Stuttgart 21 - Denk mal!

Dokumentarfilm | Deutschland 2011 | 76 Minuten

Regie: Lisa Sperling

Dokumentarfilm über die Protestbewegung, die sich gegen das Projekt "Stuttgart 21" stark macht, bei dem der Hauptbahnhof in Stuttgart durch einen neuen Tiefbahnhof ersetzt werden soll. Er ergreift die Partei der Protestierenden und lässt Protagonisten zu Wort kommen, deren Haltungen und Temperamente die Bandbreite der Bewegung veranschaulichen. Dramaturgischer Angelpunkt ist die Eskalation der Polizeigewalt gegen Demonstrierende im September 2010. Auch dank selbstreflexiver Momente, die die Rolle der (neuen) Medien für "Stuttgart 21" spiegelt, ein aufschlussreiches Zeugnis des politischen Protests. - Ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Home Run Pic.
Regie
Lisa Sperling · Florian Kläger
Kamera
Florian Kläger · Lisa Sperling · Jan Dietz
Schnitt
Lars Pienkoß
Länge
76 Minuten
Kinostart
10.03.2011
Fsk
ab 6
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Ist es Nostalgie für städtebauliche Identität, die die Stuttgarter Bürger aus Protest gegen das Bahnhofsprojekt zu Tausenden auf die Straße getrieben hat? Oder ein Unbehagen an prestigeträchtigen Großprojekten in Zeiten der Finanzkrise, gepaart mit einer Prise unpolitischen Anti-Moderne-Ressentiments? Das ohnmächtige Wissen, dass sich hinter dem Vorhaben ein gigantisches Immobiliengeschäft verbirgt, bei dem die größten Tortenstücke bereits verteilt sind? Oder ist es das schöne Gefühl, sich per Meinungsbutton zu verständigen und in der Masse aufzugehen? Ein riesiger Spaß, den die kreative Entwicklung gewaltfreier Protestformen bereiten kann? Sicher ist, dass niemand mehr an die verkehrspolitische Notwendigkeit der Untertunnelung des Stadtzentrums, an die großsprecherischen Slogans von Stuttgart als dem „neuen Herzen Europas“ glaubt. Sicher ist auch, dass sowohl Politik als auch Bahn von der Mobilisierung der Bevölkerung komplett überrascht wurden, nachdem sie jahrzehntelang versucht hatten, die finanzielle Eigendynamik sowie die geologischen Risiken des Projekts zu verschweigen. Insofern geht es bei den Protesten gegen „Stuttgart 21“ weniger (aber auch) um den Erhalt eines Denkmals als viel mehr gegen die Arroganz der Macht und eine politische Klasse, die, wie es im Film einmal heißt, ihre Bürger wie unartige Kinder behandelt: autoritär und gewaltbereit. Die Filmstudenten Lisa Sperling und Florian Kläger haben die Protestbewegung früh mit ihrer Kamera begleitet und ohne größeres Konzept Impressionen gesammelt. Erst die Eskalation der Gewalt am 30.9.2010, als Polizeikräfte massiv gegen eine Schülerdemonstration vorgingen, gab dem Film eine dramaturgische Struktur. Hier wird er auch selbstreflexiv, wenn er den Medieneinsatz der Bürger gegen die Polizisten zeigt. So, wie die Bürger die Gewalttätigkeiten per Handy dokumentieren, so arbeitet die Protestbewegung produktiv mit Schwarmintelligenz und eigenem Internet-TV. Der Film ist ein parteiisches Dokument und zugleich Moment der Bewegung, der eine Hand voll Aktivisten auf unterschiedlichsten Reflexionsniveaus zu Wort kommen lässt. Die Akteure präsentieren die Spannbreite der Temperamente, die zum Protest zusammengefunden haben: mal erst durch die Bewegung politisiert, mal mit großer Geste verschwörungstheoretisch unterwegs, mal harmlos freundlich, mal abgebrüht und verbittert. Die Befürworter kommen nur zweimal zu Wort: Einmal macht sich Oberbürgermeister Schuster bei der Eröffnung eines Volksfests mit dreister Häme über jene lustig, die „nur noch Bahnhof verstehen“, ein andermal schwadroniert Ministerpräsident Mappus darüber, dass „Stuttgart 21“ „aus wirtschaftlicher Sicht“ notwendig sei. Wenn man weiß, welche Politiker in den Aufsichtsräten der beteiligten Firmen sitzen, glaubt man ihm das aufs Wort. Auch kommt der Film auf die politische Funktion von Heiner Geißlers Schlichtung zu sprechen, die dem Protest viel Energie entzog. Sieht man ihn heute, zumal in Stuttgart, mag man nicht glauben, dass die für „Stuttgart 21“ verantwortlichen Parteien sich in Umfragen bereits wieder gut erholt haben. Dennoch: Ohne die vielfältigen Aktivitäten der Protestbewegung wären die zahllosen Unschärfen, Planungsmängel und Verfilzungen des Projekts niemals ans Tageslicht gekommen. Man kann das einen Erfolg nennen.
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