams, das wiederum von erstklassigen Darstellern in eine Folge von Einzelszenen aufgelöst wird, die das Grundthema immer forcierter durchspielen. Die melodramatische Grundtönung macht das streng Diskursive dieser Anordnung geschmeidig. Ob der Preis dieser Vermittlung zu hoch ausfällt, muss jeder Zuschauer selbst entscheiden. Der internationale Erfolg dieser Rezeptur gibt Bier/Jensen allerdings durchaus recht. Während die Jungen beschließen, Antons Integrität durch einen Bomben-Anschlag wieder herzustellen, gerät Anton – wieder in Afrika – in einen moralischen Konflikt, als der verletzte „Big Man“ ihn um Hilfe bittet. Dass Anton prinzipiell bereit ist, auch ihm zu helfen, verstört die Angehörigen der Opfer dieses Monstrums, das seinerseits sehr genau weiß, dass es sich in dieser Situation keine Schwäche leisten darf, weil seine Macht allein auf der ständigen Bereitschaft zu Gewalt beruht. Erst als „Big Man“ die pazifistische Geduld Antons überstrapaziert, gibt dieser einem spontanen Impuls zur Rache nach und überlässt den Mörder seinem Schicksal. Man kann am Ende des Films hervorragend diskutieren, inwieweit dessen Epilog, der schließlich den Konflikt gemäß der Genregesetze des trivialen Hollywood-Melodrams löst und die Fiktion als Fiktion ausstellt, zum Filmtitel passt. „In einer besseren Welt“ mag solch ein Ende möglich sein. Im Hier und Jetzt (und bei Michael Haneke) wäre der Film zehn Minuten kürzer.
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