Geliebtes Leben (2010)

Drama | Deutschland/Südafrika 2010 | 106 Minuten

Regie: Oliver Schmitz

Ein zwölfjähriges schwarzes Mädchen wächst in ärmlichen Verhältnissen in einem südafrikanischen Township auf. Als seine Schwester stirbt, muss es die Verantwortung für seine jüngeren Geschwister übernehmen, da weder die kranke Mutter noch der trunksüchtige Stiefvater die Familie zusammenhalten können. Mutig stellt es sich beim Kampf um ein besseres Leben auch gesellschaftlichen Tabus entgegen, vor allem im Umgang mit der Krankheit AIDS. Anteilnehmend geht der Jugendfilm das heikle Thema an und bietet eine Mut machende, zur Identifikation einladende Heldengeschichte, bei der die gesellschaftlichen Umstände freilich nur bedingt erhellt werden. - Ab 12 möglich.
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Filmdaten

Originaltitel
LIFE, ABOVE ALL
Produktionsland
Deutschland/Südafrika
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Dreamer Joint Venture/Enigma Pic./Niama Film/Senator Film Prod.
Regie
Oliver Schmitz
Buch
Dennis Foon · Oliver Schmitz
Kamera
Bernhard Jasper
Musik
Ali N. Askin
Schnitt
Dirk Grau
Darsteller
Khomotso Manyaka (Chanda) · Keaobaka Makanyane (Esther) · Lerato Mvelase (Lilian) · Harriet Manamela (Mrs. Tafa) · Aubrey Poolo (Jonah)
Länge
106 Minuten
Kinostart
12.05.2011
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12 möglich.
Genre
Drama | Kinderfilm

Heimkino

Verleih DVD
Senator/Universum (16:9, 2.35:1, DD5.1 frz. & Sotho/dt.)
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Diskussion
Als Chandas einjährige Halbschwester stirbt, legt sich ein diffuser Schleier aus Angst, Schuld und Scham über die Familie. Der Stiefvater betäubt seinen Schmerz mit Alkohol und macht die „vergiftete Milch“ seiner Frau für den Tod verantwortlich, die Nachbarin Mrs. Tafa, die selbst vor einiger Zeit ihren Sohn verloren hat, insistiert, dass die Todesursache eine gewöhnliche Grippe sei. Es wird viel vorbeigeredet, schöngeredet und geschwiegen. „Worüber keiner spricht“, so der deutsche Titel von Allan Strattons Romanvorlage für „Life, Above All“, das ist die Krankheit AIDS. Es vergehen annähernd zwei Drittel des Films, bevor das Wort zum ersten Mal ausgesprochen wird. „Geliebtes Leben“ spielt in der südafrikanischen Provinz, im ländlichen Township Elandsdoorn, die Verhältnisse sind einfach, aber halbwegs intakt. Oliver Schmitz, Sohn deutscher Einwanderer in Südafrika und inzwischen in Berlin lebend, erzählt seinen Film nicht als AIDS-Drama, sondern als Heldengeschichte mit einem klaren, konventionellen Identifikationsangebot. Die zwölfjährige Chanda, ihr Kampf gegen das von Aberglauben bestimmte Gerede der Nachbarschaft, gegen Ausgrenzung und Tabuisierung und ihre tapfer-zähe Alltagsbewältigung bilden den Motor der Geschichte. Chanda wird früh in die Erwachsenenrolle gezwungen. Als die Schwester stirbt und die Familie zusammenbricht, übernimmt sie recht nahtlos die Position der Mutter. Sie wählt einen Sarg aus, benachrichtigt die Familie der Mutter und sucht ihren Stiefvater in einer Kneipe auf, um ihm das Geld wieder abzunehmen, das er gerade zu versaufen droht. Die Beerdigung wirkt zumindest für einen kurzen Moment kathartisch. Der Stiefvater gelobt Besserung, verschwindet aber kurz darauf mit den gesamten Ersparnissen, die Mutter erkrankt und die Tochter muss nun auch die Verantwortung für die beiden jüngeren Geschwister übernehmen. Chanda überschreitet die gesellschaftlichen Konventionen und geheimen Absprachen gleich mehrfach – erstaunlicherweise ohne größere innere Konflikte, sich moralisch immer auf der richtigen Seite wissend, offensiv und manchmal auch etwas altklug. So entlarvt sie die raffgierigen Machenschaften eines Arztes, stellt Fragen, wo ganz offensichtlich keine Antworten zu erwarten sind, und nimmt die von der Gesellschaft verstoßene Esther bei sich zu Hause auf, ein etwa gleichaltriges Waisenmädchen, das sich auf einem Parkplatz an Lastwagenfahrer prostituiert, um überleben zu können. Schließlich wagt sie sich auch noch an das größte Tabu: Sie holt die an AIDS erkrankte und aus der Gemeinschaft verstoßene Mutter wieder nach Hause zurück und ermöglicht ihr ein würdevolles Sterben. Mit seiner stoischen, immer ihr Ziel vor Augen habenden Hauptfigur, erinnert „Geliebtes Leben“ auf den ersten Blick an eine südafrikanische Version von „Winter’s Bone“ (fd 40 384). Doch während Debra Graniks Film einen illusionslosen Blick auf die ärmlichen Verhältnisse in den Ozarks wirft, ist das von Schmitz explizit als Jugendfilm konzipierte Drama trotz allen Elends dementsprechend versöhnlich und lebensbejahend. Während Graniks Heldin den Widerständen innerhalb der Gemeinschaft mit schroffer Konfrontation begegnet, setzt Chanda auf Verständnis und Anteilnahme. Wie konträr die beiden Filme sind, spiegelt sich nicht zuletzt in der visuellen Sprache wider: Statt der klaren, direkten Bilder und fahlen Töne setzt Schmitz auf warme Farben, Sonnenlicht, Unschärfen, wobei er das Diffuse, Unausgesprochene, Unscharfe, das sein Film zum Gegenstand der Kritik machen will, ein Stück weit reproduziert. Behutsam und unvoyeuristisch tastet sich Schmitz an das Thema heran, findet für jugendliche Zuschauer vielleicht angemessen einfache, für Erwachsene jedoch etwas schlicht wirkende Antworten auf die extreme Tabuisierung der Krankheit: der Aberglaube, das Gerede der Nachbarn, die Angst vor der Ansteckung. Die gesellschaftlichen Zusammenhänge bleiben damit im Verhältnis zur alles überstrahlenden Heldenfigur eher schemenhaft im Hintergrund. Die Nachbarschaft des Township wird als eine unaufgeklärte Masse konstruiert, ein homogenes, (mit Ausnahme der Nachbarin) gesichtsloses Gegenüber, dem die Einzelkämpferin Chanda heroisch die Stirn bietet.
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