Zwischensaison (1992)

Drama | Schweiz/Deutschland/Frankreich 1992 | 95 Minuten

Regie: Daniel Schmid

Nach langer Zeit kehrt ein Mann in das Hotel in den Schweizer Bergen zurück, in dem er als Kind lebte. Der Gang durch das leerstehende Gebäude läßt die lange verschüttete Vergangenheit in einer Folge von Erinnerungen wachwerden. Liebevoll gearbeitete ironisch-wehmütige Miniaturen fügen sich zu einem wunderbaren Film zusammen, der die Geheimnisse und den Zauber der Kindheit in die Gegenwart rettet und zugleich die heilsame Kraft der Erinnerung beschwört. (Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
HORS SAISON
Produktionsland
Schweiz/Deutschland/Frankreich
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
T & C/Metropolis/Pierre Grise/ZDF/DRS/TSR/Beat Curti/Eurimages
Regie
Daniel Schmid
Buch
Martin Suter · Daniel Schmid
Kamera
Renato Berta
Musik
Peer Raben
Schnitt
Daniela Roderer
Darsteller
Sami Frey (Erzähler) · Carlos Devesa (Valentin) · Ingrid Caven (Lilo) · Dieter Meier (Max) · Ulli Lommel (Professor Malini)
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
Kindheit ist keine Zeit, Kindheit ist ein Ort. Daniel Schmid besucht in "Zwischensaison" den Ort seiner Kindheit. Auch Valentin, der Erzähler, ist in einem Hotel aufgewachsen. zwischen illustren und weniger illustren Gästen. zwischen Eklats und Skandälchen und kleinen Komödien. Nun erfährt er, daß ihn das Fräulein Gabriel sehen will, die freundliche Dame am Kiosk, die ihn immer mit der "Post aus Entenhausen", den neuesten Micky-Maus-Heften versorgte. Unversehens findet er sich in dem Ort wieder, den er seit Kindestagen nie mehr wiedergesehen hat, und in dem Hotel, dem "Alpina Palace", das lange verlassen ist und kurz vor dem Abriß steht. Nur zögernd betritt Valentin den staubigen Boden der Empfangshalle, er weiß warum: sein eigentlich ungetrübtes Verhältnis zur Vergangenheit "ich lasse sie in Ruhe, und sie mich" - wird von diesem Moment an empfindlich gestört. Auf der Suche nach den alten Micky-Maus-Jahrgängen - "sie sind in dem Zimmer mit Blick aufs Meer", sagt das Fräulein Gabriel -stürmen die lange verschütteten Erinnerungen ungebremst und ohne Ordnung auf ihn ein. Plötzlich sind sie alle wieder da: Professor Malini, der Zauberer, verblüfft die Gäste wieder mit seinen Gedankenlesereien, die zwei Damen mil den verrückten Hüten berauschen sich am Zeitungsstand mit den neuesten Katastrophenmeldungen, die mondäne Schauspielerin verdreht allen Männern den Kopf, bis hinunter zum Tennislehrer; Max und Lilo sorgen in der Bar für dezente Untermalung mit ihren Geschichten von der "Peruanerin" und den "Caprifischern". Dann Valentins Familie, immer unterwegs - je nach Saison nimmt man im Parterre, unterm Dach oder irgendwo dazwischen Quartier - und doch nie unterwegs: Wer vom Urlaub der anderen lebt, muß immer zu Hause bleiben. Schließlich Valentin selbst: mit staunenden, großen Augen verfolgt er. was um ihn herum vorgeht. Manches durchschaut er wie Maldinis faule Tricks: aber das Leben hat für den Jungen noch genug aufregende Geheimnisse. Die Micky-Maus-Geschichten etwa. so glaubt er, schreibt Fräulein Gabriel höchstselbst für ihn. Oder die Geschichten der Großmama, die an Mutters Stelle für ihn sorgt: Wie der Großvater von Sarah Bernhardt verführt wurde, wie die russische Anarchistin, im Glauben, den Außenminister vor sich zu haben, einen Pariser Strumpffabrikanten erschoß. Alles selbstredend Hotelgeschichten.

Kindheit ist ein Ort. Also hat "Zwischensaison" keine Geschichte, die von A nach B führt und von da nach C und so weiter. "Zwischensaison" hat Schauplätze, wo die Vergangenheit plötzlich lebendig wird, wo Gäste und Personal zu einer merkwürdigen Gemeinschaft zusammenfinden, wo sich Geschichten überlappen: die Eingangshalle, Kiosk, Speisesaal. Frisiersalon, Aufzug, Treppen und Gänge. Zimmer nicht; so weit reichen Valentins Erinnerungen nicht, in die hat er nie hineingedurft als Fremder im eigenen Haus, da hat er höchstens einmal durchs Schlüsselloch spioniert.

Ankommen und Weggehen, Daheim und Fremdsein, Bindungen und Unverbindlichkeiten, Ruhe und Rastlosigkeit - "Zwischensaison" beschreibt eine Zwischenwelt. Ein bißchen ist das "Alpina Palace" wie die Ewigkeit. Eine Welt, in der die Rituale, die Regelmäßigkeiten die Zeit anhalten. Der Himmel, sagt die Großmutter, das ist wie bei uns im Hotel, nur viel größer. Aber in den Himmel will er nicht, sagt der Junge, als ob er schon ahnte, daß er weggehen wird. In dieser Gepflegtheit und Launigkeit, eingebettet in den Plüsch der 50er Jahre, reißen plötzlich kleine Abgründe auf, Krisen deuten sich an, Leben. die verkehrt gelaufen sind, der Überdruß an der Wiederkehr des Immergleichen.

Die Bilder, die Valentin in den Kopf kommen, sind merkwürdig verlangsamt, traumwandlerisch. Den Silhouetten, die sich in ihnen bewegen, mal mit mehr, mal weniger Konturen, gibt eine internationale Besetzung Gesicht: Fellinis Schwester Maddalena ist die bestimmende Großmutter, Ingrid Caven haucht sich als kleine Dietrich durchs Gassenhauer-Repertoire, begleitet von dem Schweizer Popmusiker Dieter Meier ("Yello") am Piano: Ulli Lommel spielt den Zauberer. Andrea Ferréol die Gabriel, Geraldine Chaplin die glücklose Anarchistin. Darsteller aus aller Herren Länder in einer europäischen Co-Produktion -ein seltener Glücksfall, daß Schmid dennoch seine persönliche Handschrift bewahren konnte. "Zwischensaison" ist mit viel Lust am Ausschmücken und Ausmalen erzählt, mit Ironie und Zärtlichkeit und einer Träne im Augenwinkel. Aber in die Trauer um den Verlust mischt sich die Freude übers Wiedersehen. Der Irrgang durch das leere Hotel ist auch ein Lernprozeß. Valentin schließt Frieden mit der Vergangenheit, spätestens in dem Moment, wo ihm mal wieder die Familie über den Weg läuft, bei einem ihrer saisonal bedingten Umzüge, und der kleine Valentin dem großen die Muschel mit dem Meeresrauschen überreicht. Am Ende hat sie den stillen Mann doch in ihren Bann gezogen, die Magie des Sich-Erinnerns. Kindheil ist, wo das Alpenhotel ein Zimmer mit Blick aufs Meer hat.
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