Der Himmel hat vier Ecken

Jugendfilm | Deutschland 2011 | 90 Minuten

Regie: Klaus Wirbitzky

Ein musisch begabter Junge zieht aus seinem reicheren Milieu in ein einfaches Hamburger Mietshaus, wo der Hinterhof sein neues Universum wird, einschließlich neuer Freundschaft, erster Liebe und allerlei Turbulenzen rund um die Mitbewohner, darunter ein militaristischer Hausmeister, eine junge Boxerin und ein Vampir, der von der Hinterhof-Kinoleinwand hinabsteigt. Dramaturgisch etwas holprig und in der Entwicklung der Hauptfiguren nicht allzu originell, entfaltet die liebevoll und engagiert gedrehte Coming-of-Age-Geschichte dank der überzeugenden Darsteller und der nostalgisch anmutenden Beschwörung nachbarschaftlicher Nähe und Solidarität viel Charme. - Ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Schneider + Groos Filmprod./NDR
Regie
Klaus Wirbitzky
Buch
Klaus Wirbitzky
Kamera
Michael Tötter
Musik
George Kochbeck
Schnitt
Sebastian Thümler
Darsteller
Moritz Jahn (Joschi) · Lukas Mrowietz (Niko) · Udo Kier (Graf Karpatovicz) · Charly Hübner (Jens) · Doris Kunstmann (Marlene)
Länge
90 Minuten
Kinostart
21.04.2011
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Jugendfilm
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Heimkino

Verleih DVD
Zorro (16:9, 1.78:1, Mono dt.)
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Diskussion
Es mag regionale Unterschiede geben, doch niemand wird leugnen, dass Mietshäuser anonyme Orte geworden sind. Der durchschnittliche Hausbewohner weiß besser über seine Facebook-Freunde im Ausland Bescheid als über den Nachbarn am anderen Ende des Hausflurs. In jenem Hamburger Hinterhof jedoch, in dem Klaus Wirbitzky seinen Film spielen lässt, kennt jeder jeden. Die allgemeine Kommunikationsfreudigkeit wirkt, an der deutschen Wirklichkeit gemessen, etwas anachronistisch: Es ist eher eine Fernsehwelt à la „Lindenstraße“, die Wirbitzky kreiert – der als Regisseur und Produzent der ebenfalls in Hamburg spielenden Kinder- und Jugendserie „Die Pfefferkörner“ seit 1999 im Fernsehmetier erfolgreich ist. Auch das Freundespaar in seinem Kinodebüt ist ein unwahrscheinliches. Doch wer will schon hoch plausible, aber langweilige Geschichten im Kino sehen? Joschi ist 13 und mit seinem Vater in einen Wohnblock mit Hinterhof gezogen. Sie kommen aus einer besseren Gegend, wo man mehr vom Himmel sieht als ein kleines, von Hausdächern begrenztes, helles Viereck. Dem Vater fehlt ein Job, Joschi vor allem das Klavier, auf dem er sein musikalisches Talent austoben kann. Als Joschi auf Niko trifft, ist das erstmal eine harte Erfahrung: Niko ist ein 14-jähriger Junge mit kasachischem Migrationshintergrund, der Neulinge zunächst mit Faustschlägen auf ihre Belastbarkeit überprüft. Joschi und Niko werden Freunde, obwohl sie neben ihrer Unterschiedlichkeit auch noch bis zum Finale ein nicht eben kleines Problem haben, das Jessica heißt. Niko, anfangs der kleine Macho, beansprucht das Mädchen für sich, doch Jessica interessiert sich mehr für den sensibleren Joschi. Moritz Jahn, Lukas Mrowietz und Sophie Schirmer geben ein glaubwürdiges Dreieck ab, allerdings trägt Wirbitzky ein bisschen dick auf, wenn er die Seelenverwandtschaft des eigentlich füreinander bestimmten Liebespaars illustriert. Neben dem Klavierspiel singt Joschi noch im Kirchenchor, und während sein Knabensopran Mozarts „Requiem“ intoniert, kullern die Tränen; Jessica wiederum brilliert als Balletttänzerin. Dass die beiden zusammenfinden, ist ebenso vorhersehbar wie der Funke, der zwischen Joschis Vater und der hübschen, ein wenig eigentümlichen Nachbarin Katharina überspringt, die auf ein Engagement an der Staatsoper hofft. Als Ersatzmutter für Joschi hat sich die Sängerin ohnehin empfohlen, ist ihr die Musikalität des Jungen doch nicht verborgen geblieben. Als Hinterhof-Schurke mischt sich der militaristische Hausmeister Schieweck (ruppig und witzig: Sven Walser) in jedermanns Privatangelegenheiten ein; dazu wird das Ensemble komplettiert durch die kinderfreundliche Kinobesitzerin Marlene (warm: Doris Kunstmann) und den blutsaugenden Grafen Karpatovicz, der eines Abends von der Hinterhofkino-Leinwand heruntersteigt und Joschi Unterstützung gegen die Unbill des Lebens zusichert. Die kurzen Episoden um das Kino als Zuflucht für Joschi und Niko und die Film-im-Film-Szenen mit dem Vampir wirken wie Fremdkörper in der Coming-of-Age-Story und erschöpfen sich in ihrer Funktion, den Gastauftritt des routiniert finsteren Udo Kier zu motivieren. Ein weiterer Gast-Star ist besser integriert: Profiboxerin Susi Kentikian spielt Nikos im Box-Ring reüssierende Schwester Tatjana, die dazu gedrängt wird, sich während eines entscheidenden Kampfs zum Schein k.o. schlagen zu lassen. Ein korrupter Box-Manager und viel Geld sind im Spiel, nur dass die Drahtzieher des Betrugs ihre Rechnung ohne Nikos Bruderstolz und Joschis Treue gemacht haben. Am Ende erweist sich, dass der Himmel mit vier Ecken alles mögliche sein kann: ein Hinterhof, eine Kinoleinwand oder ein Box-Ring, dass man aber aufpassen und an einem Strang ziehen muss, sonst verwandelt sich das Viereck unvermittelt in eine kleine Hölle. Begrenzt, besonders in Hinsicht auf die etwas holprige Dramaturgie, ist auch Klaus Wirbitzkys Film. Doch er ist mit Liebe und Engagement gedmacht, vor allem auch dank der zahlreichen Darsteller, sodass man ihm sein Publikum wünscht.
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